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Gebührt der größte Preisauszeichnungs-Käse dem Bund der Versicherten?

Seit 2015 vergibt der Bund der Versicherten (BdV) jährlich den Negativpreis ‚Versicherungskäse des Jahres‘. Aktuell hat der BdV die für 2020 nominierten Kandidaten bekannt gegeben, die eine Jury aus 15 eingereichten Vorschlägen ausgewählt haben. „Die Versicherer bringen immer wieder intransparente, zu teure und nutzlose Tarife auf den Markt – zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagt BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein.

Dass die Preisverleihungs-Transparenz und der Nutzwert für Versicherungsmakler und Verbraucher allerdings gering ist, hat ‚vt‘ für Sie aufgedeckt: Nominiert für den Versicherungskäse 2020 sind die Tarife ++CleverFly‘/‘CleverFly365‘ von der BD24 Berlin Direkt Versicherung AG ++Zahn-Ersatz-Sofort‘ von der Ergo Krankenversicherung AG und ++ ‚MeinPlan Kids‘ von der Lebensversicherung von 1871 a. G. München (LV 1871). Betrachten wir die nominierten Produkte und die Kritik der Käse-Jury: ++ Bei ‚CleverFly365‘ (übernimmt Kosten für Flugumbuchungen) kritisiert die Jury ein besonders absurdes Verhältnis zwischen Prämie und Versicherungsleistung.

„Zum Beispiel sind für den Komfort-Schutz mit einer Leistung von 150 € knapp 24 € zu zahlen“, sagt Jury-Vorsitzende Edda Castelló. In ‚Versicherungswirtschaft Heute‘ vom 02.03.2020 bestätigt der Anbieter, dass die Komfortvariante des Produktes 24 € kostet und pro Versicherungsfall bis zu 150 € erstattet werden. Das habe die Jury „korrekt“ ermittelt. Aber „offenbar wurde übersehen“, dass damit „bis zu drei Versicherungsfälle pro Jahr versichert sind“.

Hat die maßgeblich mit sogenannten Verbraucherschützern besetzte Jury so schlecht recherchiert, so wenig Kompetenz oder nimmt sie es mit der vom BdV bei Versicherern geforderten Transparenz selbst nicht so ernst und stellt in der Pressemitteilung den Leistungsumfang falsch dar?

++ Die Zahnzusatzversicherung der Ergo werbe damit, auch für laufende Behandlungen zu zahlen, so der BdV in seiner Pressemitteilung zum Käse-Preis. Doch „angesichts des sehr geringen Versicherungsschutzes sei diese Leistung kaum etwas wert“.

Denn zahlen wolle die Versicherung nämlich nur den Betrag noch einmal, der als Festzuschuss von der gesetzlichen Krankenkasse geleistet wird. „Die in der Werbung angegebenen Beispielrechnungen zur möglichen Höhe dieses Zuschusses – und damit zur Leistungshöhe – sind unrealistisch hoch“, moniert die Jury-Vorsitzende. Das sieht Ergo ganz anders. „Aufgrund unserer Leistungserfahrung können wir die Meinung des BdV nicht nachvollziehen.

(…) Bei Kunden, die ihre Zahnarztrechnung bei uns zur Leistungsabrechnung einreichen, liegt unsere Erstattung aus dem Tarif Zahn-Ersatz-Sofort im ersten Versicherungsjahr im Durchschnitt bereits im vierstelligen Euro-Bereich (…) Bei den etwa auf unserer Website verwendeten beispielhaften zahnärztlichen Rechnungsbeträgen und der jeweiligen dazu angegebenen Erstattung aus dem Tarif Zahn-Ersatz-Sofort handelt es sich um realistische Beispiele“, zitiert ‚Versicherungswirtschaft Heute‘ einen Sprecher der Ergo.

