Klartext sprach BVR-Präsidentin Marija Kolak auf der 79. Bankwirtschaftlichen Tagung der Volksbanken und Raiffeisenbanken auch in Richtung der Politik und des Bundeskanzlers Olaf Scholz. Allein aus dem Vergleich beider Reden wird sehr schnell klar, 'wo in Deutschland derzeit der Hammer hängt'. "Unser gemeinsames Motto ist: Der Wandel sind wir! Das ist unser Versprechen. Es geht nicht nur darum, dass wir selbst uns wandeln und als Verbund immer leistungsfähig bleiben – sondern auch, dass wir gemeinsam Ideen und Unterstützung liefern für die große Transformation um uns herum. Dieser Kraftakt, unser Land fit für die Zukunft zu machen, kann nicht ohne uns geschehen. Auch dafür soll der Tag heute ein Zeichen sein. Wenn ich von hier aus in den Raum schaue, dann weiß ich: Wir haben alles, was man braucht, um den Wandel zu gestalten: die Köpfe, den Mut und die Kraft", formulierte Kolak gleichermaßen kraftvoll und selbstsicher direkt zu Beginn ihrer Rede die Aufgabe vor der Deutschland, seine Menschen und die Wirtschaft stehen. Dabei fokussiert sie sich nicht nur auf die Genossenschaftliche Finanzgruppe, sondern auch auf deren Verpflichtung diesen Wandel mitzugestalten und voranzubringen. Und in dem Stil ging es weiter, von der Situationsbeschreibung über die Fehleranalyse bis hin zu den notwendigen Maßnahmen.
"Können wir wirklich sagen 'Es läuft'? Meine Damen und Herren, Sie wissen es: Es läuft nicht! Zumindest nicht so, wie es laufen könnte. Ein Sportreporter würde über das Spiel unseres Landes als Wirtschaftsstandort in der Welt vielleicht so berichten: 'Deutschland hat noch immer das Potenzial zum Weltmeister. Aber die Mannschaft bekommt das alles nicht auf den Platz und spielt sich einer Abstiegsposition entgegen.' Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich denke, in dieser Analyse sind wir uns annähernd einig. Es stand schon mal besser um den Standort Deutschland“, umreißt Kolak die Situation und flechtet mit Bezug auf die EM ein: "Beim Sport würde der Trainer sagen: Nach welchem System müssen wir spielen, um wieder erfolgreich zu sein? Ich kann nur sagen: Das bewährte Erfolgssystem für Wirtschaft und Wohlstand, das heißt bei uns in Deutschland ‘Soziale Marktwirtschaft!‘ Und was für eine Errungenschaft die Soziale Marktwirtschaft ist! Mit klaren Spielregeln. Es sind nur vier Worte. Nämlich: Freiheit – Verantwortung – Subsidiarität - Solidarität. Nur vier Worte. Und damit haben wir als Standort schon viele Spiele gewonnen. Damit ist Deutschland Exportweltmeister geworden, die deutschen Unternehmen Weltmarktführer. Damit ist Wohlstand entstanden. Das Leben, das wir heute leben und lieben. Und dessen Zukunft auf wackeligen Füssen steht. Warum? Weil zu viel überreguliert ist, zu Tode bürokratisiert. Regeln, Vorgaben, Planungen, Fristen, Laufzeiten. Unsere Unternehmenskunden berichten uns immer wieder Geschichten, die mag man kaum glauben. Wer in Deutschland groß investieren will, sucht lieber eine Alternative im Ausland. Weil die Anträge, die Bürokratie, die Wartezeiten auf die Entscheidungen aus der Verwaltung Monate oder gar Jahre dauern und die Kosten immens steigern. Auch wir als Genossenschaftsbanken, wir ächzen jeden Tag unter der Regulatorik.“
"Es braucht eine klare Wachstumsagenda, die dann auch umgesetzt wird. Das stärkt das Vertrauen in die Zukunft unseres Landes. Gerne möchte ich den Parteien ein paar Ideen für eine Wachstumsagenda mit auf dem Weg geben. Es sind neben dem ++ Abbau der Bürokratie fünf weitere Punkte." Die da sind: ++ Einhaltung der Schuldenbremse durch eine Priorisierung der Ausgaben ++ Steuern und Abgaben senken ++ Fachkräfte-Einwanderung stärken ++ Die Kapitalmarktunion vorantreiben, aber nicht zulasten der Kreditfinanzierung für den deutschen Mittelstand und ++ gute Bildung für alle. Eine klare zukunftsgerichtete Agenda, um Deutschland wieder fit zu machen! Das kann aber auch nur gelingen, wenn es gelingt, die dezentrale Bankenstruktur in Deutschland zu bewahren. Sie ist essenziell für die Finanzierung der regionalen Wirtschaft und verleiht so der Wirtschaft aber auch dem Bankensystem eine besondere Resilienz. Der Vorschlag zur Überarbeitung des Krisenmanagements für Banken (CMDI) gefährdet allerdings diese Bankenstruktur. "Seit 90 Jahren schützen wir rein privat finanziert die Solvenz der genossenschaftlichen Institute. Das schafft Vertrauen in allen Regionen unseres Landes. Nun wird dieses Vertrauen in Frage gestellt", erläuterte Kolak und appellierte insbesondere an den EU-Rat, die Fehler zu korrigieren. Doch auch in Deutschland kann etwas getan werden. Daher fordert die BVR-Präsidentin, die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Banken als Bestandteil der satzungsmäßigen Aufgabe der BaFin zu verankern. Diese sei im Moment ausschließlich auf die Reduzierung von Risiken gerichtet. "Es werden immer höhere Kapitalpuffer und Berichtspflichten festgelegt, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Banken – auch im internationalen Vergleich – zu berücksichtigen", so Kolak. So werde die Kreditwirtschaft darin beschränkt, über die Kreditvergabe die Transformation zu finanzieren.
