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Pauschale Verunglimpfungen haben Versicherungsvermittler nicht verdient

Ein Gerichtsbeschluss, wonach das Vorlesen von BU-Gesundheitsfragen unter bestimmten Umständen VVG-konform ist, ein Versicherungsmakler, der die Auffassung vertritt, dass kein zum Kundenwohl arbeitender Vermittler Gesundheitsfragen „lediglich vorlesen“ wird, ein sogenannter Verbraucherschützer, der offenbar nur unqualifizierte oder provisionsgeile Vermittler zu kennen glaubt, und Ihr ‚vt‘-Chefredakteur, der sich in einem Leserbrief und nun hier vehement gegen eine pauschale Diskreditierung der Vermittler ausspricht.

Das sind die Zutaten für den folgenden Bericht, bei dem wir zunächst den Gerichtsbeschluss beleuchten: Im Juli 2016 schloss ein damals 18jähriger bei einer Versicherungsvertreterin eine LVmit BU-Zusatzversicherung ab. Alle im Antragsformular enthaltenen Gesundheitsfragen, u. a. auch nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden der Gelenke in den letzten fünf Jahren, wurden durch Ankreuzen mit ‚Nein‘ beantwortet.

Gerade mal eineinhalb Jahre später machte der VN geltend, aufgrund einer Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks seit Februar 2018 als Schornsteinfeger bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein. Der 20jährige begehrte bis längstens 2065 eine Monatsrente in Höhe von 1.000 € sowie Beitragsfreistellung der LV.

Bei der Leistungsprüfung kam allerdings heraus, dass der Versicherte im Oktober 2014 eine Bandkapselruptur im rechten oberen Sprunggelenk erlitten hatte, in einem Krankenhaus behandelt wurde, im Januar 2015 ein MRT des rechten Fußes gefertigt wurde und er sich im Juni 2015 in die Behandlung eines Orthopäden begeben und sich dort einer Endoskopie unterzogen hatte. Aufgrund zumindest fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit formulierte der Versicherer rückwirkend einen Risikoausschluss und lehnte die Leistungen ab.

Dagegen klagte der VN: Die Vermittlerin habe ihm die Gesundheitsfragen lediglich vorgelesen und nach Beantwortung zur Unterschrift vorgelegt. Die Fragen seien zum Zeitpunkt des Verlesens lediglich auf dem Bildschirm der Vermittlerin ablesbar gewesen. Sie seien allerdings nicht „verkörpert“ vorgelegt worden, das aber sei für die Erfüllung der Textform im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG notwendig. Wie schon die Vorinstanz LG Münster lehnte das OLG Hamm mit Beschluss vom 23.08.2021 (Az.: 20 U 123/21) die Klage ab.

„Allein entscheidend ist, ob die Fragen von der Agentin mit dem Kläger in einer Art und Weise durchgegangen worden sind, die es erlauben, dieses Vorgehen einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des Fragetextes gleichzusetzen“, lautet eine zentrale Begründung des 20. Zivilsenats. Die Gefahrfragen ausschließlich mündlich zu stellen erfülle das Textformerfordernis nicht, es genüge aber wenn dem VN, „nachdem die Antragsfragen mündlich gestellt und beantwortet worden sind, das Formular mit den Antragsfragen und den Antworten in Textform zur Durchsicht vorgelegt wird. Es reicht mithin aus, wenn der Versicherungsnehmer die Gelegenheit erhält, die Fragen – auch nach ihrer Beantwortung – in Textform zur Kenntnis zu nehmen.“

Einen Bericht im VersicherungsJournal zum OLG-Beschluss kommentiert Versicherungsmakler Matthias Helberg per Leserbrief: „Kein Versicherungsvermittler, dem das Wohl seiner Kunden wichtig ist, wird Gesundheitsfragen lediglich vorlesen und anschließend abzeichnen lassen.“ Ein Runterrattern der Fragen, ohne Erläuterungen, ohne ausführlich die im Abfragezeitraum evtl. aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu hinterfragen, kann nicht im Interesse des Kunden sein. Da stimmen wir Helberg ausdrücklich zu. Wem das Wohl seiner Kunden wichtig ist, der überfährt diesen nicht mit einfach nur vorgelesenen und schnell abgehandelten Gesundheitsfragen. Michael Wortberg, RA und Referent der VZ Rheinland-Pfalz, sieht das allerdings anders.

