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Mitgliederzahl sinkt: Verschwindet GDV-Verhaltenskodex in der Bedeutungslosigkeit?

Der „Verhaltenskodex des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft für den Vertrieb von Versicherungsprodukten“ hat seit seiner Einführung 2013 in der öffentlichen Wahrnehmung keinen durchschlagenden Erfolg zu verzeichnen. Jedenfalls war vielfach eher von einem ‚Feigenblatt‘ zu lesen als einem maßgeblichen Beitrag zum Verbraucherschutz.

Nun machen diverse Versicherungsgesellschaften beim Verhaltenskodex nicht mehr mit – ‚versicherungstip‘ hat für Sie die Hintergründe durchleuchtet: Allgemein gelten Kodexe, die als Selbstverpflichtung nicht über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen, als moderne Form der Selbstbeweihräucherung und daher als unnütz. Im speziellen Fall des GDV-Verhaltenskodex resultierte aber das Begehren einiger Versicherer, die Regelungen Dritten, unabhängigen Versicherungsmaklern, verpflichtend überzustülpen und kontrollieren zu wollen.

Viel beachtet wurde unser damaliger entlarvender Bericht Allianz-Fahnder im Maklerunternehmen“ (vgl. ‚vt‘ 05/14): „Montagmorgen acht Uhr, es klingelt an der Tür des Maklerbüros. Zwei an Beamte erinnernde Männer begehren Einlass, es stehe eine Überprüfung an. Alle Dokumente zu Verträgen sind wichtig, auch der PC ist von Interesse. Was sich anhört, als ob die Steuerfahndung zuschlägt, entpuppt sich aber als Kontrolle des Maklerunternehmens durch Mitarbeiter der Allianz (…)“, so ein Auszug aus dem seinerzeit ersten Bericht (nachzulesen unter https://tinyurl.com/yxakjqbz) zum Verhaltenskodex, dem zahlreiche Berichte folgen sollten.

Es war schon eine wilde Zeit, als Versicherungsmakler mit dem angeblich zwingenden Argument ‚Verhaltenskodex‘ von einigen Versicherern hart an die Kandare genommen werden sollten, zugleich aber, wie die Allianz, Versicherungsmakler mit einer „attraktiven Vergütung in 2014“ per „Sonderförderung für Risiko und kapitalmarktnahe Produktgruppen“ ködern und verführen wollten. Sie waren damals noch kein treuer Leser von ‚vt‘ oder haben das nicht mehr genau in Erinnerung? Unser ‚vt‘-Archiv vergisst solche Berichte nicht.

Auch nicht, dass wir mit einem Wirtschaftsprüfer und Mitglied des Versicherungsfachausschusses beim Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. über die „IDW PH 9.980.1“ und den IDW Prüfungshinweis „Einzelfragen zur Prüfung“ des GDV-Verhaltenskodex diskutiert haben und dabei die Makler-Problematik ausführlich beleuchtet wurde (vgl. ‚vt‘ 25/14).

Wir unterstützten Sie mit Muster-Widersprüchen, da Kontrollen in Maklerunternehmen einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und eine Verletzung der durch Versicherungsmakler zu schützenden Klientensphäre darstellen. Ganz nach der Philosophie der Verlagsgruppe ‚markt intern‘ – ‚mi‘ – eben ‚mehr als Information‘.

Der gemeinsame Kampf dauerte lange, aber er war erfolgreich: Zwar beriefen sich diverse Versicherer zunächst immer wieder auf die Pflicht, den GDV-Kodex einhalten zu müssen, von Kontrollen in Maklerbetrieben haben wir aber nichts mehr gehört. Dabei waren laut GDV-Presseinfo vom 30.06.2015 dem Kodex 227 Versicherungsunternehmen beigetreten.

Ein Blick auf die aktuelle Beitrittsliste zeigt 202 Unternehmen. Aus 36 vorhandenen Nummern-Lücken wird man schließen dürfen, dass es maximal 238 beigetretene Versicherer gab. Ein Teil der Verluste ist leicht zu erklären: Zum einen beruhen diese auf Verschmelzungen, zum anderen spielt der Verkauf an Run-off Plattformen eine Rolle. Besonders auffällig ist aber: Allein in den letzten fünf Monaten gab es 15 Austritte!

Das betrifft u. a. Gesellschaften der ARAG („durch Nichteinreichung des Prüfungsergebnisses zum 30.04.2020 aus dem Verhaltenskodex ausgetreten“, informiert der GDV), der Bayerischen (gleiche Info wie bei ARAG) und der Inter (GDV: „Austritt aus dem Verhaltenskodex zum 30.04.2020 erklärt“).

Wir haben den GDV-Hauptgeschäftsführer Dr. Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth u. a. ++  gefragt, wie viele Gesellschaften, die dem Kodex beigetreten waren, nicht mehr Mitglied sind  ++ um Auslegung der Formulierung des GDV „durch Nichteinreichung des Prüfungsergebnisses (…) aus dem Verhaltenskodex ausgetreten“ gebeten (jedenfalls liest sich das wie ein gravierender Verstoß gegen (Satzungs-)Regelungen, der mit einem Ausschluss geahndet wird)  ++ gefragt, ob dem GDV Gründe für die Austritte bekannt sind. Der GDV meldete sich, konnte aber binnen der wenigen Arbeitstage bis Redaktionsschluss keine Antwort liefern. Eine Stellungnahme wurde aber zugesagt.

