Aktuelles

Bei den Folgen des BGH-Urteils für GFV sind auch Rückversicherer noch in der Prüfung

Bei der Frage, ob das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.12.2024 (Az.: IV ZR 498/21) Folgen für die von Lebensversicherern angebotene Grundfähigkeitsversicherung (GFV) hat, insbesondere ob die VVG-§§ zur Lebensversicherung auf die GFV Anwendung finden oder nicht (vgl. ‚vt‘ 04 und 05/25), wird teilweise auch auf die Bundestagsdrucksache 16/3945 zur VVG-Novelle 2008 hingewiesen.

Ganz so einfach scheinen die Antworten auf unsere Fragen allerdings nicht zu sein, wenn der GDV zwar betont, dass eine von einem Lebensversicherer angebotene GFV als LV kalkuliert sei und daher „für das Produkt die Vorgaben der §§ 150ff. VVG“ gelten, zugleich aber einräumt, „der Verband wird sich tiefgehend mit dem Urteil auseinandersetzen“ (vgl. ‚vt‘ 06/25). Auch die Antworten von Rechtsexperten und GFV-Anbietern auf unsere Fragen fördern bisher zu Tage, dass es unterschiedliche, gegensätzliche Rechtsauffassungen gibt (vgl. ‚vt‘ 07/25).

Wir erweitern dies heute um weitere Stellungnahmen von GFV-Anbietern und Rückversicherern: ++ Dortmunder Lebensversicherung AG und VOLKSWOHL BUND Lebensversicherung a.G.: „Das BGH-Urteil vom 11. Dezember 2024 (Az.: IV ZR 498/1) zur Wirksamkeit einer Bedingung über die ordentliche Kündigungsmöglichkeit eines Unfallversicherers haben wir zur Kenntnis genommen. Derzeit prüfen wir noch, ob und gegebenenfalls welche konkreten Rechtsfolgen für uns als Lebensversicherer aus dem Urteil resultieren. Bei unserer Prüfung werden wir u.a. auch die Stellungnahme des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) berücksichtigen. Fest steht aber, dass unsere Vertriebs­partner sowie auch unsere Kundinnen und Kunden sich weiterhin auf den langfristigen Bestand ihrer Arbeitskraftabsicherung bei uns verlassen können. Weder die Grundfähigkeitsversicherung €XISTENZ der VOLKSWOHL BUND Lebensversicherung a.G. noch die Grundfähigkeitsversicherung PLAN D der Dortmunder Lebensversicherung AG sehen in den Bedingungen ein ordentliches Kündigungsrecht durch den Produktgeber vor. Wir planen auch nicht, ein ordentliches Kündigungsrecht in unsere Versicherungsbedingungen einzufügen.“ 

++ ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG: „Das Urteil des BGH bezieht sich zunächst auf Grundfähigkeitsversicherungen der Sachversicherungssparte. Inwieweit das für uns bei ERGO, die wir die Grundfähigkeitsversicherung in der Lebensversicherung betreiben, Anwendung findet, ist noch nicht abschließend geklärt.“ 

++ Die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft hat offenbar keine eigene Auffassung, sondern macht sich die ihrer Erstversicherungs-Tochter zu eigen: „Danke für Ihre Anfrage. Die ERGO-Kollegen hatten Ihnen ja schon kürzlich geantwortet. Darüber hinaus möchten wir uns nicht äußern.“

++ Hannover Rück SE: „Besten Dank für Ihre Anfrage. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir eine Antwort liefern können. Sollten wir etwas für Sie haben, melden wir uns.“ – Wir haben der Hannover Rück mitgeteilt, dass wir im Nachgang zu dieser Veröffentlichung deren Rechtsauffassung umgehend publizieren, sobald uns die Antwort geliefert wurde 

++ Deutsche Rückversicherung AG: „Da sich beide Fachexperten, die sich in unserem Haus mit dem o. g. Themenkomplex befassen, leider parallel in Urlaub befinden, bringt uns dies in die unglückliche Lage, dass wir Ihre Anfrage leider bis zum von Ihnen genannten Redaktionsschluss nicht beantworten können.“ – Wir haben der Deutsche Rück eine Fristverlängerung von 14 Tagen zugesagt mit dem Hinweis, dass wir aufgrund der hohen Bedeutung des Themas für Erstversicherer, Versicherungsvermittler und Versicherungsnehmer das Thema weiterhin mit Wertungen der Anbieter und Rückversicherer begleiten werden.

