Wie schätzt die ESMA das Greenwashing-Risiko bei Fonds ein? Eher gering, so die recht eindeutige Botschaft im aktuellen ESMA-Jahresbericht vom 13.06.2025. Laut den neuesten Daten der europäischen Wertpapieraufsicht liegt der Anteil der Fonds mit nachhaltigkeitsbezogenen Merkmalen und gleichzeitig inkonsistenter ESG-Bezeichnung (bezogen auf die Produkt-Unterlagen) unter 1 %. Genau genommen sank diese Kennziffer bzw. dieser Näherungswert als Bestandteil des Greenwashing-Hauptergebnisindikators (”key outcome indicator/KOI”) in den Jahren 2022 bis 2024 von 0,9 % auf 0,7 %. Diese Quote bezeichnet die ”potenzielle Inkonsistenz zwischen den an Kleinanleger gerichteten regulatorischen Dokumenten der Fonds (z. B. PRIIPS-KIDs) und den Namen der Fonds”. Dieser Wert – auch wenn er laut ESMA 'nur' durch automatische Erfassung entsteht – deutet u. E. nicht darauf hin, dass Greenwashing ein existentielles Problem der Branche ist. Ein Wert von unter einem Prozent rechtfertigt womöglich auch gar nicht den gewaltigen regulatorischen Aufwand der EU mittels SFDR, Taxonomie usw.
Auch der zweite Näherungswert bzw. 'proxy' bietet kein Futter für pauschale Greenwashing-Vorwürfe gegenüber der Fonds-Branche. Dieser erfasst bei Fonds mit ESG-Namen die ”potenzielle Nichtübereinstimmung zwischen den Namen der Fonds und den Portfolios”. Hier wird noch einmal differenziert zwischen einer Nichtübereinstimmung von Name und Portfolio aufgrund einerseits ”der geringen positiven Auswirkungen des Portfolios auf ESG-Faktoren” und andererseits ”aufgrund des hohen negativen Einflusses des Portfolios auf ESG-Faktoren”. Die Quote der ESG-Fonds, die mehr Nachhaltigkeit versprechen, als ihr Portfolio halten kann, sank von 2,2 % in 2022 auf 1,6 % in 2023 (für 2024 noch kein Wert angegeben). Die Quote der ESG-Fonds, deren Portfolio einen hohen negativen Einfluss auf ESG-Faktoren hat, sank von 7,9 % in 2023 auf 6,6 % in 2024 (für 2022 kein Wert verfügbar).
Von der sprichwörtlichen Greenwashing-Skandalnudel 'Finanzbranche' also weit und breit keine Spur, wenn man sich die Daten anschaut. Einen Dämpfer hat die EMSA aber doch eingebaut. Ein 3. Indikator bewertet noch den Anteil der ”Fonds mit nachhaltigkeitsbezogenen Merkmalen, die eine vage, nicht begründete ESG-Sprache verwenden”. Was auch immer diese vage ESG-Sprache laut ESMA sein soll (”vague, unsubstantiated ESG language“): Angeblich ist der Anteil der 'vagen' ESG-Fonds zwischen 2022 und 2024 von 50 % auf 55 % gestiegen.
Dies scheint uns jedoch ein 'Gummiparagraph' bzw. ein recht willkürliches Kriterium zu sein, zumal es sich mit den Assets gar nicht auseinandersetzt. Drüber ist bemerkenswert, dass die EU mit ihren 24 Amtssprachen nun dort in jeder der 24 Sprachen Nachhaltigkeitsnuancen bewerten will. Hier gilt jedoch: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Die gesamte Nachhaltigkeits- bzw. SFDR-Regulierung der EU ist bislang ein einziges babylonisches Sprach-Kuddelmuddel. So lautet bspw. allein der Titel der hier u. a. maßgeblichen Vorschrift: Delegierte Verordnung ”im Hinblick auf technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Einzelheiten des Inhalts und der Darstellung von Informationen in Zusammenhang mit dem Grundsatz der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen, des Inhalts, der Methoden und der Darstellung von Informationen in Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsindikatoren und nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen sowie des Inhalts und der Darstellung von Informationen in Zusammenhang mit der Bewerbung ökologischer oder sozialer Merkmale und nachhaltiger Investitionsziele in vorvertraglichen Dokumenten, auf Internetseiten und in regelmäßigen Berichten”.
Wer solche sprachliche Bürokratieverbrechen begeht, sollte u. E. professionelle Marktteilnehmer nicht über die Prägnanz und Aussagekraft von Begriffen belehren! Kleiner Beifang zudem noch zu Fondskosten aus dem aktuellen ESMA-Report im Hinblick auf die sog. Kleinanlegerstrategie (RIS/Retail Investment Strategy): Die annualisierten Gesamtkosten von aktiven Fonds liegen aktuell bei 1,77 % p. a., und damit deutlich unter dem mehrjährigen Durchschnittswert von 1,87 % zwischen 2019–2023, der als Basiswert dient. Auch hier sind die Fondskosten also weiter im Sinkflug (vgl. 'k-mi' 03/24) und von verbraucherschädlichen Themen oder Trends eigentlich keine Spur! Im Jahr 2028 soll anstatt von 1,87 % p. a. ein neuer Ausgangswert und ein neues Ziel festgelegt werden. Man kann nur hoffen, dass Politik und Aufsicht hier mit Augenmaß agieren. Beim politisch induzierten Flop des Paneuropäischen Privaten Pensionsprodukts/PEPP hat man ja gesehen, wozu ein starrer Kostendeckel von 1 % p. a. führt (vgl. 'k-mi' 24/25). Man darf gespannt sein, ob die EU noch einmal die heiße Herdplatte anfassen wird, oder ob man dazugelernt hat!
'k-mi'-Fazit: So bleibt nur noch die Frage: Gibt es den laut EMSA geringen und zugleich sinkenden Greenwashing-Anteil bei ESG-Fonds trotz oder wegen der undurchschaubaren und experimentellen EU-Nachhaltigkeitsregulierung? Wir vermuten ersteres. Denn bei dem SFDR-Verordnungschaos der EU handelt es sich um eine große Bürokraten-Bastelstunde am lebenden Objekt, nämlich der Altersvorsorge und der Vermögensbildung von Privatkunden sowie der Existenzgrundlage von Beratern. Usability bzw.- Anwenderfreundlichkeit ist für die EU ein Fremdwort. Denn schließlich handelt es sich um eine publikumsbezogene Regulierung: Vertriebe und Anleger – nicht nur Insider und Anwälte – müssten eigentlich die Klassifizierungen leicht verstehen und überblicken können, ganz zu schweigen wie sie zustande kommen. Immerhin hat sich die ESMA nun die ”Reduzierung des Meldeaufwands“ als ein Ziel gesetzt. Die Hoffnung stirbt also zuletzt!