Helbergs Statement widerspricht er in einem Leserbrief: „Das ist leider ganz und gar nicht so. Andernfalls gäbe es dazu nicht diverse Urteile und mit Sicherheit eine noch viel größere Zahl von außergerichtlichen Streitigkeiten.“ Es gibt, wie in jeder Branche, ‚Schwarze Schafe‘ und dann werden zu Recht Vermittler und Versicherer verurteilt. Aber das darf angesichts von zig Millionen Verträgen und zufriedenen Kunden – auch Leistungsbeziehern – nicht zu einer pauschalen verunglimpfenden Behauptung führen. Doch Wortberg jubelt zudem einen gerade von ihm betreuten BU-Fall hoch, „in dem es um das Ausfüllen am Laptop und Vorlesen der Fragen geht“. Also noch ein Einzelfall, der Wortberg offenbar schließen lässt, dass die gesamte Zunft verdorben ist. In der Welt des VZ-Mitarbeiters Wortberg scheinen seriöse, zum Wohl des Kunden arbeitende Vermittler keinen Platz zu haben.

Daher appelliert Ihr ‚vt‘-Chefredakteur in einem Leserbrief (VJ vom 04.03.2022) an Wortberg: „Bitte nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, unseriösen Vermittlern das Handwerk zu legen und Verbrauchern zu helfen. Zerren Sie jedes einzelne Fehlverhalten ans Tageslicht. Aber bitte unterlassen Sie es, die Vermittlerbranche pauschal zu diskreditieren. Das haben zehntausende qualifizierte und zum Wohl des Kunden arbeitende Vermittler und deren Mitarbeiter nicht verdient.“

Denn es gibt viele qualifizierte und seriös arbeitende Vermittler. Aus seiner Praxis schildert BU-Experte Helberg im Gespräch mit der ‚vt‘-Redaktion: „Wer Gesundheitsfragen in einem BU-Antrag aus dem Stegreif beantwortet, riskiert ohne Not Probleme im Leistungsfall. Wer solche Probleme vermeiden will, ist gut beraten, zunächst seine Gesundheitshistorie sorgfältig zu recherchieren. Die Fragen sind teilweise so gestellt, dass man sehr genau überlegen muss, was da eigentlich erfragt wird. Ich kenne kaum einen Kunden, der die Antworten spontan korrekt und vollständig geben könnte. Deswegen halte ich es für grundverkehrt, Kunden Gesundheitsfragen einfach nur vorzulesen und dann unterschreiben zu lassen.“

‚vt‘-Fazit: ++ Ein Vorlesen von Gesundheitsfragen im Stile des früheren ‚Hitparade‘-Moderators Dieter Thomas Heck, bei dem der Kunde überfahren statt zum Nachdenken über Erkrankungen und Behandlungen angehalten wird, genügt auch nach dem OLG Hamm dem VVG-Textformerfordernis nicht 

++ Aber unabhängig davon, was ‚gerade so‘ die rechtlichen Vorgaben erfüllt, geht es um die Arbeit im Interesse des Kunden. Wie qualifizierte Vermittler zum Wohl des Kunden arbeiten, und sich damit auch eine angemessene Vergütung für die Beratung und Vermittlung redlich verdienen, macht Versicherungsmakler Matthias Helberg sehr deutlich.

++ Welcher Verbraucher geht zur Verbraucherzentrale, wenn er mit seinem Vertrag zufrieden ist? Schade, dass sogenannte Verbraucherschützer aus ihren vergleichsweise überschaubaren Fallzahlen mit unzufriedenen und zum Teil auch tatsächlich geschädigten Verbrauchern in der Öffentlichkeit pauschales Bashing gegen angeblich grundsätzlich schlecht arbeitende Vermittler betreiben. Solche pauschalen Diskreditierungen entlarven wir, in ‚vt‘ oder per Leserbrief in anderen Medien. Denn Verbraucher müssen aufgeklärt werden, dazu können Sie gerne auch die guten ‚vt‘-Recherchen nutzen.
(Der Beschluss kann hier heruntergeladen werden.)

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