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Beratungslücke in UK und Holland: Und es gibt sie doch!

Erinnern Sie sich an die ein oder andere Verlautbarung des vzbv – der für sich in Anspruch nimmt u. a. für finanziellen Verbraucherschutz zu sprechen – zum Provisionsverbot? Zum Beispiel im Jahr 2019 hat sich der vzbv sehr weit mit einem Thesenpapier aus dem Fenster gelehnt: "Europäische Provisionsverbote & deutsche Fehldarstellungen. Eine Aufarbeitung der Diskussion über Provisionsverbote im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden". Allein schon der Duktus "Fehldarstellungen" verrät viel über das 'Mindset' der Verbraucherschützer: Kritikern wie 'k-mi', die schon seit langem auf die Problematik der Beratungslücke aufmerksam machten (vgl. 'k-mi' 11/16, 28/18), wurde im Prinzip unterstellt, dass sie sich das Problem nur einbilden. So heißt es dazu in dem genannten Thesenpapier des vzbv von Anfang 2019 u. a.: "Das prominenteste Argument gegen ein Provisionsverbot in Deutschland klingt in etwa so: 'Finanzberatung ist teuer, Menschen mit nur wenig Geld können sich das nicht leisten, also werden Kleinanleger von der Finanzberatung ausgeschlossen.' Diesen vermeintlichen Ausschluss nennen die Gegner eines Provisionsverbotes gerne 'Beratungslücke'. Das Problem an diesem Argument ist, dass es mit den Praxiserfahrungen aus den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich unvereinbar ist."

Der vzbv bestreitet also grundsätzlich, dass es nach Einführung des Provisionsverbots überhaupt Probleme mit dem Zugang und der Erschwinglichkeit von Beratung gibt! War diese Auffassung des vzbv schon damals äußert zweifelhalt, ist sie spätestens jetzt offiziell widerlegt. Und das ausgerechnet durch die aktuelle Kantar-Studie, auf die sich auch die EU-Kommission bei ihren Überlegungen bezieht! In der Kantar-Studie ('Disclosure, inducements, and suitability rules for retail investors study, Final report') heißt es klipp und klar (auf Seite 276f): "In the UK and the Netherlands access to advice has indeed declined (…) In both the Netherlands and the UK, the market has developed towards more execution-only products" (Im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden hat sich der Zugang zur Beratung tatsächlich verschlechtert Sowohl in den Niederlanden als auch im Vereinigten Königreich hat sich der Markt in Richtung 'execution-only'-Produkte entwickelt). Wir sind gespannt, ob der vzbv diese glasklaren Ergebnisse zum Anlass nimmt, seine Einschätzung zu korrigieren oder zumindest anhand der neuesten Studien-Ergebnisse zu aktualisieren und zu relativieren. Denn das – und nicht die selektive Wahrnehmung von Studien – wäre wahrer Verbraucherschutz!

Auch zum Thema 'Mindestanlagesummen' hat der vzbv 2019 sehr sportliche Thesen vertreten. So schreiben die Verbraucherschutz-Lobbyisten dort zu angeblichen 'Fehldarstellungen': "In Feldversuchen hat sich gezeigt, dass auch Verbraucher mit Anlagesummen von 10.000 Pfund keine Schwierigkeiten hatten, Finanzberatung zu bekommen. Wie klein eine Anlagesumme wirklich sein darf, bevor es keinen Sinn mehr ergibt Finanzberatung in Anspruch zu nehmen, ist nicht abschließend geklärt. Die meisten Beratungsfirmen setzen aber kein Mindestvolumen. In Deutschland gab es Behauptungen, dass mindestens 100.000 Pfund nötig seien, um sich in Großbritannien noch beraten zu lassen. Das ist nachweislich falsch. Sollte es eine kritische Anlagesumme geben, müsste sie unterhalb der 10.000-Pfund-Grenze liegen, sonst hätten die Britischen Behörden sie unterdessen gefunden."

Dies ist jedoch eine irreführende Verkürzung. Die britische Finanzaufsicht FCA selbst sagt (in ihrer Evaluierung des Provisionsverbots 2019/2020): "Finanzberatung bleibt für Menschen mit größerem Vermögen zugänglicher. Unsere Beraterfirmen-Umfrage zeigt, dass selbst Firmen ohne formale Mindestschwelle im Allgemeinen hohe durchschnittliche Depotgrößen bei ihren derzeitigen Kunden haben. Dies zeigt, dass der Zugang zur Beratung in der Praxis für Verbraucher mit kleineren Vermögen begrenzt ist." ('Evaluation of the impact of the Retail Distribution Review and the Financial Advice Market Review', S. 33). Tatsächlich haben 40 % der Beraterfirmen aber laut FCA formale Mindestanlagegrenzen, beginnend ab 50.000 Pfund. Ca. 10 % der Firmen geben sich nur mit Kunden ab 1 Mio. Pfund ab. Die 60 % der Firmen ohne formale Mindestanlagegrenzen haben jedoch im allgemeinen vergleichbare hohe Kundendepots, betont die FCA wiederholt: "Obwohl die meisten Unternehmen keinen formellen Schwellenwert haben, gab es – abgesehen von einer kleinen Anzahl von Robo-Advisern – keine Anzeichen dafür, dass Unternehmen ohne formellen Schwellenwert im Durchschnitt weniger wohlhabende Kunden ansprechen oder bedienen" (vgl. FCA-Evaluation S. 39 sowie 'k-mi' 21/21).

