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SV liefert bei den Silikonfugen für Versicherungsmakler keine praktikable Lösung

Nach dem BGH-Urteil vom 20.10.2021 (Az. IV ZR 236/20) zu Nässeschäden aufgrund einer undichten Silikonfuge zwischen einer Duschwanne und einer angrenzenden Wand (vgl. ‚vt‘ 46/21) hatte die SV SparkassenVersicherung Gebäudeversicherung AG/Stuttgart auf ‚vt‘-Anfrage im November 2021 bekräftigt: „Als verlässlicher Partner behalten wir aktuell unsere bisherige Regulierungspraxis noch bei.“

Doch das hat die SV inzwischen geändert und will laut einem Blog-Eintrag im Juni mit einer zeitlich bedenklich knappen Ankündigung ab 01.07.2022 nur noch bis zu bestimmten Limits diese Schäden regulieren (vgl. ‚vt‘ 26/22). Gleichzeitig sollen auf Anfrage individuelle Lösungen möglich sein, was Versicherungsmakler äußerst kurzfris­tig zum Handeln zwingt, um Haftungsgefahren zu minimieren.

Zu dieser Kehrtwende und dem Umgang mit Versicherungsmaklern hat die ‚vt‘-Redaktion SV-Vertriebsvorstand Markus Reinhard um eine Stellungnahme gebeten, nun können wir Sie über das Ergebnis und die Sichtweise der SV informieren: „Durch das BGH-Urteil ist die Anspruchsgrundlage für eine Regulierung der Fugenschäden entfallen. Damit ist jede Regulierung eine freiwillige Leistung (Kulanz) des Versicherers. Für Freiwilligkeitsleistungen kann es gute Gründe geben, die aber entsprechend dokumentiert und limitiert sein müssen.

Bei der Bewertung sind verschiedene juristische Normen im Versicherungsaufsichtsgesetz (Missstand, §§ 294 und 295), dem Aktiengesetz (Verletzung der Sorgfaltspflicht, § 93, Abs. 1) und dem Strafgesetzbuch (Untreuetatbestand, § 266) zu beachten“, erläutert die SV der ‚vt‘-Redaktion ihre Beweggründe. Wir wollen der SV nicht widersprechen, dass reine Kulanzregulierungen nicht nur aus Sicht der Versichertengemeinschaft ein Problem sind, sondern Vorstände sich bei allzu laxer Kulanz-Handhabung u. a. gegenüber der Aufsicht verantworten müssen.

Wir geben aber beim ‚Silikonfugen-Urteil‘ zu bedenken: ++ Die SV hatte vor dem BGH-Urteil „in Schadenfällen die Bedingungen zugunsten“ der VN „ausgelegt“ und wollte „als verlässlicher Partner“ die „bisherige Regulierungspraxis noch beibehalten“, so die SV gegenüber ‚vt‘ am 24.11.2021 (vgl. ‚vt‘ 50/21). Die ‚Silikonfugen-Schadenregulierung‘ erfolgte also auf Basis der seinerzeit kalkulierten und vereinnahmten Prämien, ohne dass dies zu einer Schieflage führte.

Eine finanziell schwerwiegende Problematik, die dem Vorstand bei Fortsetzung der bisherigen Regulierungspraxis bis Anfang 2023 auf die Füße fallen könnte, ist demnach in Bezug auf die ‚Silikonfugen-Schadenregulierung‘ nicht gegeben.

++ Die SV betonte ihr kundenfaires Verhalten als „verlässlicher Partner“. Das darf und muss man in die Waagschale werfen. Das Argument, einen Reputationsschaden vermeiden zu wollen, lässt sich u. E. gegenüber Aufsicht und Anteilseigner sehr gut ins Feld führen, zumal es diverse andere Versicherer gib, die an der kundenfreundlichen Regulierung weiter festhalten wollen, ggf. bis man einen Optionstarif auf den Markt gebracht hat.