++ Kommen wir zu ‚MeinPlan Kids‘. „Die LV 1871 lobt ihr Produkt als Sparlösung für Kinder aus. Als herkömmliche fondsgebundene Rentenversicherung sei sie fürs Sparen jedoch nicht geeignet. Durch mögliche Zusatzbausteine wie Berufsunfähigkeits- und Pflegeversicherung verknüpfe das Produkt zudem Risiken, die demnach besser getrennt voneinander abgesichert werden sollten“, stellt der BdV die Kritik der Käse-Jury dar und zitiert Castelló:

„Preiswürdig fanden wir diese Versicherung allerdings vor allem wegen der enormen Kosten.“ Über das im Oktober 2019 auf den Markt gebrachte Produkt der LV 1871 hatten wir sie informiert (vgl. ‚vt‘ 42/19). Besonders pfiffig fanden wir die flexible Besparung, denn „einmalige Zuzahlungen ab 50 € ermöglichen das Mitsparen von Eltern, Großeltern, Paten, Freunden der Familie. Diese können unabhängig vom Versicherungsnehmer für ein Kind vorsorgen, indem sie direkt in den Vertrag des Kindes bei der LV 1871 einzahlen.“

An dieser Einschätzung haben wir auch nichts geändert. Aber haben wir damals übersehen, dass das Produkt mit gewaltigen Kosten belastet ist? Da die Pressemitteilung zwar einige Behauptungen und Sichtweisen des BdV und der Jury liefert, die aber nicht erkennen lassen, worauf sich diese stützen, haben wir dem die Presseinfo verantwortenden BdV-Chef Axel Kleinlein und der Käse-Jury-Chefin Edda Castelló einige Fragen vorgelegt.

So wollten wir wissen, ++ ob sich die „enormen Kosten“ auf den Nettotarif, den Provisionstarif, das Basisprodukt oder die Zusatzbausteine beziehen ++ warum ‚MeinPlan Kids‘ nach Auffassung der Jury fürs Sparen nicht geeignet ist und ob, ggf. warum, man es für ein nutzloses oder intransparentes Produkt hält ++ welchen Einfluss optional wählbare Zusatzbausteine bei der Bewertung des Kernproduktes haben ++ welche herausragende negative Eigenschaft im Vergleich zu anderen vergleichbaren Produkten dazu führt, dass ‚MeinPlan Kids‘ für die Endauswahl nominiert wurde.

Leider können wir Ihnen heute die Antworten nicht liefern. „Die Auswahl der Versicherungskäsekandidaten nimmt die Versicherungskäse-Jury vor. Frau Castelló ist die Sprecherin der Käse-Jury und wird Ihnen für Antworten zur Verfügung stehen. Sie ist jedoch erst Anfang der nächsten Woche wieder vor Ort, wird sich dann aber bei Ihnen melden“, teilt der BdV mit.

Schade, wir hätten auch von jedem anderen der fünf Jury-Mitglieder oder dem BdV-Chef Antworten entgegengenommen. Selbstverständlich liefern wir Ihnen die Antworten nach. Befassen wir uns aber heute schon mal mit den Aussagen und der Kritik der Käse-Jury in der Pressemitteilung:

++ Finanzielle (Alters-)Vorsorge ist unabdingbar mit Sparen (ggf. durch Konsumverzicht) verbunden. Dem Produkt in diesem Zusammenhang die Eignung als Sparprodukt abzusprechen, weil es eine fondgebundene RV ist, ist nicht nachvollziehbar. Es sei denn, man spricht der LV und privaten RV – wie es der BdV offenbar tut – grundsätzlich die Nützlichkeit ab. Interessant ist da eine aktuell erfolgte Aussage der BdV-Sprecherin Bianca Boss in ‚procontra online‘ vom 03.03.2020:

„Die Versicherer haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie einfach keine Altersvorsorge können (…) Bringt man das in Zusammenhang mit der derzeitigen Kapitalmarktkrise gehe ich davon aus, dass sich die Versicherer mittelfristig vom Thema Altersvorsorge auch verabschieden werden müssen.“

Wenn der BdV Altersvorsorgesparen mit privater LV/RV grundsätzlich als ungeeignet ansieht – diese Sichtweise teilen wir nicht –, gilt das allerdings für jedes Produkt, so dass es keine Begründung gibt, speziell das Produkt ‚MeinPlan Kids‘ auf das ‚Käse-Schild‘ zu heben.

