Aktuelles

BaFin-Abfrage zu Kosten: Bestehen vertriebliche Interessenskonflikte?

Dass unangemessen hohe Produktkosten die Rendite schmälern, ist keine neue Erkenntnis. Die eigentlichen Kernfragen, an deren Beantwortung man sich immer reiben wird, sind: ++ Welche Kostenbelastung ist überhaupt angemessen und  ++ wie viel darf hiervon an den Vertrieb weitergeleitet werden? Albert Einstein erkannte bereits: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ So einfach macht es sich allerdings die BaFin nicht und hat erneut die Kosten von Versicherungsanlageprodukten (Lebensversicherungsverträgen mit Fälligkeits- oder Rückkaufswert) unter die Lupe genommen. Hierzu hat die Aufsichtsbehörde die deutschen Lebensversicherer im vergangenen Jahr u. a. nach den Effektivkosten befragt und hierbei aktuell „Verbesserungsbedarf“ im Produktfreigabeverfahren als auch beim Umgang mit potenziellen Interessenskonflikten im Vertrieb laut ihren Ableitungen aus den ermittelten Ergebnissen festgestellt. Um was geht es in der Studie genau?

Die BaFin unterstellt bei ihren Überlegungen, dass hohe Kosten darauf hindeuten, das Preis-Leistungs-Verhältnis von Versicherungsprodukten sei nicht angemessen. Doch genau dafür müsse ein Versicherer im Produktfreigabeverfahren sorgen, so sehen es die einschlägigen Wohlverhaltenspflichten vor: „Das Produktfreigabeverfahren soll sicherstellen, dass die Produkte eines Versicherers den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kundinnen und Kunden Rechnung tragen“, so die BaFin. Auf europäischer Ebene hat kürzlich die European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) Prinzipien formuliert, um das Preis-Leistungs-Verhältnis zu beurteilen. Bei der Kostenbelastung eines Produkts rückt automatisch auch der Vertrieb in den Fokus, denn hohe Provisionszahlungen an Vermittler implizieren im Auge der Aufseher leicht den Verdacht von Interessenskonflikten.

Die Abfrage der BaFin zu Effektivkosten (Datenerhebung zu den angebotenen Produkten mit den höchsten und niedrigsten Effektivkosten sowie zu den drei Produkten, die im ersten Halbjahr 2021 gemessen an der Beitragssumme den größten Anteil am Neugeschäft hatten) und Rückvergütungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVGen), ergab u. a. für Verträge in Abhängigkeit vom Eintrittsalter und der Vertragslaufzeit bei einem typischen Monatsbeitrag von 100 €:

++ Für ein Eintrittsalter von 37 Jahren und einer Vertragslaufzeit von 30 Jahren betragen die Effektivkosten bei den meistverkauften fondsgebundenen Produkten im gewichteten Mittel 1,9 % (bei der klassischen Lebensversicherung 1,28 %). Bei einem Viertel der Produkte  liegt die Kostenquote unter 1,3 % (1,00), bei der Hälfte unter 1,64 % (1,16 %) und bei Dreiviertel unter 2,35 % (1,43 %) 

++ Je kürzer die Vertragslaufzeit, desto höher sind tendenziell auch die Effektivkosten 

++ Bei der fondsgebundenen LV liegen die Kosten oberhalb der Werte der klassischen LV 

++ Bei allen Eintrittsalter-Laufzeit-Kombinationen gibt es Lebensversicherer, bei denen die Effektivkosten der meistverkauften fondsgebundenen Produkte oberhalb von 4 % liegen. Dem überwiegenden Teil der fondsgebundenen Verträge liegen Aktienfonds zugrunde, die den Versicherungsnehmern ermöglichen, an den Ertragschancen der Aktienmärkte teilzuhaben.

Die BaFin resümiert sodann: „Die im Mittel zu beobachtenden Effektivkosten erscheinen bei den längeren Laufzeiten angesichts dieser Zielsetzung vertretbar. Die höheren Effektivkosten in der Spitze lassen aber ernsthaft daran zweifeln, dass die Produktfreigabeverfahren den Interessen, Bedürfnissen und Merkmalen des Zielmarktes ausreichend Rechnung getragen haben – so, wie es die Wohlverhaltensregeln vorgeben.“

Bei rund einem Drittel des Neugeschäfts der meistverkauften fondsgebundenen Produkte zahlen die KVGen Rückvergütungen an den Lebensversicherer. Im gewichteten Mittel liegen diese bei gut 0,30 % p. a. und reichen bis gut 1,20 % p. a. Bei etwa 80 % davon seien allerdings spezielle Überschussanteile vorgesehen, mit denen die Versicherungsnehmer gezielt an den Rückvergütungen der individuellen Fonds beteiligt werden.