Dies gilt übrigens auch für die Niederlande. Auch dort gibt es inzwischen nach Einführung des Provisionsverbots Mindestanlageschwellen, so der glasklare Befund der Kantar-Studie (S. 218), und zwar in Höhe von 75.000 €! "Retail investors almost exclusively invest on an execution-only basis as inducements are banned (…) Independent advice is available for wealthier investors (over EUR 75k)." Man sieht, die Aussagen des vzbv lösen sich damit in Luft auf bzw. sind durch unbestreitbare Evidenz widerlegt! Zwar lagen genau diese Studien dem vzbv 2019 in dieser Form noch nicht vor, obwohl es viele andere widersprechende Daten gab. Aber es wäre schön – und vor allem wahrer Verbraucherschutz im öffentlichen Auftrag –, wenn der vzbv im Nachhinein wenigstens seine inzwischen widerlegte Darstellung korrigieren würde!

Die Kantar-Studie gibt zudem in der Zusammenfassung einen guten Überblick über die Gesamtsituation in der EU. Ergebnis: Honorarberatung bzw. 'independent advice' oder 'unabhängige Beratung' ist mangels entsprechender Nachfrage eben nicht auf dem Siegeszug. In den Niederlanden sind dies allenfalls die sog. Fonds-Supermärkte, so Kantar (S. 327): "Der Rechtsrahmen für Provisionen und Beratung zielt darauf ab, Interessenkonflikte bei Beratern zu vermeiden, die Anlageprodukte an Kunden verkaufen, um sicherzustellen, dass ihre Empfehlungen auf der Eignung der Produkte und nicht auf den Gewinnen basieren, die sie durch den Verkauf von Produkten erzielen. Es wird davon ausgegangen, dass die unabhängige Beratung weniger konfliktbehaftet wäre und infolge der Begrenzung der Provision bzw. Anreize zunehmen würde. Die Studie findet jedoch keine Hinweise auf einen wachsenden Markt für unabhängige Beratung in den untersuchten Ländern. Die Niederlande, wo Provisionen (Anreize) verboten sind, bilden eine Ausnahme, in der unabhängige Beratung tatsächlich häufiger vorkommt. Das bedeutet aber noch nicht, dass unabhängige Beratung in den Niederlanden leicht zugänglich ist. Sie ist oft wohlhabenderen Kunden vorbehalten oder mit einer Gebühr verbunden, die nicht jeder zu zahlen bereit ist. Die Mehrheit der Kunden wird nicht durch eine unabhängige Beratung bedient, sondern wird eher auf 'execution-only' Produkte verwiesen, die nur über digitale Plattformen verkauft werden" (Übersetzung durch 'k-mi').

Anders als der vzbv z. B. meint(e), gibt die Entwicklung in UK und Holland ernsten Anlass für Besorgnis hinsichtlich des Anleger- und Verbraucherschutzes. Die Anleger dort werden oft als unfreiwillige Selbstentscheider zu Versuchskaninchen bei Fonds-Supermärkten oder im schlimmsten Falle bei dubiosen Internet-Angeboten. Diese für den Verbraucherschutz bedenkliche Entwicklung durch das Provisionsverbot ist auch an der Bundesregierung nicht vorbeigegangen: In seiner Antwort für das BMF auf eine Kleine Anfrage der Unions-Fraktion im Bundestag zum Thema "Drohendes EU-Verbot provisionsbasierter Anlageberatung" führt Staatssekretär Dr. Florian Toncar (FDP) dazu u. a. aktuell aus: "Die Beobachtungen für den niederländischen Markt nach Einführung eines Zuwendungsverbots können nicht unmittelbar auf den deutschen Markt übertragen werden. Dies folgt nicht zuletzt aus strukturellen Unterschieden im System der Altersvorsorge. Des Weiteren können die Beobachtungen aus den Niederlanden unterschiedlich interpretiert und bewertet werden. Beispielsweise kann der dort nach Informationen der BaFin zu beobachtende Anstieg des beratungsfreien Geschäfts (einschließlich reinem Ausführungsgeschäft, sog. Execution-only) aus Sicht des Verbraucherschutzes durchaus kritisch gesehen werden, da es regulatorisch ein niedrigeres Schutzniveau bietet und deshalb ein besonderes Maß an Finanzkompetenz voraussetzt."

'k-mi'-Fazit: Nun werden Sie sich z. B. fragen, inwiefern die EU-Kommission auf Grundlage dieser Erkenntnisse u. a. der Kantar-Studie für eine EU-weites Provisionsverbot plädieren könnte? Die Antwort: Indem die EU-Kommission allein die Kostenbrille aufsetzen könnte und dann Äpfel mit Birnen vergleicht: Z. B. indem die Investition in einen Fonds im Wege der Provisionsberatung entweder verglichen wird mit der Investition ohne Beratung/Vermittlung oder ohne die entsprechenden Honorarkosten/Gesamtkosten zu berücksichtigen. Dieses (mögliche) Rosinenpicken war ebenfalls eine Frage der aktuellen Podcast-Folge "Provisionsverbot für Finanzanlagen- und Versicherungsvermittlung" der PROJECT Investment Gruppe, in der Moderator Bernhard Saß mit RA Martin Klein, Vorstand beim VOTUM Verband, und Christian Prüßing, Finanzbetriebswirt und Redaktionsleiter von 'k-mi', diskutierten. Der Podcast ist auffindbar u. a. über www.project-investment.de/hintergrundwissen/podcast-filme. Was den Schiffbruch des vzbv mit seinen Thesen zum Provisionsverbot in UK und Holland angeht, ist zu sagen: Galileo Galilei musste im Jahre 1633 vor der Inquisition seiner Lehre von der Erdbewegung abschwören. Der Legende nach, soll er nach dem Widerruf den Ausspruch getan haben: "Und sie bewegt sich doch!" Ebenso wie Galilei hatte 'k-mi' schon früh trotz Verbraucherschützer-'Inquisition' ohne Widerruf ausgerufen: "Beratungslücke – es gibt sie doch!"

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