++ Ein weiterer Vorwurf der Käse-Jury bezieht sich auf die optionalen Zusatzbausteine. ‚MeinPlan Kids‘ „verknüpfe (…) Risiken, die (…) besser getrennt voneinander abgesichert werden sollten“.

1. Das ist ausgewachsener Käse, hier ist nichts fest verknüpft, denn die Zusatzsteine sind optional. Oder, falls die Käse-Jury das übersehen hat: Nur wenn man einen (oder mehrere) diese Bausteine zusätzlich zum Produkt wählt, ist dies prämienrelevant.

2. Wir teilen die Auffassung, dass bspw. eine elementare Absicherung wie BU über eine eigenständige Versicherung grundsätzlich sinnvoller ist. Vom Grundsätzlichen kann es aber auch Ausnahmen geben, die im Individuellen liegen, daher lehnen wir die dogmatische BdV-Sichtweise ab. Auch können nicht alle angebotenen Bausteine am Markt alleinstehend so abgesichert werden. Und bei der BU-Option mit Pflegeschutz (für Kinder ab 0 Jahren; Absicherung des zu versorgenden Kindes im Pflegefall) hat die versicherte Person das Recht auf Abschluss einer selbständigen BU ohne erneute Gesundheitsprüfung.

3. Einige der angebotenen Bausteine beziehen sich auf den Beitragszahler und sichern damit die Beitragszahlung ab. Bspw. wird mit der Option ‚Versorgerschutz‘ geregelt, dass mit dem Tod des Versorgers die Pflicht zur Beitragszahlung bis zum Ende der Versorgungsphase ruht.

++ Laut Castelló kommt ‚MeinPlan Kids‘ für den Käse-Preis „vor allem wegen der enormen Kosten“ in Frage. Wir haben uns an einem konkreten Versorgungsfall bei einer Nettopolice die Darstellung und die Höhe der Produktkosten angeschaut. Verwaltungskosten bis zum Rentenzahlungsbeginn sind, unterteilt in das Hauptprodukt und die gewählten Optionen, transparent aufgeführt. Ebenso die Verwaltungskosten im Rentenbezug.

Wir halten die Kosten für marktüblich und können keine „enormen Kosten“ feststellen. Auch die Abschluss- und Vertriebskosten sind für jeden gewählten Leistungsbestandteil dezidiert aufgeführt, hier bei der Nettopolice natürlich alle mit ‚0‘.

Sollte die Käse-Jury sich nur Tarife mit Provisionsmodellen angeschaut und alle Kosten vermengt haben, dann wäre das ein Hammer: Zum einen, weil die Provisionen nichts mit der Qualität des Produktes und den Produktkosten zu tun haben. Denn mit den Provisionen wird die separate Dienstleistung der Beratung und Vermittlung vergütet. Zum anderen, weil das absichtlich erfolgt sein kann, um mit der Preisverleihung mal wieder dem Provisionsdeckel das Wort zu reden.

‚vt‘-Fazit: ++ Ist die Nominierung des Vorsorgetarifs ‚MeinPlan Kids‘ die Fortsetzung des pauschalen Kreuzzugs des BdV gegen die private Altersvorsorge durch Versicherer und soll sie zudem als Steilvorlage dienen beim Kampf sogenannter Verbraucherschützer für den LV-Provisionsdeckel? Wir sind auf die Antworten der Käse-Jury zur Nominierungs-Begründung gespannt

++ Auf Basis der allgemeinen Kritikpunkte der Käse-Jury und unserer Recherche ergeben sich keine Nominierungsgründe. Hat die Käse-Jury Fehler bei der Produktrecherche gemacht, die Anlass sein könnten, die Nominierung zurückzuziehen? Auch hier gilt: Wir sind auf die Antworten der Käse-Jury gespannt

++ So wie es sich uns bisher darstellt: Mit der Nominierung entlarvt sich der Negativpreis des BdV schlichtweg als ‚Käse hoch drei‘ unter den Preisverleihungen ll Negativ-Meldungen werden ungeachtet der inhaltlichen Qualität von Publikumsmedien gerne abgedruckt. Nutzen Sie unserer Recherche und unseren Bericht, wenn Sie auf irritierte Kunden treffen!

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