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'Bank intern'-Beilage 35/20107: Der Kreditzyklus als Orientierungshilfe der Geldpolitik

Der Kreditzyklus als Orientierungshilfe der Geldpolitik

Kreditzyklus spricht für Ausstieg der EZB aus ultralockerer Geldpolitik noch in diesem Jahr

von Dr. Andreas Bley und Dr. Manuel Peter, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)/Berlin –

Eine Dekade nach dem Beginn der Finanzkrise und der nachfolgenden Schuldenkrise im Euroraum operiert die Europäische Zentralbank (EZB) noch immer im Krisenmodus. Der Leitzins liegt bei 0 % und das Anleihekaufprogramm bläht Monat für Monat die Bilanz der EZB um weitere 60 Mrd. € auf. Die Politik der Zentralbank passt dabei immer weniger zur aktuellen Lage im Euroraum. Hatte die EZB ihr Anleihekaufprogramm im März 2015 u. a. damit gerechtfertigt, dass die niedrigen Zinsen in südeuropäischen Ländern nicht in der Realwirtschaft ankämen, so liegen heute die Aufschläge für entsprechende Kredite schon wieder nahe ihrem Vorkrisenniveau. Eine zuletzt anziehende Konjunktur sorgt zudem dafür, dass Kredite auch wieder verstärkt nachgefragt werden.

In der wissenschaftlichen Literatur der vergangenen Jahre ist der Kreditentwicklung eine prominente Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung der Volkswirtschaften zugeschrieben worden. Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass Phasen eines übermäßigen Kreditwachstums oftmals Finanzkrisen und eine dauerhafte Wachstumsschwäche nach sich ziehen. Die Finanzkrise wie auch die Krise im Euroraum boten dazu reichlich Anschauungsmaterial. Die Theorie der Finanz- bzw. Kreditzyklen erlebte dabei eine Renaissance, da sie zur Erklärung der Kreditentwicklung und der nachfolgenden Krisen beitrug. Aus diesem Konzept der Finanzzyklen lassen sich Lehren u. a. für die Geldpolitik ableiten. Eine wesentliche davon lautet, die geldpolitischen Zügel rechtzeitig zu straffen, bevor ein Finanzzyklus die Wirtschaft überrollt.

Der gebräuchlichste Indikator zur Messung der Finanzzyklen ist die Kredit-BIP-Lücke. Hierzu wird zunächst der Quotient aus den ausstehenden Krediten an den privaten nicht-finanziellen Sektor und dem BIP gebildet. Aus der Differenz des Quotienten und seines mittelfristigen Trends, der durch den Bedeutungsgewinns des Finanzsektors in vergangenen Jahrzehnten ansteigend war, ergibt sich die um diesen Trend schwankende Kredit-BIP-Lücke. Eine sich ausweitende Lücke kann ein Indikator für eine übermäßige Kreditvergabe sein. Im Unterschied zu den durchschnittlich nur wenige Quartale anhaltenden Konjunkturzyklen sind Finanzzyklen träge Prozesse, die für einen Zyklendurchlauf von 8 bis zu 25 Jahren benötigen können. Die nur langsame Entwicklung des Zyklus führt dazu, dass auflaufende Risiken kaum bemerkt werden und an den regulierenden Stellschrauben frühzeitig gedreht werden sollte.

Die Trägheit liegt zum einen darin begründet, dass geldpolitische Maßnahmen erst mit einer Verzögerung wirken. Zusätzlich gestaltet sich der geldpolitische Exit an sich als langwieriger Prozess. So ist trotz des Ausstiegs der US-Notenbank aus ihrer expansiven Geldpolitik ihre Bilanz heute, vier Jahre nach dem Beginn des 'Tapering', noch immer so groß wie zum Zeitpunkt ihres Ausstiegs. Zudem ist die Geldpolitik, trotz Leitzinsanhebungen auf zuletzt 1,00-1,25 %, noch immer konjunkturstützend. Es ist daher auch der EZB anzuraten, früh die Weichen für einen Ausstieg zu stellen, damit im nächsten Aufschwung der Zyklus nicht überschießt und es zu einer Kreditübertreibung kommt.

