Gruene-2021

1) BaFin-Aufsicht: Das Gesetzgebungsverfahren für eine BaFin-Aufsicht der Finanzanlagenvermittler/Honorar-Finanzanlagenberater ist jüngst gescheitert. Wie soll es aus Ihrer Sicht mit diesem ‚Projekt‘ weitergehen: Beerdigen oder neuer Anlauf?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Wir GRÜNE setzen uns weiter für eine einheitliche Aufsicht ein und werden dieses Projekt in der kommenden Legislaturperiode auch weiter verfolgen. Die Aufsicht über alle Finanzanlagenvermittler*innen und –berater*innen muss deutschlandweit nach vergleichbaren Standards und mit vergleichbaren Abläufen auf einem einheitlich hohen Niveau stattfinden. Dies ist in den heutigen Strukturen, in denen die Aufsicht in den Ländern unterschiedlich gestaltet ist, nicht immer der Fall, weshalb wir uns für eine Vereinheitlichung durch die Bündelung der Aufsicht bei der BaFin aussprechen. In den Beratungen zum entsprechenden Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen konnte die BaFin plausibel darlegen, dass sie durch Digitalisierung und risikoorientierte Prüfungen die Kosten geringhalten will. Die Kosten, die bei voraussichtlich durchschnittlich 1.000 Euro liegen werden, für kleinere Finanzanlagenvermittler*innen jedoch weniger, wurden kontrovers diskutiert und mit den jetzigen Kosten verglichen, die bei ca. 500 Euro für den Prüfbericht plus weiterer Kosten für Prüfbesuche liegen. Wir halten diese Kosten für vertretbar, da die bisherigen Prüfkosten entfallen werden.

1.1 ) Sollen zudem auch die mehr als 45.000 kleinen und mittelständischen Versicherungsmakler-Betriebe weiterhin im Rahmen der Gewerbeordnung von IHKen und Landratsämtern beaufsichtigt werden, oder sollen die im Auftrag des Kunden tätigen Versicherungsmakler einer zentralen Aufsicht durch die BaFin unterstellt werden?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Auch im Versicherungsvertrieb ist die Aufsicht derzeit unübersichtlich, uneinheitlich und teils unterentwickelt. Die Erlaubniserteilung obliegt den IHK, die Erlaubnisentziehung fällt teils in die – je nach Bundesland unterschiedlich geregelte - Zuständigkeit der kommunalen Behörden (Gewerbeamt, Ordnungsamt, etc.) oder den Landkreisen (Bezirksamt, Regierungspräsidium, etc.). Die Zuständigkeit für Gewerbeuntersagung ist teilweise nicht in derselben Behörde angesiedelt wie die Zuständigkeit für die Rücknahme der Erlaubnis. Bei gebundenen Versicherungsvermittler*innen, die keiner Gewerbeerlaubnis bedürfen und 65 Prozent aller Vermittler*innen von Versicherungen ausmachen, dürfen die Versicherer die Zuverlässigkeit der Vermittler*innen sogar selbst beurteilen. Diese Zerstückelung führt zu uneinheitlicher und ineffizienter Aufsicht und soll beendet werden. Die Aufsicht sowie die Zuständigkeit für Erlaubniserteilungen und -rücknahmen für die gesetzlichen Typen von Vermittler*innen und Berater*innen soll künftig zentral bei der BaFin gebündelt werden. Auch hier werden wir GRÜNE darauf drängen, dass die Kosten für die Branche gering gehalten werden.