Bei etwa einem Viertel erstatten die Lebensversicherer vollständig den Versicherungsnehmern die Rückvergütungen und im gewichteten Mittel zu ca. 52 %. Bei den restlichen rund 20 % (bzw. 6,67 % prozentual betrachtet in Bezug zu allen Produkten) gibt es keine speziellen Rückvergütungsregeln, so die BaFin, und erklärt dazu:

„Zwar erhöhen die Rückvergütungen der KVGen auch in diesen Fällen das übrige Ergebnis, an dem die Lebensversicherer die Versicherungsnehmer nach der Mindestzuführungsverordnung zu mindestens 50 % beteiligen müssen. Diese Regelung greift jedoch nur bei einem positiven übrigen Ergebnis und nur auf der kollektiven Ebene des Bestands insgesamt.“

Da die Versicherer darüber hinaus die Überschussbeteiligung aufgrund von § 153 Abs. 2 VVG auch verursachungsorientiert auf die einzelnen Verträge verteilen müssten, also in Abhängigkeit des Beitrages der einzelne Vertrag zur Entstehung der Überschüsse, stehe eine von der individuellen Fondsauswahl unabhängige Überschussbeteiligung hier nicht mehr im Einklang mit dieser Anforderung, kritisiert die Aufsichtsbehörde.

Ebenfalls stört sich die BaFin daran, dass die KVGen nach Kenntnis des Lebensversicherers bei etwa 19 % des Neugeschäfts mit fondsgebundenen Produkten Rückvergütungen direkt an die Vermittler leisten: „Nur in etwas weniger als der Hälfte dieser Fälle kennen die Lebensversicherer die konkrete Höhe (im gewichteten Mittel rund 0,50 %) dieser Rückvergütungen“, moniert die BaFin.

Aus diesen gewonnen Erkenntnissen leitet die BaFin ab, dass  ++ es für einige Lebensversicherer nur eingeschränkt möglich sei, etwaige Interessenskonflikte im Vertrieb zu identifizieren und die gesetzlichen Vorgaben zur Vertriebsvergütung umzusetzen  ++ Vermittler der Verlockung ausgesetzt seien, Fonds mit den höchsten Rückvergütungen zu empfehlen  ++ es sich bei Rückvergütungen de facto um eine zusätzliche Vertriebsvergütung handele und tendenziell die Kosten des Produkts erhöhe und dadurch das Preis-Leistungs-Verhältnis aus der Perspektive der Versicherungsnehmer Gefahr laufe, von diesen als nicht mehr angemessen eingestuft zu werden.

‚vt‘-Fazit: Wo die Kosten im Einzelfall über die Stränge schlagen, muss selbstverständlich auch im Sinne des Marktes Einhalt geboten werden. Gegen die ermittelten Effektivkosten bei Lebensversicherungen im gewichteten Mittel übt die BaFin keine Kritik, was grundsätzlich erfreulich ist und sowohl für eine hohe Kostendisziplin auf Produktgeberseite als auch im Vertrieb spricht.

Interessant wäre an der Stelle zu wissen, wie viele Produkte in Summe und prozentual zum Gesamtmarkt überhaupt bei den Kosten oberhalb von 4 % liegen. ‚vt‘ wird für Sie versuchen, nähere Details hierzu in Erfahrung zu bringen. Will die BaFin die Kostenspitze einfach wegstreichen, sinkt das durchschnittliche Mittel automatisch weiter ab. Bis wohin und wie tief will die BaFin die Provisionen am Ende fallen sehen?

Die Spirale ließe sich so in immer weiteren Kostenabsenkungsschritten fortwährend nach unten führen, solange es keine sozialistische Einheitsprovision für alle Produkte (auf niedrigster Stufe) gibt. Doch sowohl die Qualität auf Produktebene hat ihren Preis als auch die Beratungsleistung gegenüber den Versicherungsnehmern muss angemessen vergütet werden.

Die Branche wird sich auf erneute Provisionsdiskussionen mit dem Gesetzgeber in der Zukunft einstellen müssen, solange sich auch die BaFin als verlängerter Arm der Politik nicht zufrieden zeigt. ‚vt‘ wird selbstverständlich auf politischer Ebene wachsam bleiben und sich gemeinsam mit der von uns koordinierten Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) für die Branchenbelange kräftig ins Zeug legen.

Dieser Beitrag ist frei lesbar. Wenn Sie den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem ‚versicherungstip‘-Chefredakteur nutzen, umfassend und zeitnah informiert und vollen Zugriff auf alle Print- und Digital-Leistungen von ‚versicherungstip‘ haben möchten: Sichern Sie sich umgehend die volle Leistungspalette  mit einem

'versicherungstip'-Abonnement.

Damit erhalten Sie

• wöchentlich die 'versicherungstip'-Ausgabe per Post

• dazu Spezial-Beilagen aus den Bereichen Beratung, Recht und Steuern

• vollen digitalen Zugriff auf alle Berichte in versicherungstip ab dem Erscheinungstag

• vollen digitalen Zugriff auf alle Service-Unterlagen (Urteile, Verordnungen, Gesetzentwürfe, Anwendungschreiben etc.)

• vollen digitalen Zugriff auf unsere Volltext-Suche in allen 'vt'-Veröffentlichungen seit 2002 für Ihre Recherche und

•  Sie können den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem Chefredakteur nutzen.

Hier finden Sie weitere Informationen zum 'versicherungstip' und zur Leistungspalette.

 

 

Teilen Sie diese Neuigkeit in Ihrem Netzwerk