Eine Betrachtung der Kredit-BIP-Lücke Deutschlands zeigt, dass sich diese Lücke derzeit allmählich schließt, d. h. die Kreditdynamik zu ihrem langfristigen Trend aufschließt. Dies macht aus deutscher Sicht einen zügigen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik notwendig. Da die Geldpolitik in der Eurozone sich jedoch nach allen Mitgliedsländern richten muss, reicht ein Blick auf Deutschland alleine nicht aus. Denn die Entwicklungen zwischen den einzelnen Volkswirtschaften sind durchaus heterogen. So war der Abschwung im Kreditzyklus in Frankreich nach den Krisenjahren nur mäßig stark, wodurch die zweitgrößte Volkswirtschaft im Währungsraum schon heute wieder eine durchschnittlich hohe Kreditdynamik zeigt. In den von der Eurokrise stark betroffenen Ländern Südeuropas hingegen, in denen eine deutliche Entschuldung der Wirtschaft notwendig war, zog sich die Abschwungphase im Kreditzyklus länger hin. Ein Tiefpunkt dürfte zuletzt aber erreicht worden sein.

Als Beispiel für eine frühzeitig straffende Geldpolitik kann das Agieren der Deutschen Bundesbank vor Einführung des Euro herangezogen werden. Bei ihrer Politik ließ sich beobachten, dass sie früh innerhalb eines Kreditzyklus mit Zinsanstiegen möglichen Übertreibungen entgegenwirkte (siehe Abbildung). Bereits auf dem Tiefpunkt eines jeden Zyklus begann die Bundesbank den expansiven Charakter der Geldpolitik einzuschränken, wie bspw. auch 1988. Ähnlich wie heute sah sich die deutsche Volkswirtschaft damals mit einem historisch niedrigen Zinsniveau konfrontiert, obwohl das Wachstum der Wirtschaft seit Mitte der 1980er Jahre wieder an Schwung gewonnen hatte. Zudem war die Bundesbank, wenn auch in wesentlich geringerem Maße als heute, durch das Louvre-Abkommen formell an ein Währungsarrangement gebunden, das eine weiter expansive Geldpolitik forderte. Die Bundesbank begann jedoch Mitte 1988 ihre expansive Geldpolitik zu beenden, was international auf Kritik stieß.

Die Bundesbank hatte bei ihrem Vorgehen sicher nicht unmittelbar den Kreditzyklus im Kopf als Grundlage ihrer Entscheidung. Allerdings war die geldpolitische Wende eng mit der Strategie der Geldmengensteuerung verbunden, der die Bundesbank seit Mitte der 1970er Jahre folgte. Das Überschießen der Geldmengenziele in den Jahren 1986 und 1987 ließ eine weniger expansive Geldpolitik angebracht erscheinen. Da das relevante Geldmengenaggregat vor allem auf Basis der Kreditvergabe an inländische Nichtbanken kalkuliert wurde, kam dies einer Orientierung am Kreditzyklus doch sehr nahe. Während es in den Folgejahren, trotz der Wiedervereinigung, zu keiner Kreditblase in Deutschland kam, zeigten sich zu Beginn der 1990er Jahre in anderen Volkswirtschaften zahlreiche Banken- und Finanzkrisen in Folge von Kreditblasen, so in Italien (1990), Finnland (1992), Japan (1992) und Frankreich (1994). In diesen Ländern hatte der Kreditzyklus bereits einige Jahre vorher begonnen, weshalb die Straffung der weltweiten Geldpolitik im Zuge der Aufwertung der Deutschen Mark für diese Staaten zu spät kam.

Die EZB ist durch ihr Mandat zwar vorrangig auf die Schaffung von Preisstabilität verpflichtet, jedoch soll sie auch zur Förderung der Finanzstabilität im Währungsraum beitragen, weshalb eine alleinig an der Inflationsrate ausgerichtete Politik ihrem Auftrag nicht gerecht wird. Dabei kommt dem Kreditzyklus eine zentrale Rolle zu, da eine übermäßige Kreditdynamik oftmals auf das Entstehen von Finanzkrisen verweist. Daher fand der Kreditzyklus als maßgebliche Richtgröße für den antizyklischen Kapitalpuffer zuletzt auch Eingang in die Regulierungspraxis. Eine am Kreditzyklus stärker orientierte Geldpolitik kann jedoch frühzeitig einer Kreditübertreibung entgegenwirken und nicht erst durch die Regulierung Wirkung entfalten, wenn sich bereits Übertreibungen in den Bankbilanzen niedergeschlagen haben. In eng verflochtenen Märkten, wie dem des Euroraums, können solche Instabilitäten dann schnell auf andere Wirtschaften überspringen. Ein Ausstieg der EZB aus ihrer extrem expansiven Geldpolitik ist daher noch in diesem Jahr angeraten.

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