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Tipps und Lösungsansätze zum Problemfall Betriebsschließungsversicherung

Die Betriebsschließungsversicherung (BSV) bzw. die Frage der Leistungspflicht im Zuge des Coronavirus und Betriebsschließungen auf Basis von Allgemeinverfügungen wird weiterhin sehr emotional mit unterschiedlichen Sichtweisen und Rechtsauffassungen diskutiert.

,vt‘ verfolgt weiter einen lösungsorientierten Ansatz, da langjährige Rechtsstreitigkeiten den akut betroffenen Betrieben nicht helfen, Versicherungsmakler zusammen mit ihren Kunden im Regen stehen und für die Gesamtbranche in den Publikumsmedien und der Politik ein schwerer Imageschaden droht, wenn angesichts der akuten Krise sich dennoch an kleinteiligen AVB-Auslegungen festgebissen statt geholfen wird. Das ist kein Appell an Kulanz, wenn die AVB abschließend und unmissverständlich auflisten, welche Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind.

Es geht um die vielen strittigen Auslegungssituationen, und abseits davon und von drohenden Gerichtsverfahren appellieren wir an eine gemeinsame Branchenlösung. Kommen wir zunächst zu verschiedenen Sichtweisen: Das neuartige Coronavirus steht zwar weiterhin nicht im Infektionsschutzgesetz (IfSG). Aber per Verordnung, der CoronaVMeldeV vom 30.01.2020, wurde die Meldepflicht nach § 6 und § 7 IfSG ausgedehnt auf „2019-nCoV“. Bereits hier könnte die Auffassung vertreten werden, dass das Coronavirus nicht den Versicherungsfall auslöst, da es im IfSG nicht aufgeführt ist.

Aber da wird man damit argumentieren können, „dass die Verordnung, welche auf das IfSG verweist, ebenfalls eine ausreichende Grundlage für den Versicherungsfall bildet. Im Übrigen gibt es auch noch den Auffangtatbestand des § 7 Abs. 2 IfSG für namentlich im Abs. 1 nicht genannte Krankheitserreger“, erläutert Fachanwältin für Versicherungsrecht Dr. Tamara Knöpfel/Berlin auf Anfrage der ‚vt‘-Redaktion.

Das dürfte demnach noch der geringste Streitpunkt sein. Versicherer weisen uns aber darauf hin, dass die BSV nicht für den Pandemie-Fall konzipiert ist. Basis der Prämienkalkulation sei, auch mit Blick auf die Prämienhöhe ersichtlich, die Schließung eines Betriebes durch die zuständige Behörde, nachdem dort ein Fall mit nach dem IfSG meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger aufgetreten ist.

Auch Oliver Drewes, Vorstand der PHÖNIX MAXPOOL Gruppe, verweist in einer Videobotschaft auf YouTube auf das Problem der Kalkulation flächendeckender Schäden: „Einzelne Schäden schon, und so ist alles, was es jetzt gibt an Klauseln und an Produkten kalkuliert dafür, dass ein Betrieb umfällt.“ Dabei liegt die Betonung auf einzelne Betriebe im Gegensatz zu ‚flächendeckend‘.

Die logische und wohl auch zutreffende Darlegung soll indes nicht zugleich die richtige Auslegung der AVB bedeuten. Das ist eine andere Baustelle, macht Fachanwalt für Versicherungsrecht Tobias Strübing, Partner in der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte, klar: „Entscheidend ist das, was sich den Bedingungen entnehmen lässt und was ein Kunde verstehen muss.

Dabei kommt es allenfalls auf den Sinn und Zweck an. Historische Argumente, gesetzliche Argumente oder die Prämienkalkulation spielen bei einer Auslegung und Wertung nie oder nur sehr selten eine Rolle, weil der Durchschnittskunde solche Informationen nicht hat und ihm auch nicht zuzumuten ist, sich solche Informationen zu besorgen. Deswegen spielt es eben auch keine Rolle, was in der Prämie einkalkuliert war oder ist, jedenfalls nicht für eine Auslegung in unserem rein rechtlich verstandenen Sinn.“ 

Ob das neuartige Coronavirus den Versicherungsfall auslöst, ist dabei einer der großen Streitpunkte. „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“ Allein diese AVB-Regelung wird unterschiedlich ausgelegt, je nachdem, ob hinter ‚folgenden‘ ein Komma folgt oder nicht oder ob ‚folgenden‘ fett gedruckt ist oder nicht.