2) Provisionsverbot: Wie stehen Sie zu einem generellen Provisionsverbot bei Finanzdienstleistungen und im Versicherungsbereich (hier ggf. spartenabhängig Leben, Kranken, Komposit oder generell alle Sparten)?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Trotz der vielen, teilweise auch bürokratischen Vorgaben und Einschränkungen, die den Finanz- und Versicherungsberater*innen in den letzten Jahren gemacht wurden, kommt es weiterhin viel zu häufig vor, dass Kund*innen unpassende Produkte verkauft werden. Mit gravierenden Folgen: Die Kund*innen zahlen zu viel, sind im Ernstfall nicht abgesichert oder die Ersparnis für die Rente fällt zu mager aus. Dies wird uns leider immer wieder im direkten Austausch mit betroffenen Bürger*innen mitgeteilt und auch von den Verbraucherzentralen bestätigt. Ein großer Teil der Berater*innen macht einen guten Job und berät im Interesse der Kund*innen. Aber leider scheinen die Probleme mit dem Provisionssystem so inhärent, dass trotz der vielen Vorgaben noch viele schwarze Schafe im Markt sind und die hohe Anzahl an Falschberatungen nicht in den Griff zu bekommen ist. Der jährliche Schaden für die Verbraucher*innen wird im zweistelligen Milliardenbereich angenommen. Deshalb setzen wir GRÜNE uns dafür ein, mittel- bis langfristig von der provisionsbasierten Beratung auf die Honorarberatung umzusteigen.

3) Sustainable Finance: Wie weit und in welcher Form soll nach Ihrer Ansicht der Staat bzw. die EU beim Thema ‚Nachhaltigkeit‘ in die Anlageentscheidungen von Verbrauchern sowie in den Investitionsprozess von Versicherungen und Asset Managern eingreifen?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten wächst schnell. Viele Anleger*innen wollen die Auswirkungen und Risiken des Klimawandels in ihren Anlagestrategien berücksichtigen. Aus Sicht der Verbraucher*innen ist oftmals das Problem, dass sich in angepriesenen „grünen“ Finanzanlagen umweltschädliche oder sozial unverträgliche Investitionen verstecken. Das schwächt das Vertrauen in diesen noch jungen Markt. Es gilt deshalb durch die Etabilierung klarer „grüner“ Kriterien solches Greenwashing zu verhindern. Wir GRÜNE unterstützen deshalb das Vorhaben der EU-Kommission ein Klassifizierungssystem zu erarbeiten, das erstmals klar definiert, wann eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig eingestuft werden kann. Basierend auf dieser Grundlage wollen wir klar verständliche und einfache Nachhaltigkeitslabels entwickeln. So können Kund*innen eine freie und informierte Entscheidung über den Grad der Nachhaltigkeit ihrer Finanzanlage treffen. Vorgaben soll es dazu nicht geben. Auch in den Anlageprozess von Asset-Managern und Versicherern sollte der Staat nicht eingreifen. Es gilt aber, dass auch diese, die Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Portfolios berücksichtigen offenlegen und die Fähigkeit haben, diese zu bewerten und zu tragen.

4) Taping: Die Erfahrung von Banken, Beratern und Anlegern mit MiFID II haben gezeigt, dass insbesondere das Taping (Zwang zur Kommunikations-Aufzeichnung bei der Beratung) als Überregulierung empfunden wird. Setzen Sie sich hier für Verbesserung oder Erleichterungen ein?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Laut ESMA stellt das Taping in den meisten anderen Mitgliedstaaten der EU kein Problem dar. Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint das Taping sich auch in Deutschland etabliert zu haben. Laut BaFin äußern sich nur wenige Kund*innen negativ zur Aufzeichnung der Gespräche. Auch sieht die BaFin die Aufzeichnung als ein wichtiges Mittel im Verbraucher*innenschutz an, welches wichtige Sicherheit sowohl für Anleger*innen als auch Berater bietet. Trotzdem sind wir GRÜNE für sinnvolle Vereinfachungen und Erleichterungen für die Branche und ihre Kunden offen, solange dies nicht zur Absenkung des Verbraucher*innenschutzes führt.