++ Einen weiteren Grund liefert die SV selbst: Die hat vor dem Hintergrund der zuvor zitierten juristischen Normen ihr „gestuftes Verfahren, wie dargestellt, vorgenommen, in dem der Kunde bis Jahresende seine Schäden auch grundsätzlich reguliert bekommt“, so der Versicherer. Grundsätzlich heißt: „Seit dem 01.07.2022 leisten wir auf Basis unseres neu entwickelten Deckungsbausteines und begrenzen die Entschädigungsleistung auf einen Höchstbetrag. Für Firmenkunden liegt dieser Betrag z. B. bei 10.000 €. Dieses Limit reicht in der überwiegenden Zahl der Fälle aus, um den entstandenen Schaden zu bezahlen.“ Bei Privat- und Agrarverträgen liegt das Limit bei 2.500 € je Schaden.

Wenn die meisten Schadensfälle mit dem Limit abgefrühstückt sind, dann stellt sich die Frage: Wo sollen dann die Schäden herkommen, deren Regulierung die SV in eine (aufsichts)rechtliche Bredouille bringen könnten? Bei den von der SV aufgeführten Argumenten, warum per 01.07.2022 zwingend kundenunfreundlich nach BGH-Rechtsprechung zu regulieren ist, können wir im konkreten Fall nicht die behauptete Schwere und Durchschlagskraft entnehmen.

Zudem hätte die SV, statt des „neu entwickelten Deckungsbausteines“ zur Begrenzung der „Entschädigungsleistung auf einen Höchstbetrag“ eine Klarstellung zu den AVB vornehmen können, dass die ‚Silikonfugenschäden‘ reguliert werden. Unterschiedliche Bedingungswerke sind durchaus wettbewerbsfördernd und wer eine auskömmlich kalkulierte Leistung anbietet, der wird wohl kaum ‚Bestrafungen‘ nach dem AG, StGB oder VAG befürchten müssen. Und auskömmlich kalkuliert hatte es die SV ausweislich der früheren Regulierungspraxis.

„Aufgrund der Vielzahl der betroffenen Produktlinien und Kundensegmente benötigen wir eine entsprechende Vorlaufzeit, um den ergänzenden Deckungsbaustein technisch für die Hinterlegung vorzubereiten“, bittet die SV um Verständnis für den langen zeitlichen Vorlauf. Es gibt zwar Versicherer, die, womöglich mit weniger Produktlinien und Kundensegmenten, binnen weniger Wochen bewerkstelligt haben, wozu die SV über ein Jahr benötigt.

Aber wenn die SV Gründe hat, warum es dort deutlich länger dauert, eine optionale Deckung anzubieten, dann ist das auch nicht Anlass für unsere Kritik. Die bezieht sich ausschließlich darauf, VN und Vermittler für ein gutes halbes Jahr in schwieriges Fahrwasser zu manövrieren, insbesondere die Versicherungsmakler aufgrund der von der SV leider kräftig befeuerten Haftungsgefahr.

Denn es soll neben den Limits dann doch individuell anzufragende Lösungen geben, so die SV: „In den Fällen, in denen diese grundsätzliche Umsetzung nicht zielführend ist, ist die SV über ihre bekannten Ansprechpartner gesprächsbereit, um im Einzelfall individuelle Lösungen abzustimmen. Für unsere Makler ist der Ansprechpartner der jeweils bekannte Maklerbetreuer.“

Das hört sich kunden- und maklerfreundlich an, lässt aber bei Versicherungsmaklern die Alarmglocke läuten. Wenn ein VN jetzt einen Silikonfugenschaden erleidet, der über der Höchstgrenze liegt, wird der Versicherungsmakler, der den Kunden nicht aufgeklärt hat, wohl bis zu der Schadenhöhe einstehen müssen, die die SV auf Anfrage abgesichert hätte – ein gefundenes Fressen für Anwälte!