Die BSV-Experten der Kanzlei Michaelis erläutern mit Blick auf AVB, die abschließend die Krankheiten aufzählen: „Diese Aufzählung könnte möglicherweise auch als rechtlich zulässig und damit als ‚abschließend‘ angesehen werden. Da logischerweise bei der Erstellung der Versicherungsbedingungen der Erreger Covid-19 (Coronavirus) noch nicht bekannt war, ist er folglich auch in der Auflistung nicht enthalten. Versicherungsbedingungen, die sehr klar und transparent abgrenzen, dass nur bekannte Krankheiten unter den Versicherungsschutz fallen, hingegen nicht neue und unbekannte Krankheiten, diese Versicherer könnten möglicherweise argumentieren, dass kein Versicherungsschutz bestünde. Dabei wird allerdings nur auf den Wortlaut der Bedingungen verwiesen. Für die Rechtsprechung und insbesondere auch für den Bundesgerichtshof (BGH) ist es mehr als eindeutig, dass regelmäßig die Sichtweise eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers maßgeblich ist.“

Ein zweiter großer Streitpunkt entzündet sich an der Frage, ob Betriebsschließungen auf Basis der gegenwärtigen Allgemeinverfügungen den Versicherungsfall auslösen. Aus Versicherersicht ist die Voraussetzung für eine Entschädigung, dass die zuständige Behörde aufgrund einer nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheit oder eines Krankheitserregers am Versicherungsort die Betriebsschließung anordnet. Daher seien Allgemeinverfügungen nicht vom BSV-Versicherungsschutz umfasst.

Dazu Rechtsexpertin Dr. Knöpfel: „Auch die Frage, ob eine Allgemeinverfügung ausreicht, ist rechtlich ebenfalls offen. Tatsächlich verlangt der Wortlaut der Versicherungsbedingungen die Schließung durch eine Behörde. Auch im Versicherungsrecht gibt es jedoch die Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung – zwar nicht in einem Verbandsklageverfahren – jedoch im Individualprozess. Für den Versicherungsnehmer – auf dessen Sicht es bei der Auslegung ankommt – macht es keinen Unterschied, ob die Betriebsschließung durch die Gesundheitsbehörde oder durch die Landesregierung oder nachgeordneten Landesbehörde aufgrund einer Allgemeinverfügung erfolgt.

Die Betriebsschließung ist hoheitlich angeordnet, das ist der Umstand, auf welchen es im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ankommt. Aus diesem Grund, wird man davon ausgehen müssen, dass eben auch die Betriebsschließung – und nach meiner Auffassung noch weitergehend – die Beschränkung der Öffnungszeiten – den Versicherungsfall auslösen.“ Zeit für ein ,vt‘-Zwischenfazit:

Es prallen konträre Sichtweisen und (Rechts-)Auffassungen aufeinander. Es dürfte richtig sein, dass Versicherer die BSV nicht für den Pandemie-Fall konzipiert und kalkuliert haben. Allerdings wurde auch kein Pandemie-Ausschluss vorgenommen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass Versicherer hier nicht ohne Einvernehmen mit den jeweiligen Rückversicherern agieren. Auch wenn wir hier ausschließlich Rechtsexperten-Meinungen veröffentlichen, die in der AVB-Auslegung oftmals gute Chancen für den VN erkennen, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch andere fundierte Auffassungen gibt.

Versicherer und Rückversicherer werden sich wohl kaum nur auf interne Juristen-Auffassungen stützen, sondern wohl auch Rechtsgutachten haben, auch wenn diese (momentan) nicht veröffentlicht werden. Leider, denn im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung und als Basis für Ihre Meinungsbildung und insbesondere für Informationen an Ihre betroffenen Kunden hätten wir gerne auch fundierte Begründungen für die Rechtsauffassung der Versicherer geliefert.