5) Nullzinspolitik: Die Auswirkungen und Verwerfungen der EU-Nullzinspolitik für die Stabilität von Versicherungen, Banken und Betriebsrenten sind mittlerweile unübersehbar geworden. Wie und wann kann die Politik hier den Ausstieg schaffen, um weitere Vermögenseinbußen für Anleger zu vermeiden?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Unter Ökonomen herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Notenbanken nicht die Hauptverantwortung für die niedrigen Zinsen tragen. Die Zinsen sinken bereits seit den 1980er Jahren kontinuierlich. Ursache dafür sind u.a. zu niedrige private und öffentliche Investitionen. Wir GRÜNE starten in der nächsten Legislaturperiode eine Investitionsoffensive: In schnelles Internet, überall. In Spitzenforschung. In klimaneutrale Infrastrukturen, in Ladesäulen, die Bahn, emissionsfreie Busse und moderne Stadtentwicklung. Wir wollen, dass Deutschland bei den öffentlichen Investitionen im Vergleich der Industrieländer vom Nachzügler zum Spitzenreiter wird, indem wir im nächsten Jahrzehnt die Investitionen verdoppeln. Dadurch steigt die Nachfrage nach Kapital, die Geldpolitik wird entlastet und die Zinsen können wieder ansteigen.

6) ‚Grauer Kapitalmarkt‘: Mit dem vor kurzem verabschiedeten Anlegerschutzstärkungsgesetz wurden Vermögensanlagen nach Vermögensanlagengesetz stärker reguliert. Ist dies aus Ihrer Sicht nun ausreichend oder planen Sie weitere Verschärfungen? Wie bewerten Sie zudem die Entwicklung und den Status des Anlegerschutzes in den Prospektpflicht-freien Bereichen des Crowdinvestings und diverser ‚Krypto‘-Anlagemodelle?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Ja, wir GRÜNE wollen das Schutzniveau des grauen Kapitalmarkts deutlich anheben. Hierzu wollen wir u.a. die derzeit rein formelle Prospektprüfung um sinnvolle materielle Prüfelemente ergänzen, durch die die BaFin weitreichende Prüfungs-und Auskunftsrechte auch gegenüber Emittenten im Grauen Kapitalmarkt erhält. Außerdem wollen wir zur laufenden Kontrolle des Geschäftsgebarens von Finanzdienstleistern am Grauen Kapitalmarkt in Anlehnung an die Wohlverhaltenspflichten gemäß § 31 ff. WpHG eine Task-Force Grauer Kapitalmarkt nach österreichischem Vorbild einrichten. Diese neuen Kompetenzen müssen natürlich mit entsprechendem Personal und Expertise unterfüttert werden.

Außerdem soll die BaFin ihr Verbraucher*innenschutzmandat grundsätzlich besser ausfüllen, z.B. durch eine aktivere Nutzung des Instruments der Produktinterventionen, um bei gefährlichen oder irreführend gestalteten Produkten schnell Anpassungen oder Vertriebsverbote zu erwirken.

7) Provisionsdeckel Lebensversicherung: Befürworten Sie einen Beibehalt der bisherigen Vergütungspraxis und Einschreiten der BaFin nach § 48a VAG, wenn im Einzelfalle verbraucherschädigende Vergütungsexzessen identifiziert werden, oder befürworten Sie die Einführung eines LV-Provisionsdeckels?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz wurde eine Senkung der Kosten der Produkte angestrebt. Diesem Versprechen ist die Versicherungsbranche nach den Untersuchungen der BaFin bis heute nicht in relevantem Umfang nachgekommen. Die Abschlussprovisionen beliefen sich nach einer Untersuchung der BaFin in der Spitze auf über 10%. Um diese Extreme zu verhindern halten wir GRÜNE einen Deckel für gerechtfertigt. Grundsätzlich wollen wir langfristig ganz aus der Provisionsberatung (siehe Frage 2) aussteigen.

