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Gesetz zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG) – Wie man Kleinanleger über Bord wirft

von RA Ralph Veil, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht, Kanzlei Mattil & Kollegen, München

 Aktuell hat das AG Essen-Insolvenz- und Restrukturierungsgericht erstmals – soweit ersichtlich – eine Restrukturierungssache in Deutschland zu behandeln, bei der eine Publikums-Vermögensanlage nach dem VermögensanlagenGesetz (VermAnlG) – dem früheren sog. 'grauen Kapitalmarkt' – Gegenstand eines Restrukturierungsbeschlusses war. Der Beschluss vom 21.06.2023, Az. 160 RES 1/23, betrifft die SIP Grundbesitz & Anlagen AG, an deren Immobilienprojekte sich Anleger in den Jahren 2004 bis 2007 über nachrangige Genussrechte und a-typisch stille Beteiligungen beteiligen konnten.

Am 26.05.2023 fand bei dem AG Essen ein Termin statt, bei dem über einen (außerinsolvenzlichen) Restrukturierungsplan abgestimmt wurde. Inhalt des Plans war die Neuordnung der Gesellschaft ohne weiteres Anlegerkapital; die Anleger sollten ohne Wenn und Aber ausscheiden. Für die Anleger ging es im Erörterungs- und Abstimmungstermin letztlich um die Frage, ob die Auswirkungen des Restrukturierungsplans für sie das kleinere Übel im Vergleich zu einem regulären Insolvenzverfahren waren.

Zum Hintergrund

Das Gesetz zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, kurz StaRUG, stellt den Kern des neuen Sanierungs- und Insolvenzrechtfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) dar. Diese neuen Regelungen erweitern die Möglichkeiten von Unternehmen, präventiv eine Insolvenz zu verhindern, um sich neu aufzustellen. Das Gesetz trat zum 01.01.2021 in Kraft. Die EU hatte schon bereits seit 2016 durch eine Richt­linie versucht, die Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren zu steigern. Dies wurde nun in Deutschland mit dem neuen SanInsFoG und dem StaRUG umgesetzt.

Das StaRUG bietet generell für Unternehmen eine gute Möglichkeit, präventiv eine Insolvenz abzuwenden und mit Gläubigern im Vorfeld Vereinbarungen zu treffen. Bisher war es in Deutschland lediglich möglich, im Rahmen einer Sanierung in Eigenverwaltung Verhandlungen dieser Art durch das Unternehmen selbst führen zu dürfen. Während die Sanierung in Eigenverwaltung bereits innerhalb des Insolvenzrechts stattfindet, erfolgt die Sanierung und Restrukturierung nach dem neuen StaRUG außerhalb (vor) der Insolvenz.

Eintrittsvoraussetzung, um in den Bereich der außergerichtlichen nicht öffentlichen StaRUG-Sanierung zu gelangen, ist, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten sein darf – Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit von 24 Monaten bzw. von 4 Monaten für die Überschuldung; es muss ein Restrukturierungskonzept vorliegen; die Unternehmensfortführung muss erfolgreich möglich sein und es müssen alle Rechnungslegungspflichten erfüllt sein.

Das StaRUG setzt auf eine frühzeitige und weitestgehend außergerichtliche Sanierung und bietet damit einen primär präventiven Restrukturierungsrahmen. Damit eignet sich dieses Verfahren vor allem für Unternehmen, die durch hohe Finanzverbindlichkeiten belastet werden und bei denen eine Refinanzierung durch die hohe Schuldenbelastung erschwert ist; sie eignet sich nicht so sehr für operative oder arbeitsrechtliche Sanierungen.

Gläubiger müssen bei einer Beteiligung im StaRUG mit Einschnitten in ihre Rechte rechnen. Als Beteiligte an einer Gläubigergruppe mit vergleichbaren Rechtspositionen müssen sie – sofern die Mehrheit der Gläubiger in der Gruppe den Restrukturierungsplan annimmt – die geplanten Einschnitte gegen sich gelten lassen. Für ablehnende Gläubiger gilt allerdings der Minderheitenschutz. Ein Restrukturierungsplan wird auf Antrag eines Gläubigers nicht gerichtlich bestätigt – und wirkt damit auch nicht gegen ablehnende Gläubiger – wenn der Gläubiger durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde. Die Vergleichsrechnung muss also darlegen, dass der Gläubiger jedenfalls keine größeren Einschnitte hinnehmen muss, als ihm auch ohne den Restrukturierungsplan drohen würden. Ob der Gläubiger mit dem Plan voraussichtlich schlechter steht, als ohne Plan, ergibt sich aus einer Vergleichsrechnung auf Basis eines von dem Schuldner erarbeiteten Planszenarios.