++ Die NÜRNBERGER Lebensversicherung AG haben wir neben der GFV auch zu deren Schwere-Krankheiten-Versicherung (SKV) befragt  ++ „Richtigerweise stellen Sie fest, dass es in dem Urteil des BGH vom 11.12.2024 (Az.: IV ZR 498/21) um eine Unfall-Kombirente eines Sachversicherers ging. Man muss an dieser Stelle noch ergänzend anführen, dass sich der VR in der Nr. 10.2 Abs.2 AUB 2008 ein ordentliches Kündigungsrecht vorbehalten hatte. In unseren AVB der Grundfähigkeitsversicherung (im Folgenden NGF) und des Erstfallschutzes (im Folgenden NES) fehlt aber eine ebensolche Vereinbarung. Die Nürnberger kalkuliert beide Produkte nach Art der Lebensversicherung und bietet sie auch als solche an. Aber was bedeuten diese Unterschiede in der Produktgestaltung? Leistungsauslöser sind beim NES nicht nur die versicherten schweren Erkrankungen, sondern auch den Tod der versicherten Person. Der NES stellt also eine Risikolebensversicherung dar, auf welche unstrittig die Normen für Lebensversicherungen §§ 150 ff. VVG Anwendung finden. Was gilt für den NGF? Auch hier finden nach unserem Verständnis weiterhin die Vorgaben über die Lebensversicherungen §§ 150 ff. VVG Anwendung. Der BGH hat sich nämlich lediglich mit der Frage beschäftigt, ob für die als Sachversicherung angebotene Unfall-Kombirente die speziellen Normen der Lebensversicherungen gelten. Er hat dabei aber die Geltung der Vorgaben zur Lebensversicherung (§§ 150 ff. VVG) – speziell auch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Versicherer – für die Grundfähigkeitsversicherungen, die als Lebensversicherungen kalkuliert und angeboten werden, gar nicht in Frage gestellt.“

Sieht die Nürnberger sich berechtigt, bei GFV- oder SKV-Verträgen eine ordentliche Kündigung auszusprechen? Wenn nein, warum nicht? „Nein, insbesondere müssen unsere Bestandskunden wegen des Urteils keinerlei Konsequenzen befürchten. So sind unsere NGF- und NES-Tarife nicht mit einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit ausgestattet.“ Schließt die Nürnberger aus, zukünftig bei der GFV oder SKV eine ordentliche Kündigung in den AVB zu vereinbaren? „Die Nürnberger beabsichtigt derzeit auch nicht diese Option in die AVB der beiden Produkte aufzunehmen.“

Ist die GFV (SKV) nach Auffassung der Nürnberger eine Arbeitskraftabsicherung? „Den NGF sehen wir als mögliche Alternative an, z. B. wenn die BU aufgrund eines risikobehafteten Berufs nicht bezahlbar ist. Der NES kann aus unserer Sicht eine ergänzende Absicherung zur klassischen Arbeitskraftabsicherung sein.“ Sollten Versicherungsmakler mit Blick auf die unterschiedliche Geltung der VVG-Regelungen bei der Beratung von Kunden die GFV als ‚Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung‘ bezeichnen?

„Bereits vor dem Urteil des BGH war es wichtig, dass der Vermittler den Bedarf des Kunden ermittelt und dem Kunden die Unterschiede zwischen einer GF und einer BU klar und detailliert erläutert. Ob dabei der Begriff ‚Alternative‘ – laut Duden auch ‚zweite, andere Möglichkeit‘ – fällt oder nicht, dürfte unerheblich sein. Die Grundfähigkeitsversicherung kann immer dann eine weitere mögliche Absicherung im Rahmen des Einkommensschutzes darstellen, wenn die BU aufgrund eines risikobehafteten Berufs nicht bezahlbar ist. Es muss aber eines klar sein: Der Leistungsfall ist nicht an die Ausübung eines Berufes angeknüpft, sondern an die Beeinträchtigung oder den Verlust einer versicherten Grundfähigkeit.“

‚vt‘-Fazit: Die AVB der Anbieter sind unterschiedlich, insofern wird es keine für alle Bedingungswerke geltende Antwort geben. Wir haben bei der bisherigen Recherche keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die GFV-Anbieter sich nicht (mehr) an die §§ 150 ff. VVG halten wollen. Ob die Argumentations­kette – da von Lebensversicherern angeboten, ist die GFV nach Art der LV konzipiert und kalkuliert, daher handelt es sich bei der GFV um eine Lebensversicherung, für die die Vorgaben der §§ 150 ff. VVG uneingeschränkt gelten – haltbar ist und ggf. warum, liegt bisher nicht auf dem Tisch.

Ziel unserer Recherche bleibt daher Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für VN und Versicherungsmakler – und für die Lebensversicherer, die GFV anbieten, ob deren Auffassungen auch von deren Rückversicherern so geteilt werden. Die Rechts­auffassung der Rückversicherer kann nicht übergangen werden. Daher ist es bedauerlich, dass bisher von deren Seite keine Positionierung stattfindet. Aber auch da bleiben wir für Sie am Ball!

Dieser Beitrag ist frei lesbar. Wenn Sie den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem ‚versicherungstip‘-Chefredakteur nutzen, umfassend und zeitnah informiert und vollen Zugriff auf alle Print- und Digital-Leistungen von ‚versicherungstip‘ haben möchten: Sichern Sie sich umgehend die volle Leistungspalette  mit einem

'versicherungstip'-Abonnement.

Damit erhalten Sie

• wöchentlich die 'versicherungstip'-Ausgabe per Post

• dazu Spezial-Beilagen aus den Bereichen Beratung, Recht und Steuern

• vollen digitalen Zugriff auf alle Berichte in versicherungstip ab dem Erscheinungstag

• vollen digitalen Zugriff auf alle Service-Unterlagen (Urteile, Verordnungen, Gesetzentwürfe, Anwendungschreiben etc.)

• vollen digitalen Zugriff auf unsere Volltext-Suche in allen 'vt'-Veröffentlichungen seit 2002 für Ihre Recherche und

•  Sie können den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem Chefredakteur nutzen.

Hier finden Sie weitere Informationen zum 'versicherungstip' und zur Leistungspalette.

 

 

Teilen Sie diese Neuigkeit in Ihrem Netzwerk