8) Riester-Rente: Befürworten Sie die Riester-Rente zukunftsfähig zu reformieren, insbesondere mit Blick auf den ab 01.01.2022 auf 0,25 % abgesenkten Höchstrechnungszins und eine damit nicht mehr darstellbare 100%ige Beitragsgarantie oder befürworten Sie, dass die Riester-Rente im Neugeschäft eingestellt wird?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Die Riesterrente hat die in sie gesetzten Ziele nicht erreicht. Die Produkte sind teuer und undurchschaubar und sie haben  einen viel geringeren Ertrag als ursprünglich erwartet. Insbesondere Geringverdienende können sich das "Riestern" oft nicht leisten. Deswegen haben viel zu wenige davon Gebrauch gemacht. Wir brauchen daher einen Neustart bei der geförderten betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Die Riesterrente wollen wir GRÜNE daher durch einen öffentlich verwalteten Bürger*innenfonds ersetzen und in diesen überführen. Der Bürger*innenfonds soll ein kostengünstiges Standardprodukt für die zusätzliche Altersvorsorge anbieten, von einer unabhängigen Institution verwaltet werden und nachhaltig anlegen. Ein langfristiger Anlagehorizont und ein breit diversifiziertes Portfolio geben Sicherheit, sodass der Bürger*innenfonds auf teure Garantien verzichten kann. Das Standardprodukt des Bürger*innenfonds soll auch in der Betriebsrente genutzt werden können.

9) Wirecard und Aufsicht: Welche Konsequenzen müssen aus dem Wirecard-Skandal gezogen werden, z. B. hinsichtlich der Zuständigkeiten bei Finanzaufsicht, Bilanzkontrolle und Geldwäscheaufsicht, oder reichen die bislang dazu beschlossenen Maßnahmen dazu aus Ihrer Sicht aus?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Wirecard galt im Juni 2020 kurz nach der Insolvenz noch als reiner "Bilanzskandal". Die Aufsicht gab sich unbeteiligt und EY verwies auf die angebliche Chancenlosigkeit ob der außergewöhnlichen kriminellen Energie von Jan Marsalek und Co. Nach dem Untersuchungsausschuss wissen wir: Die Bankenaufsicht war jahrelang zu zahm, die Wertpapieraufsicht ist auf die Verschwörungstheorie hereingefallen, nach welcher die Financial Times angeblich Bloomberg bestechen und Bloomberg nun Wirecard erpressen wolle. Die Vorwürfe von Dan McCrum und anderen wurden nie ernsthaft überprüft, während man die anglophob konnotierten Fantasievorwürfe Marsaleks völlig unkritisch übernahm. Die deutsche Finanzaufsicht muss einen Kulturwandel einleiten. Anglophobe Vorurteile dürfen nicht die Aufsicht bestimmen, stattdessen muss diese analytisch so stark sein, dass sie sich mit Marktteilnehmern und Journalisten auf Augenhöhe austauschen und deren Argumente verifizieren kann. Gleichzeitig müssen Geldwäscheaufsicht und Compliance in Behörden reformiert werden. Schließlich brauchen wir dringend ein Lobbyregister, damit Auswüchse wie bei Wirecard, das unter anderem Karl-Theodor zu Guttenberg für Gastbeiträge in der FAZ und exklusiven Zugang zum Kanzleramt bezahlte, zukünftig nicht nur durch Untersuchungsausschüsse aufgeklärt werden.

10) Offene Frage: Für welche Maßnahme bzw. welche Regulierung wollen Sie sich in der nächsten Legislaturperiode einsetzen bzw. was sollte aus Ihrer Sicht in der Finanzpolitik und Finanzmarktregulierung oberste Priorität haben?

Antwort Bündnis90/Grüne:

Es gibt in fast allen Bereichen noch viel zu tun. Wir müssen bei der Bankenunion weiterkommen und auch beim Thema Finanzstabilität und finanzieller Verbraucher*innenschutz gibt es noch offene Baustellen. Ganz zu schweigen vom Thema Kryptomärkte und Digitalisierung. Jedoch werden die nächsten Jahre entscheidend dafür sein, ob wir das Pariser Klimaabkommen und die nationalen Klimaschutzziele noch einhalten werden oder nicht. Wir müssen daher in den nächsten vier Jahren die strukturellen Weichen für den Pfad zur Klimaneutralität stellen. Wir GRÜNE wollen, dass dies auch für den Finanzbereich gelingt. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass Nachhaltigkeitsrisiken im Finanzmarkt transparent und bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden und dass Preise die ökologische Wahrheit sagen - und sich das auch in den Bilanzen widerspiegelt.