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Gericht verneint BSV-Deckung: Was das OLG Hamm sagt und was es andeutet

Das OLG Hamm hat zu einem Beschluss vom 15.07.2020 am 29.07. die Pressemitteilung  „Zum Deckungsschutz aus einer Betriebsschließungsversicherung bei einer Betriebsschließung wegen des Corona-Virus“ veröffentlicht. Die Überschriften in Berichten zu diesem Beschluss in einigen Medien und bisweilen auch die Inhalte sorgen für Irritationen.

„Wenn eine Gaststätte wegen Corona schließt, muss die Versicherung nicht bezahlen – auch wenn die Inhaberin gegen eine Betriebsschließung versichert war. Das hat das Oberlandesgericht Hamm im Eilverfahren entschieden“, schreibt die Rheinische Post.

Das aber gibt der Hammer Beschluss nicht her. Ebenso wenig verallgemeinernde Darstellungen, wonach dies ein gutes Urteil für – pauschal – ‚die Versicherer‘ ist. Es ist ein konkreter Fall mit konkreten Formulierungen der AVB. Es kommt auf jedes Wort an. Was das OLG Hamm wirklich sagt, was es womöglich andeutet und was das an Aussagekraft für weitere Gerichtsverfahren haben könnte, haben wir für Sie auf Basis von Beschluss und Presseinfo beleuchtet.

Kommen wir zunächst zum Sachverhalt: Die Klägerin ist Inhaberin einer Gaststätte in Gelsenkirchen und hatte vor den Änderungen der Corona-Rechtslage einen BSV-Vertrag abgeschlossen. Nach der coronabedingten Schließung ihres Betriebes erhielt sie aber keine BSV-Leistung und verlangte daher per Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom Versicherer fast 27.000 €.

Das hat das LG Essen mit Beschluss vom 16.06.2020 (Az. 18 O 150/20) zurückgewiesen. Auch die sofortige Beschwerde der Gastwirtin beim OLG Hamm hatte keinen Erfolg, diese wurde mit Beschluss vom 15.07.2020 (Az. 20 W 21/20) zurückgewiesen.

Blicken wir als nächstes auf den (möglichen) weiteren Verfahrensverlauf:

„Gegen Berufungsurteile im einstweiligen Rechtsschutz besteht kein weiteres Rechtsmittel. Diese sind unanfechtbar, sodass der BGH in dieser Sache zunächst nicht entscheiden kann. Allerdings wird es wohl noch ein Hauptsacheverfahren geben, auf das das OLG Hamm ausdrücklich hingewiesen hat.

Bei dem einstweiligen Rechtsschutz handelt es sich um ein summarisches Verfahren zur Sicherung eines Anspruchs bzw. zur einstweiligen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Das Hauptsacheverfahren darf damit nicht vorweggenommen werden“, erläutert Rechtsanwältin Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partnerin in der Kanzlei Michaelis gegenüber ,vt‘. Im Hauptsacheverfahren könnten neue Argumente auf den Tisch gelegt werden, allerdings erscheint im konkreten Fall ein anderer Ausgang unwahrscheinlich.

Besondere Bedeutung haben die zugrunde liegenden AVB: Hierzu übermittelt das OLG keine vollständige Klausel, sondern lediglich Auszüge. Die Aufzählung der „versicherten“ Krankheiten und Krankheitserreger in den vereinbarten Versicherungsbedingungen erfolgt mit dem Wortlaut „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)“. Dem schließt sich eine „ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern“ an, so das OLG in der Presseinfo, „wobei Covid-19 und Sars-Cov-2 (auch sinngemäß) nicht genannt sind“, steht zudem im Beschluss.

Daraus folgert das OLG: „Der Klammerzusatz (‚vgl. §§ 6 und 7 IfSG‘) führt bei diesem Wortlaut nicht etwa zu einer Auslegung dahin, dass ‚dynamisch‘ (auch) auf spätere Änderungen des Infektionsschutzgesetzes verwiesen werde“, so im OLG-Leitsatz. Das „mache dem – für die Auslegung maßgeblichen – durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen wolle“, verdeutlicht die Presseinfo.

Zu Auswirkungen auf andere Verfahren mit anderen Klauseln sagt RAin Pagel: „In der zugrundeliegenden Konstellation sieht das OLG Hamm nun offenbar die vorgenommene Aufzählung als abschließend an. Besonders ist an der verwendeten konkreten Klausel – im Unterschied zu anderen in der Praxis bekannten Klauseln – insbesondere das Wörtchen ‚nur‘. Diese Klausel wird als eine der somit engsten Formulierungen in der Praxis anzusehen sein.