Gesellschaften, wie die vorliegende, die sich im Wesentlichen über Publikumsvermögen finanzieren, hatte der StaRUG-Gesetzgeber sicher nicht vor Augen. Der Kapitalmarkt-Gesetzgeber der letzten Jahre hat – seit der Lehman-Krise – im Aufsichtsrecht zahlreiche anlegerschützende aufsichtsrechtliche Regelungen auf den Weg gebracht. Das StaRUG unterläuft die klassischen gesellschaftsrechtlichen, vertragsrechtlichen und insolvenzrechtliche Regelungen in Bezug auf Anlegerrechte von in Krise befindlichen Beteiligungen.

Das wird daran deutlich, dass – anders als im Gesellschafts- und Vertragsrecht üblich – die Erörterungs- und Entscheidungsfristen mit 14 Tagen nach §19 StaRUG deutlich kürzer sind als nach den vorgenannten anderen Restrukturierungsvarianten. Auch ist die Anlegerbeteiligung bzw. die Einbeziehung der Gläubiger im Vorfeld zum Erörterungstermin nicht verpflichtend. So verwundert es auch nicht, dass im Termin bei dem AG Essen nicht mehr als eine Handvoll Anleger persönlich anwesend war. Die Anleger waren schlicht wie 'überfahren' von dem Termin und hatten kaum Zeit, sich zu informieren und zu organisieren. Zudem prüfte, anders als im Insolvenzverfahren, der Restrukturierungsbeauftragte keine Schadensersatzansprüche gegen Verantwortliche im Vorstand oder Rückforderungsansprüche (Anfechtung) gegenüber früheren Geschäftspartnern. Beide Anlegergruppen wurden letztlich durch das Restrukturierungsverfahren allein schon deswegen schlechter gestellt als nach einem Insolvenzverfahren, weil sie – ohne dies zu thematisieren – als nachrangige Gläubiger betrachtet wurden. Dies, obwohl Nachrangklauseln aus dem Vermögensanlagebereich regelmäßig als "nicht gerichtsfest" beurteilt werden, was zur Folge hat, dass Forderungen der Anleger keine Nachrangforderungen sind und Anleger daher am Verteilungsverfahren teilnehmen können.

Hinzu kommt, dass die Schuldnerseite einen großen Gestaltungsspielraum bei der Gruppenbildung der Gläubiger hat. Anders als im Insolvenzverfahren erfolgt die Abstimmung über den Plan nicht anhand einer doppelten Mehrheit, bei der neben einer Summenmehrheit, d. h. einer auf die Summe der Forderungsbeträge bezogenen Mehrheit, auch eine Kopfmehrheit erreicht werden muss. Eine 75 % Mehrheit reicht aus. Die Mehrheitsfindung erfolgt dabei in der einzelnen Gruppe ebenso wie sie auch gruppenübergreifend erfolgen kann. Und die Schuldnerseite hat dabei eine große Gestaltungsmacht bei Bildung der Gläubigergruppen. So war es im Falle der SIP AG möglich, Forderungen von Kleinanlegern in eine Gruppe zu setzen mit hohen Forderungen von solchen Gläubigern, bei denen Personenidentität besteht zu Verantwortlichen auf Seiten der Schuldnerin.

Die Restrukturierung nach StaRUG weist im Vergleich zur Restrukturierung in der Insolvenz einige Besonderheiten auf, die sich vorliegend für die Anleger deutlich negativ bemerkbar gemacht haben und die Anleger im Ergebnis schlechter stehen lässt als nach einem regulären Insolvenzverfahren oder nach einer anderen vorinsolvenzlichen Sanierungsbemühung. Die Benachteiligung beginnt mit der sehr kurzen Frist zur Abstimmung und Erörterung über den Plan und endet mit dem Beginn der Rechtsmittelfrist gegen die Planfeststellung, die sich ab dem Datum der Entscheidungsverkündung, nicht ab dem Datum der Zustellung bemisst. Die Benachteiligung besteht inhaltlich weiter darin, dass die Forderungen der Anleger im vorinsolvenzlichen Verfahren ungefragt und nicht weiter überprüft als nachrangige Forderungen behandelt wurden. Schließlich wurde das Stimmrecht der Anleger im Abstimmungstermin dadurch verwässert, dass ihrer Gläubigergruppe weitere Forderungen von schuldnernahen Gläubigern beigegeben wurden. Der Nachteil ergibt sich daraus, dass das StaRUG eine Mehrheitsbildung nur nach Beträgen vorsieht, und nicht noch zusätzlich nach Köpfen, wie beim Insolvenzverfahren.

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