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Erstmals Versicherer-Verteidigungslinien bei BSV-Rechtsstreitigkeiten erkennbar

Im Zuge der Leistungsablehnungen bei der Betriebsschließungsversicherung werden Versicherer häufig als Leistungsverweigerer bezeichnet. Streitpunkte sind häufig, ob das Coronavirus als Krankheitserreger von den AVB erfasst ist und wenn ja, ob das Coronavirus als Versicherungsfall-Auslöser auf Basis von Allgemeinverfügungen anzuerkennen ist oder nur dann, wenn die intrinsische Betroffenheit gegeben ist – also wenn die Schließung auf Grund eines im Betrieb vorliegenden konkreten Infektionsfalles angeordnet wurde.

Zahlreiche Rechtsanwälte vertreten die Auffassung, dass die Versicherer oftmals AVB-gemäß in der Leistungspflicht stehen, zumal ein Bedingungswerk so auszulegen ist wie, verkürzt gesagt, es der Durchschnitts-VN versteht. Bisher war den Ablehnungsschreiben der Versicherer kaum mehr zu entnehmen, als dass Corona nicht ‚drin‘ oder Allgemeinverfügungen keine behördliche Schließung im Sinne der AVB sei. Auch die bisherigen Gerichtsverfahren haben keinen tieferen Einblick in die Argumentation der Versicherer bzw. deren Anwälte gebracht.

Das ist nun anders: Am 30.07.2020 ist das Fachbuch „COVID 19 – Versicherungs- und haftungsrechtliche Aspekte“ im Verlag Versicherungswirtschaft (VVW) erschienen (59 €; ISBN 978-3-96329-340-5). Herausgeber Dr. Theo Langheid, langjähriger Namenspartner der Versichererkanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr, beschäftigt sich mit mehr als einem Dutzend weiterer BLD-Rechtsanwälte und Partner mit den Folgen der Pandemie. Auf 275 Seiten werden diesbezüglich u. a. ++ Infektionsschutzgesetz  ++ Schuldrecht  ++ AGB-Recht  ++ D&O Versicherung  ++ Haftpflichtversicherung  ++ Personenschaden  ++ Reiseversicherung  ++ KV  ++ LV und eben auch  ++ die BSV beleuchtet. Wir greifen zwei Beispiele heraus: Kapitel E befasst sich ausführlich mit dem „AGB-Recht“ und Auslegungsgrundsätzen.

Denn bekanntlich sind AVB entsprechend der BGH-Rechtsprechung so auszulegen, „wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss“. Diese Auslegungsgrundsätze werden auch von den Fachanwälten für Versicherungsrecht herangezogen, die bei den meisten BSV-AVBs eine Leistungspflicht des Versicherers erkennen. Bei BLD liest sich das aber bspw. bzgl. Maßstab ‚Durchschnittlichkeit‘ so:

„(…) Es kann also nicht auf das subjektive Verständnis des Einzelnen ankommen. Das Diktum des BGH, wonach es auf eine verständige Würdigung ankommt, allerdings nach aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs, bedeutet, dass der VN sich weder auf Unverständnis noch auf Unkenntnis berufen kann, wenn nach einem generalisierend-objektiven Maßstab ein bestimmter Vertragsinhalt anzunehmen ist. (…)“

Des Weiteren thematisiert BLD, dass es auf das Verständnis der Mitglieder eines spezifischen Verkehrskreises ankommt, wenn der Vertrag in Bezug auf einen bestimmten Verkehrskreis verwandt wird, explizit hier „Hoteliers, Restaurantbetreiber oder Konzert- und Sportereignisveranstalter“. Ob Gastronomen bei einer Aufzählung von Krankheiten hätten erkennen müssen, dass eine neue Infektionskrankheit nicht zur Leistung führt, lassen wir hier aber dahingestellt.  

Die „Betriebsschließungsversicherung“ wird in Kapitel F behandelt und zunächst die „Deckung für SARS-Cov-2-Virus“ beleuchtet. Auch hier liefert BLD Rechtsauffassungen, die, vorsichtig formuliert, nicht immer deckungsgleich sind zu denen der die VU-Leistungspflicht bejahenden Juristen. Zu Allgemeinverfügung und Rechtsverordnung befassen sich die Autoren u. a. mit den Folgen rechtswidriger Anordnungen:

„(…) Die Wirksamkeit der Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen hängt verfassungsrechtlich davon ab, dass sie die (zutreffende) Ermächtigungsgrundlage nennen. Tun sie das nicht, sind sie nichtig. (…) Mangels Bestehen einer behördlichen Anordnung bei deren Nichtigkeit fehlt es – anders als bei einer bloß materiell rechtswidrigen – an dem Tatbestandsmerkmal einer behördlichen Anordnung als Anspruchsvoraussetzung in den BS-AVB.“

Wir hatten im Zusammenhang mit ‚Corona‘ und ‚BSV‘ viele Rechtsmeinungen recherchiert und veröffentlicht, damit Sie Ihre betroffenen Kunden sachgerecht informieren können. So war uns von Anfang an wichtig, „auch Rechtsauffassungen der Versicherer darzustellen im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung und als Basis für Ihre Meinungsbildung und insbesondere für Informationen an Ihre betroffenen Kunden“, schrieben wir bereits in der ‚vt‘-Ausgabe vom 31.03.2020 (vgl. ‚vt‘ 14/20).

Dazu hatten wir Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Joachim Grote –  Geschäftsführender Partner just der Kanzlei BLD und nun Mitautor des Fachbuches ‚Covid-19‘ – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Allerdings mochte man sich zu unserer „Anfrage nicht äußern“.

Mit Blick auf mögliche Rechtsstreitigkeiten hatten wir empfohlen, dass Angebote der Versicherer individuell geprüft werden sollten und vom VN zu entscheiden ist, ob die Annahme des Angebots sinnvoll ist, und ob ggf. ein versierter Rechtsanwalt eingeschaltet wird, der die Erfolgsaussicht eines Gerichtsverfahrens prüft. Denn das Ab- oder Zuraten, den Gerichtsweg zu beschreiten, kann für Versicherungsmakler ärgerliche Folgen haben.

‚vt‘-Fazit: Auch wenn es sich bei BLD um eine renommierte Kanzlei mit vielen Experten handelt, bedeutet dies ja nicht, dass die Gerichte deren Argumentationen immer Folge leisten. Wer die entsprechenden Kapitel im Fachbuch liest, wird aber wohl zum Ergebnis kommen, dass die Gerichtsverfahren keine Selbstläufer für die VN werden könnten.

Versicherer dürften jedenfalls mehr Rechtsauffassungen und Verteidigungslinien vor Gericht auffahren, als bisher ersichtlich war. Ob man die BLD-Auffassungen und Argumentationen teilt oder nicht – man sollte sie kennen.

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