Wir wollten mit den folgenden Fragen an Vertriebsvorstand Reinhard der SV Gelegenheit zur Aufklärung geben und zugleich Versicherungsmaklern wichtige Erkenntnisse für die Beratung liefern: ++ Welche Parameter prüft die SV, um über eine höhere Absicherung zu entscheiden? Führt eine im Sinne des Kundenwunschs positive Prüfung zu einer in der Höhe (im Rahmen des Vertrages) ungedeckelten Schadensregulierung oder wird die Höchstgrenze, bspw. von 2.500 € bei Privatverträgen ab 01.07., angehoben und ggf. auf welche maximale neue Höchstgrenze?  ++ Führt die Zustimmung zu einer höheren Absicherung zu einer Erhöhung der Prämie? Leider wurden unsere konkreten Fragen nicht beantwortet.

Das gilt auch für weitere Fragen wie u. a.: ++ Warum lässt die SV Versicherungsmaklern so wenig Zeit, um Kunden über das geänderte Regulierungsverhalten, drohende Nachteile und die Möglichkeit einer individuellen Prüfung einer höheren Absicherung von Silikonfugenschäden zu informieren?  ++ Könnten die Haftungsaspekte für Versicherungsmakler Anlass für die SV sein, das geänderte Regulierungsverhalten nicht per 01.07., sondern später anzuwenden?

Speziell die Kurzfristigkeit kritisiert auch Versicherungsmakler Wilfried E. Simon, Dozent für Versicherungsrecht und Mitglied im Rechtsausschuss des Berufsverbandes Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler e.V. (IGVM): „Was die SparkassenVersicherung Stuttgart mit ihrer Entscheidung macht, Silikonfugenschäden ab dem 01.07.2022 bei Privatleuten mit bis zu 2.500 € und bei Gewerbetreibenden mit bis zu 10.000 € zu regulieren, halten wir bei der IGVM für zu kurzfristig durch den Versicherer herbeigeführt. Denn erklärt hatte die SV nach der BGH-Entscheidung, dass sie ihr bis dahin geltendes Regulierungsverhalten nicht ändern werde. Wir können allen Versicherungsvermittlern nur empfehlen, ihre Kunden darüber kurzfristig zu informieren, falls Sie es noch nicht getan haben.“

‚vt‘-Fazit: + Der von der SV aufgeführten grundsätzlichen Rechtsproblematik, warum sie glaubt, das BGH-Urteil ab 01.07.2022 zwingend anwenden zu müssen, können wichtige Argumente entgegengestellt werden: ++ Anfang 2023 soll ein Optionstarif eingeführt werden, daher würde die SV ohnehin nur einen überschaubaren Zeitraum die kundenfaire Regulierung fortsetzen  ++ Diese kundenfreundliche Regulierung war bisher auskömmlich kalkuliert  ++ Mit der Abkehr von der kundenfreundlichen Regulierung wird ein Reputationsschaden riskiert  ++ Man stellt sich schlechter als Wettbewerber, was zumindest im Maklermarkt beim Neugeschäft Konsequenzen haben könnte und für den Sparkassenvertrieb auch nicht förderlich ist.

+ Besonders maklerunfreundlich ist die sehr kurzfristige Ankündigung im Juni mit Wirkung zum 01.07. Versicherungsmakler, die vom Produktpartner in eine Haftungsgefahr gebracht werden, könnten über dessen zukünftige Zuverlässigkeit und eine Fortsetzung der Geschäftspartnerschaft nachdenken. Und dies alles nur, weil die SV sich nun für Schäden über dem Limit die Regulierung oberhalb des Limits erspart.

+ Ein Versicherungsmakler mit SV-Wohngebäudebestand sollte, falls noch nicht geschehen, betroffene Mandanten umgehend informieren und prüfen, ob er den zuständigen Maklerbetreuer um ein Angebot für den Gesamtbestand bittet, mit dem dann der individuelle Kunde beraten werden kann.

 

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