Viele Lignum-Investoren dürften sich aktuell gefühlt haben wie Fans von Fortuna Düsseldorf nach der Bundesliga-Relegation: Gelang vor dem Kammergericht Berlin in einem Kapitalanleger-Musterverfahren noch ein ungefährdeter Sieg, folgte nun vor dem BGH eine unerwartete Niederlage. Das Kammergericht hatte die Lignum-Prospekte in entscheidenden Punkten als unrichtig abgeurteilt (vgl. 'k-mi' 39/23). Der BGH hat das KG Berlin-Urteil aktuell nun in entscheidenden Feststellungszielen aufgehoben (XI ZB 33/21). Den meisten Lignum-Anlegern dürfte es u. E. zu Recht schwerfallen, die BGH-Entscheidung nachzuvollziehen.
Die Vorgeschichte hatten wir bereits in 'k-mi' 39/23 zusammengefasst: Sehr frühzeitig warnte 'k-mi' bereits ab 2006 vor den gescheiterten Offerten der Lignum Edelholz Investitionen AG, insbesondere vor den Angeboten Lignum nobilis und NobilisPriva (vgl. 'k-mi'-PC 49/06, 05/10, 01-02/13). U. a. warnten wir beim NobilisPriva-Prospekt aus dem Jahr 2013, dass die Aussagen zur Besicherung durch ein Pfandrecht ("Dass aber Ihr Gesamt- Rückfluss aus der Verwertung Ihres Pfandes nicht einmal Ihren Anlage-Betrag erreicht, Sie also einen Vermögensverlust erleiden, kann man weitestgehend ausschließen"), eine absolute Verharmlosung des Risikos darstellen. Auch das Kammergericht sah hierin eine Verharmlosung von Risiken (vgl. 'k-mi' 39/23).
Der BGH sieht dies anders. Das Bizarre an dem aktuellen Beschluss: Der BGH erkennt in den betreffenden Prospekten eine ausreichende Aufklärung über ein Totalverlustrisiko, obwohl der Begriff in den Prospekten gar nicht auftaucht! "Die Verkaufsprospekte enthalten vielmehr eine hinreichend deutliche Darstellung des Totalverlustrisikos. Entgegen der Auffassung des Kammergerichts enthalten die Verkaufsprospekte einen Hinweis auf ein Totalverlustrisiko. Zutreffend ist allerdings, dass in den Verkaufsprospekten die Begriffe 'Totalverlust' oder 'Totalverlustrisiko' nicht verwendet werden." Der Hinweis auf das Totalverlustrisiko werde zudem, so der BGH, nicht durch die Darstellung über die Möglichkeit, das als Sicherheit vorgesehene 'Besondere Pfandrecht' im Fall der Insolvenz zu verwerten, abgeschwächt: "Durch die Formulierung, man könne 'weitestgehend ausschließen', 'dass Ihr Gesamt-Rückfluss aus der Verwertung Ihres Pfandes nicht einmal Ihren Anlage-Betrag erreicht, Sie also einen Vermögensverlust erleiden', wird der Hinweis auf die Folgen der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen nicht entwertet (…) Der – wie oben dargelegt – in den Prospekten vermittelte Gesamteindruck der Möglichkeit eines Totalverlusts wird entgegen der Auffassung des Kammergerichts durch diesen Passus nicht auf eine nicht fassbare geringe Wahrscheinlichkeit zurückgeführt."
Auch der Umstand, dass das Pfandrecht gegebenenfalls in Bulgarien außergerichtlich und/oder gerichtlich durchgesetzt werden muss, hat laut BGH "für die Werthaltigkeit der Sicherheit keine Bedeutung". Unsere Nachfrage bei der Kanzlei Tilp, die im BGH-Beschluss als Prozessbevollmächtigte auf Anlegerseite ausgewiesen wird, zum Zustandekommen dieser bemerkenswert liberalen BGH-Entscheidung blieb leider ohne Reaktion.
'k-mi'-Fazit: Spätestens an diesem Punkt sind wir 'raus': ++ Prospekte, die den Begriff 'Totalverlust oder Totalverlustrisiko' gar nicht enthalten, klären trotzdem genau darüber ordentlich auf? ++ Die Aussage, "dass Sie einen Vermögensverlust erleiden, kann man weitestgehend ausschließen", stellt keine Verharmlosung von Risiken dar? ++ Die Behauptung, das sog. Pfandrecht in Bulgarien ggf. außergerichtlich durchsetzen zu müssen, "hat für die Werthaltigkeit der Sicherheit keine Bedeutung"? ++ Allein der dürftige Umfang des Risikoteils in Lignum-Prospekten, der textlich nur ein Bruchteil des üblichen Standards ausmacht, sollte ein Knock-out-Kriterium sein: Auch wenn die Prospekte vor Inkrafttreten des Kleinanlegerschutzgesetzes aufgelegt wurden, gelten – so die eigene Rechtsprechung des BGH – dieselben Maßstäbe wie für die spezialgesetzlich geregelte Prospekthaftung. Wir halten nicht viel von Richterschelte, aber diese BGH-Entscheidung konterkariert so ziemlich alle Standards der Prospekthaftung zugunsten der Hintermänner. Seriöse Anbieter werden sich zu Recht fragen, warum sie noch mühsam Prospekte mit Risikohinweisen von oft 20–30 Seiten erstellen. Auch dürften Vertriebe, die unsere Warnungen vor Lignum missachtet haben, nicht sonderlich von der aktuellen Entscheidung profitieren, da sie voraussichtlich ohnehin weiter individuell wegen sonstiger Aufklärungsfehler in Anspruch genommen werden.
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