Und Bundeskanzler Scholz? Der schaffte für die rund 900 anwesenden Vorstände erst einmal etwas Wohlfühlatmosphäre: "‘Misstrauen ist an Stelle des Vertrauens getreten; ein Bruder hilft kaum noch dem andern; in Geldangelegenheiten hört alle Gemütlichkeit auf.‘ Mit dieser Klage beginnt Friedrich Wilhelm Raiffeisen sein Buch über ‘Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung‘ von 1866, vielen hier gut bekannt (…) Die gleiche Idee, gemeinschaftliche Selbsthilfe, trieb Hermann Schulze-Delitzsch an, als er 1849 mit der Gründung einer Schuhmachergenossenschaft die Grundlage der heutigen Volksbanken legte. Gemeinsam sind wir stark. Dieser genossenschaftlichen Idee fühle ich mich sehr verbunden, und zwar auch durch mein Berufsleben. Als ich noch Rechtsanwalt war, habe ich acht Jahre lang als Syndikus den Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften beraten. Das hat mich geprägt. Ich erinnere mich gern daran.“ Der Bundeskanzler lobte die Genossenschaftsbanken für die Finanzierung des Mittelstandes und der Häuslebauer, für ihr zivilgesellschaftliches Engagement und die Unterstützung der Sparer, die etwas fürs Alter anlegen wollen. "Meine Damen und Herren, der Wandel sind wir, das heißt auch, kaum jemand kennt unsere Wirtschaft und unsere Herausforderungen so in- und auswendig wie die über 700 Genossenschaftsbanken“, so Scholz.
Dann vergaß er aber nicht, die Bundesregierung und sich selbst zu loben, was man doch alles schon gemacht hat: Deutschlandpakt, Bürokratieentlastungspaket, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Zukunftsfinanzierungsgesetz, Wachstumschancengesetz. Alles wohlklingende gesetzliche Aktivitäten, aber irgendwie haben wir den Eindruck, die kommen in der Praxis der Unternehmen nicht wirklich an. "Wir werden dafür sorgen, dass Bürokratieabbau eines der Kernanliegen der neuen Europäischen Kommission wird“, nahm Scholz die (nicht von ihm verantwortete) EU-Ebene in die Pflicht und ergänzt: "Dazu gehört für mich auch eine Überprüfung und Vereinfachung des Finanzmarktregelwerks, besonders bei den Berichts- und Meldepflichten. Das gilt insbesondere auch für kleinere und mittlere Banken. Schon als Finanzminister – das wissen einige hier – habe ich mich für mehr Verhältnismäßigkeit in der Bankenregulierung stark gemacht, insbesondere mit Blick auf die deutschen Sparkassen und Volksbanken.“ Betrachtet man die Regulierungsdichte und den Bürokratieaufbau auch in der Ära als Scholz Finanzminister war, scheint hier etwas an uns vorbei gegangen zu sein. Irgendwoher muss doch die Überregulierung der zurückliegenden Jahre kommen.
Aber Scholz warf auch einen Blick in die Zukunft: "Neben einer Vertiefung der Kapitalmarktunion bedarf es auch einer Vollendung der Bankenunion. (…): Die Position der Bundesregierung zur Bankenunion und zu EDIS hat sich nicht verändert. Wir sind bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme als Teil eines umfassenden Gesamtpakets zu schaffen, jedoch nur unter der Voraussetzung einer weiteren Stärkung des Abwicklungsregimes und einer wirksamen Verhinderung einer übermäßigen Konzentration von Staatsanleihen in Bankbilanzen. Voraussetzung ist auch, und das ist mir besonders wichtig, der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland. Denn in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten haben wir gut funktionierende Sicherungssysteme für kleinere Banken. Diese sollten nicht ohne Not gefährdet werden. Im Juni 2022 haben wir auf EU-Ebene zum Ablauf eine klare Reihenfolge, eine klare Sequenz vereinbart: Der Fokus liegt zunächst auf der Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken. Die Arbeiten zu den verbleibenden Elementen der Bankenunion inklusive EDIS sollen erst im Anschluss daran wieder aufgenommen werden (…) Deshalb bleibt der Erhalt der Institutssicherung auch unsere Richtschnur bei den Verhandlungen zur Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken; Sie können sich darauf verlassen“, so Scholz.
'Bi'-Fazit: Gut, dass Bundeskanzler Scholz auf der Bankenwirtschaftlichen Tagung der Volksbanken und Raiffeisenbanken war und dort seine Wertschätzung für die Historie und auch das tägliche Handeln von Ihnen und Ihren Mitarbeitern zum Ausdruck gebracht hat. Jedoch zeigte sich einmal mehr die verschobene Wahrnehmung, die die Bundesregierung anscheinend hat. Während BVR-Präsidentin Kolak die Probleme klar benannte und Lösungen aufzeigte, gab sich Scholz mit dem Regierungshandeln vor allem selbst zufrieden. Er scheint sich auch nicht des Dissenses zwischen der Stärkung des Abwicklungsregimes und dem Erhalt (aktiver) Sicherungssysteme bewusst zu sein. Hier müssen die Verbände beim Kanzler wohl noch Aufklärungsarbeit leisten.