Wir haben Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Joachim Grote, Geschäftsführender Partner BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Allerdings, so teilt uns ein Sprecher der Versichererkanzlei mit, werden wir um Verständnis gebeten „dafür, dass wir uns zu Ihrer Anfrage nicht äußern möchten“. Im Zuge der aktuell dynamischen Meinungsbildung wollen wir uns erst recht nicht an eine Prognose wagen, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung aussehen wird. Aber wir haben zwei Überlegungen zum aktuellen Umgang mit der BSV-Problematik:

Wenn die Leistungs-Ablehnung erfolgt, weil eine Allgemeinverfügung ausgesprochen wurde bzw. die zuständige Behörde nicht die Schließung des konkreten Betriebs angeordnet hat, stellt sich die Frage, ob ein individuell auf den jeweils betroffenen Betrieb bezogenes Schreiben der regional zuständigen Behörde Abhilfe schaffen könnte. So hat sich Versicherungsmakler Ralf Schollmeyer, RS-Finanzservice/Aufhausen, an ‚sein‘ Landratsamt gewandt „bzgl. der Ausstellung einer Bescheinigung über die persönliche Betroffenheit meines Mandanten“.

Allerdings „ohne Erfolg, laut Aussage ist es den Behörden untersagt“, berichtet Schollmeyer. Sollte es aber Versicherern ermöglichen, nach AVB die Versicherungsleistung zuzusagen, wenn die regional zuständige Behörde eine individuelle Schließung anordnet bzw. diese bestätigt, dann dürfte der Gesetzgeber gefordert sein, kurzfristig zu erlauben, was den Behörden scheinbar momentan verboten ist. Ein toller Einsatz Ihres Kollegen Schollmeyer, hier bleiben wir für Sie am Ball!

Unabhängig davon appellieren wir, wie schon in der Vorwoche berichtet (vgl. ‚vt‘ 13/20) an einen lösungsorientieren Ansatz der Versicherungsbranche. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten helfen den Betroffenen nicht. Gefordert ist angesichts der von niemandem für möglich gehaltenen flächendeckenden Schäden eine pragmatische Lösung miteinander, die den Betroffenen zügig hilft. Der Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e.V. hat in einer Pressemitteilung am vergangenen Freitag der Versicherungswirtschaft vorgeschlagen, für „die Betroffenen der Betriebsschließungsversicherungen, die ja (angeblich) keinen Versicherungsschutz haben sollen, einen Solidaritätsfonds über z. B. 200 Mio. Euro aufzulegen“.

Ein interessanter Vorschlag, zu dem wir direkt den GDV u. a. um Stellungnahmen gebeten haben  ++ wie der GDV zu einem solchen Solidaritätsfonds steht und  ++ ob ein solcher in Planung ist. „Eine Fondslösung sehen wir kritisch, sie schafft zusätzliche Bürokratie und verlangsamt insgesamt den Prozess“, teilt der Versichererverband mit und beteuert zugleich: „Die Versicherungswirtschaft weiß um die schwierige Situation vieler Betriebe und kennt ihre Verantwortung gegenüber ihren Kunden.“ Die gute Botschaft lautet: „Deswegen suchen wir im Gespräch mit der Politik nach einer möglichst schnellen Lösung, die rasch zusätzliche Liquidität für geschlossene Betriebe schafft.“

‚vt‘-Fazit: Wie auch immer die Lösung aussieht oder sich nennt: Es sind zügige Soforthilfen auch unter Einbindung der Versicherungswirtschaft gefragt, keine zeitraubenden Gerichtsverfahren. Kunden und deren Berater dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden. Die Versicherungswirtschaft kann jetzt etwas für ihr Image in der Öffentlichkeit und der Politik tun – in beide Richtungen, positiv oder negativ. Gut, dass der GDV sich der Verantwortung bewusst ist. Jetzt müssen nur noch Taten folgen.

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