Zugleich hatten wir ARAG-Chef Dr. Renko Dirksen, Vorstandsmitglied Martin Gräfer von der Bayerischen und Inter-Vorstandssprecher Dr. Michael Solf angeschrieben. Das Statement der Bayerischen: „Am 23.02.2018 sind die Regelungen des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der IDD in Kraft getreten. Am 25.09.2018 wurde der Verhaltenskodex neu gefasst. Die zur Umsetzung der IDD ergangenen Vorschriften decken alle vom Verhaltenskodex des GDV geregelten Gesichtspunkte ab.

Zum Teil – etwa bei Versicherungsanlageprodukten – gehen sie deutlich über das vom Verhaltenskodex Geforderte hinaus. Im Gegensatz zum Verhaltenskodex handelt es sich bei den zur Umsetzung der IDD ergangenen Vorschriften nicht um Selbstverpflichtungen. Sie sind als unmittelbar geltendes Recht zwingend zu beachten. Angesichts dessen erscheint es nicht sinnvoll, darüber hinaus freiwillige Regelungen mit zum Teil identischen, zum Teil weniger strengen Verpflichtungen einzugehen.“

Neben der fehlenden Sinnhaftigkeit spielten bei der Bayerischen aber Kosten für den zusätzlichen Kodex-Aufwand eine wichtige Rolle:

„Unser Reinheitsgebot, das wir uns bereits vor IDD und Verhaltenskodex gegeben haben, bringt die Bereitschaft zur freiwilligen Einhaltung der von IDD und Verhaltenskodex eingeforderten Verhaltensregeln mehr als ausreichend zum Ausdruck. Die Umsetzung des Kodex erfordert einen nicht unerheblichen Aufwand, der angesichts der Kosten, die mit der Umsetzung der IDD-Regelungen ohnehin verbunden sind, nach unserer Auffassung nicht zu rechtfertigen ist. Wir haben uns daher entschlossen, aus dem Verhaltenskodex auszuscheiden.“

Ähnlich auch die Antworten auf unsere Fragen an ARAG-Boss Dr. Dirksen: „Die IDD hat deutlich strengere Normen für die Qualität der Beratungsleistungen geschaffen, die über die freiwillige Selbstverpflichtung des GDV-Verhaltenskodex hinausgehen. Der GDV hatte zuletzt den Kodex daher ebenfalls im Sinne der IDD nachgeschärft. Durch die Erfüllung der gesetzlichen IDD-Anforderungen werden Verbraucherrechte grundsätzlich wirksamer gewahrt. Aus diesem Grund hat die ARAG die Mitgliedschaften ihrer Versicherungsgesellschaften im GDV-Verhaltenskodex regulär auslaufen lassen. Unabhängig davon sehen wir uns den Werten des GDV Verhaltenskodex in der vertrieblichen Praxis unverändert verpflichtet.“

Demnach sieht man bei den Düsseldorfern – zu den ausgetretenen Gesellschaften zählt auch die Tochter Interlloyd Versicherungs-AG – den Kodex als überholt an. Zu den Inter-Austritten informiert der GDV unmissverständlich, dass diese „erklärt“ wurden. Wir gehen davon aus, dass ähnliche Erwägungen wie bei ARAG und der Bayerischen eine wichtige Rolle spielten und Sinnhaftigkeit sowie die Kosten-Nutzen-Relation auf den Prüfstand gestellt wurde.

„Das Arbeitsbeschaffungsprogramm für Wirtschaftsprüfer ist ein Perpetuum mobile, das die Versicherer Millionen kostet“, kritisierten wir bereits vor über fünf Jahren (vgl. ‚vt‘ 12/15). Den Prüfberichten sind zwar inzwischen Entsprechenserklärungen der Versicherer, basierend auf deren Überprüfung des eigenen vertriebsbezogenen Compliance-Management-Systems (CMS), gewichen. Ein hoher Aufwand ist dennoch ärgerlich, wenn er eigentlich überflüssig ist.

‚vt‘-Fazit: Der GDV-Verhaltenskodex hat es nicht geschafft, in der Öffentlichkeit auf höhere Akzeptanz zu stoßen. Von einem erfolgreichen politischen Signal ist uns auch nichts bekannt. Der Kodex hatte von Beginn an den gewaltigen Webfehler, Versicherungsmakler wie Vertreter zu behandeln mit der Folge, dass sich einige übereifrige Versicherer – über die Verpflichtungen nach § 80 VAG hinaus – zum Kontrolleur der Versicherungsmakler aufschwangen, wie die von der Allianz angedrohte Überprüfung des Maklers „in der täglichen Vertriebspraxis“.

Dem Makler-Webfehler wurde erst bei der Überarbeitung im September 2018 in Teilen Rechnung getragen. Bei eigenen Verpflichtungen, wie durch § 1a VVG, hat man keinen Nachholbedarf gesehen. Versicherer sind gehalten, Kosten zu sparen. Angesichts IDD könnte das Beispiel der ausgetretenen Versicherer Schule machen.

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