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Folgen des schwerwiegenden OLG (Fehl-)Urteils zu Marktüberblick Versicherungsmakler

Wie wir Sie bereits in der ‚vt‘-Ausgabe der Vorwoche informierten, hat das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 22.09.2021 (Az. 6 U 82/20) auf Klage des vzbv gegen das als Versicherungsmakler registrierte Vergleichs- und Vermittlungsportal Verivox Versicherungsvergleich GmbH entschieden. Dabei ging es neben der fehlenden Transparenz auch um hohe Erwartungen an Marktanteilsangaben (vgl. ‚vt‘ 42/21).

Denn die in § 60 Abs. 1 Satz 1 VVG geregelte Verpflichtung des Versicherungsmaklers, „seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern zu Grunde zu legen, so dass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher Versicherungsvertrag geeignet ist, die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfüllen“, legt das OLG (Leitsatz 2) äußerst umfassend aus:

„Der Versicherungsmakler schuldet bei seinem im Rahmen eines Online-Versicherungsvergleich erteilten Rat nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VVG grundsätzlich die Einbeziehung auch von Konditionen solcher Versicherer, die in diesem Online-Versicherungsvergleich nicht genannt werden möchten oder nicht bereit sind, ein von diesem Versicherungsmakler unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Versicherungsvertrags anzunehmen, es sei denn der Versicherungsmakler erteilt im Einzelfall vor Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers einen Hinweis nach § 60 Abs. 1 Satz 2 VVG.“ Im Leitsatz stellt der Senat auf „Online-Versicherungsvergleich“ ab.

Doch im Kern des Urteils geht es um die Pflichten des Versicherungsmaklers: Das OLG moniert, die Beklagte Verivox „legt dem vorliegenden Privathaftpflichtversicherungsvergleich nur diejenigen Versicherer zugrunde, mit denen sie eine Provisionsabrede getroffen hat. Sie berücksichtigt damit den Markt (…) nur etwa zur Hälfte.“ Der Senat setzt auf die prozentuale Erwartung noch eins drauf, denn Verivox „bezieht insbesondere marktstarke Versicherer wie Allianz, HUK-Coburg, Continentale, WWK oder Württembergische (und weitere …) nicht ein.

Dies genügt den Anforderungen nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht.“ Abgesehen davon, dass das OLG hier ‚marktstark‘ verwendet und das möglicherweise gleichsetzt oder verwechselt mit preis-/leistungsstarken Anbietern, verkennt das OLG die nicht vorhandenen Pflichten von Versicherern (zur Bereitstellung von Tarifinformationen und Zugriff auf Prämienberechnungen) und damit die Recherchemöglichkeiten von Versicherungsmaklern. Denn der Senat ist überzeugt:

„Auch wenn ungefähr die Hälfte der am Markt auftretenden Versicherer – aus welchen Gründen auch immer – von der Beklagten nicht genannt werden möchten oder nicht bereit ist, ein von der Beklagten als Versicherungsmaklerin unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Versicherungsvertrags anzunehmen, schuldet die Beklagte als Maklerin den an der entsprechenden Versicherung interessierten Kunden grundsätzlich die Einbeziehung von deren Konditionen in die Marktanalyse.“ Das Gute an dem Urteil: Das OLG lässt die Revision zum BGH zu. Bleibt zu hoffen, dass Verivox diese Möglichkeit ergreift und der BGH zu einem anderen Ergebnis bzgl. der maßgeblichen Marktgrundlage nach § 60 Abs. 1 VVG kommt.

Fundierte Kritik und einen ersten Ratschlag liefert der Dozent für Versicherungsrecht Versicherungsmakler Wilfried E. Simon: „Der Versicherungsmakler soll auch solche Gesellschaften in dem Vergleich mit aufführen, die kein Geschäft mit Versicherungsmaklern machen. Das ist m. E. geradezu lächerlich und weit überzogen. Es bleibt nur zu hoffen, dass solche Spitzfindigkeiten beim BGH in Karlsruhe keinen Bestand haben und der dortige Senat, wenn Verivox die Revision einlegt, was wünschenswert wäre, kein Gehör finden. Es bleibt Versicherungsmaklern nur übrig, jedem Vergleich eine individuelle Auskunft nach § 60 Abs. 1, Satz 2 i.V.m. Abs. 3 VVG an den VN zu erbringen, dass man ihm solche Angebote nicht macht. Hinweise im Versicherungsmakler-Vertrag gelten dafür nach der bisherigen Rechtsprechung nicht.“

Es ist jetzt die Zeit der Rechts-Experten das Urteil so zu interpretieren, wie Versicherungsmakler mit angemessenem Aufwand ihre Mandanten im Einzelfall geeignet informieren, um sich weder haftungs- noch wettbewerbsrechtlich angreifbar machen. Das Urteil werten wir – auch wenn es zuvor LG-Urteile gab – als Fehlurteil, weil es die rechtlichen und faktischen Marktgegebenheiten in mehrfacher Hinsicht nicht berücksichtigt. Versicherer haben keine Pflicht, mit Versicherungsmaklern zusammenzuarbeiten.

Da stellen wir nicht in erster Linie auf die nicht gegebene Verpflichtung einer Courtagevereinbarung und fehlende Vergütung ab. Weitaus schwerer wiegt, dass Versicherer, die mit Versicherungsmaklern nicht zusammenarbeiten wollen und dies ausschließen, auch nicht zur Informationsbereitstellung und Möglichkeiten der Prämienberechnung verpflichtet sind.

‚vt‘-Zwischenfazit: Zunächst hoffen wir, dass Verivox die Revision nutzt und der BGH bei der Auslegung des § 60 Abs. 1 VVG die Marktrealitäten berücksichtigt. Sollte der BGH sich dem OLG aber anschließen, dann müsste sich der Gesetzgeber mit § 60 VVG befassen. Sollte die höchstrichterliche Rechtsprechung tatsächlich das OLG bestätigt, dann muss die rechtliche Regelung dem Rechnung tragen und den Marktrealitäten angepasst werden. Zudem könnte der Gesetzgeber Versicherungsmaklern die Honorarberatung erlauben. Eine Dienstleistung erbringen müssen, aber dafür keine Vergütung verlangen dürfen – auch das spielt für das OLG keine Rolle. (Das Urteil kann hier heruntergeladen werden.)

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