Davon ausgehend, dass in dem hier konkret überprüften Fall dadurch eine sehr strenge Einschränkung auf die benannten Infektionskrankheiten vorgenommen wird, kann sich für andere Vertrags-Konstellationen und Formulierungen durchaus – gegebenenfalls auch schon im einstweiligen Rechtsschutz – abweichend eine Einstandspflicht des Versicherers ergeben.“

Wir sind zudem gespannt, ob es nicht auch eine andere Interpretation als die des OLG geben wird: ‚Nur‘ könnte sich auch auf das IfSG beziehen. Und beim IfSG wird kein konkreter Stand des IfSG genannt, womit interpretiert werden könnte, dass immer die aktuelle Fassung gemeint ist. Also „nur“ die Krankheiten und Erreger in der aktuellen Fassung des IfSG, womit dann doch die aufgezählten Krankheiten und Erreger vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer als beispielhafte Aufzählung interpretiert werden könnten. Das aber ist Spekulation, da der Beschluss nicht den vollständigen Wortlaut der Bedingung zitiert.

Keine Aussage zu Allgemeinverfügungen: Neben, oder besser nach der Frage, ob Corona ‚drin‘ ist, lautet die häufig umstrittenste Frage, ob das Coronavirus als Versicherungsfall-Auslöser auf Basis von Allgemeinverfügungen anzuerkennen ist oder nur dann, wenn die intrinsische Betroffenheit gegeben ist – also wenn die Schließung auf Grund eines im Betrieb vorliegenden konkreten Infektionsfalles angeordnet wurde. Der Pressemitteilung und dem Beschluss lässt sich dazu nichts entnehmen.

Ob der Aspekt nicht ins Verfahren eingeführt wurde oder ob man sich damit gar nicht mehr weiter befasste, weil bereits Schritt 1 – Corona ist in den AVB nicht ‚drin‘ – zur Ablehnung führte, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist u. E., dass sich aus dem Beschluss auch zu dieser umstrittenen Frage keine allgemeine Richtungstendenz ableiten lässt.

Was das OLG sonst noch sagte: „Hinweis: Im Streitfall war der Versicherungsvertrag geschlossen vor dem 23.05.2020 (In-Kraft-Treten einer Änderung des IfSG) und auch vor der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht vom 30.01.2020“, schreibt das OLG im Beschluss. Der Vertrag wurde also mindestens Anfang 2020 abgeschlossen, kann aber auch schon deutlich älter sein. Das konkrete Abschlussdatum lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen und weder das OLG Hamm noch das LG Essen konnte auf ‚vt‘-Anfrage das Abschlussdatum nennen.

Wir spekulieren: Wäre der Vertrag geschlossen worden, als das Coronavirus schon bekannt war, dann hätte die VN ‚sehenden Auges‘ einen nur beschränkten Versicherungsschutz vereinbart – und erst recht keinen Anspruch. Aber dann hätte das OLG wohl auch so argumentiert. Oder will das OLG, weil der Vertrag schon lange vor ‚Corona‘ abgeschlossen wurde, andeuten, dass der Versicherer das Risiko nicht versichern konnte bzw. unbekannte Risiken nicht versichern wollte und damit die Bedeutung des Wörtchens ‚nur‘ in den AVB unterstreichen?

Das sorgt für Spannung im Hauptsacheverfahren. RAin Pagel hat einen weiteren Hinweis im Beschluss entdeckt, dort heißt es: „Zudem hat – unabhängig davon – das Landgericht zu Recht auch einen Verfügungsgrund verneint. Unter Berücksichtigung aller Umstände wäre – auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin – eine Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht gerechtfertigt.“ Die Rechtsanwältin sagt:

„Offenbar sieht das OLG Hamm unter Umständen noch weitere Möglichkeiten der Durchsetzung des Anspruchs des Versicherungsnehmers im Hauptsacheverfahren, worauf (vorsichtig) mit der Formulierung ‚eine Vorwegnahme der Hauptsache (sei) hier nicht gerechtfertigt‘ am Ende des Beschlusses hingewiesen wird. Das bedeutet, dass dem Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall der weitere Rechtsweg jedenfalls nicht abgeschnitten wird. Es ist aktuell aber fraglich, ob sich das OLG Hamm in Zukunft in diesem speziellen Fall in rechtlicher Hinsicht noch anders positionieren wird.“

‚vt‘-Fazit: Lassen wir die Spekulationen bei Seite und fassen die Fakten zusammen: Es liegt ein Beschluss vor, der zu Gunsten des Versicherers ausfällt, der diese konkreten AVB-Formulierungen verwendet. Gerade wenn es auf das Wörtchen ‚nur‘ entscheidungsrelevant ankommt, dann liegt erst Recht kein richtungsweisendes Urteil vor.

Zum einen, weil demnach die AVB eine abschließende Aufzählung enthalten, und einem Versicherer, der dann nicht zahlt, kein Vorwurf der Leistungsverweigerung zu machen ist. Zum anderen, weil die meisten uns bekannten AVB dieses ‚nur‘ nicht kennen. Es ist und bleibt also eine Entscheidung zu einer speziellen AVB-Einzelfallkonstellation. Spannend, aber nicht richtungsweisend.  (Der Beschluss und die Presseinfo können hier heruntergeladen werden.)

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