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Honorarberatung 'light' und 'Advice gap' als Folge des Provisionsverbots

Beratungsquote und Honoraranteil im Sinkflug: Neue FCA-Daten zeigen strukturelles Beratungsdefizit in Großbritannien durch Provisionsverbot – Honoraranteil der Beraterumsätze weiter im Sinkflug

Die Frage nach dem Sinn und Unsinn eines Provisionsverbots gewinnt angesichts der vor der Tür stehenden Bundestagswahl und vielen möglichen Koalitionsoptionen für die nächste Bundesregierung neue Brisanz. Neueste Daten aus Großbritannien zeigen allerdings, dass das Provisionsverbot dort negative Effekte hat. Dies geht aus den sog. 'Retail Investments Product Sales Data' hervor. 'k-mi' verfolgt diese statistische Datenerhebung der britischen Aufsicht schon länger (vgl. 'k-mi' 05/19, 32/20). Die aktuellen Daten zeigen, dass die Beratungsquote in den meisten der neun Retail-Produktgruppen mit insgesamt 30 erfassten Retail-Anlagevehiklen seit Einführung des Provisionsverbots sinkt bzw. teilweise drastisch zurückgeht. Rückschlüsse auf die Beratungsquote sind dadurch möglich, dass die FCA für Neuabschlüsse in den Produktgruppen jeweils gesondert 'Advised-sales' sowie 'Non-advised sales' erfasst. Erste sind Abschlüsse durch Beratungen; unter 'Non-advised sales' werden Vermittlungen, 'Execution only' und Direktvertrieb erfasst.

Die Daten sprechen eine klare Sprache: In der unten stehenden Grafik (Nr. 1) haben wir anhand der FCA-Daten die Entwicklung der Beratungsquote bei Investmentfonds (Trusts and OEICs) veranschaulicht. In Großbritannien ist demnach die Beratungsquote z. B. bei Investmentfonds vom Maximum 67 % im Jahr 2009 auf mittlerweile nur noch konstante 11 % gefallen! Auch wenn sich hier ggf. noch andere langfristige Trends widerspiegeln (mehr Selbstentscheider und höhere Beratungskosten durch Regulierung), ist in der entsprechenden Grafik klar abzulesen, dass die Schere zwischen 'Advised Sales' und 'Non-Advised Sales' erst mit der Einführung des Provisionsverbots ab 2013 aufgeht. Dies ist ein klarer Beleg für das Entstehen einer Beratungslücke in Großbritannien durch das Provisionsverbot!

Diese Tendenz zieht sich durch weitere Produktgruppen: Bei den Anleiheprodukten (Bonds) übersteigt der Anteil des beratungsfreien Absatzes im Jahr 2020 – nach einem langen Trend des Beratungsrückganges ab Einführung des Provisionsverbots – zum ersten Mal den Beratungsanteil (siehe Grafik Nr. 2). Bei 'Personal Pensions' – also der Produktgruppe von diversen Altersvorsorgeprodukten – explodiert die Beratungslücke (Advice gap) mit Einführung des Provisionsverbots im Jahr 2013 auf ganze zwei Drittel bzw. 66 % (siehe Graphik Nr. 3). Die britische Regierung hat eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um diesen fatalen Trend (Altersvorsorge ohne Beratung) zu brechen, z. B. Rentenvorschüsse für Honorare oder Steuergutschriften. Am Ende vergeblich: Seit 2018 sinkt die Beratungsquote wieder – nun auf den zweitschlechtesten Wert der Statistik. Hinzu kommt: Das absolute Wachstum in diesem Segment bei den Neuabschlüssen geht an den Honorarberaten in Großbritannien vorbei: Der Zuwachs im Neugeschäft bei 'Personal Pensions' geht in absoluten Zahlen fast ausschließlich auf 'Non-advised sales' zurück. Ob dies langfristig zielführend ist, bezweifeln wir. Zumindest ist es kein Ausweis für die Verbesserung des Anlegerschutzes oder der Beratungsqualität durch Einführung eines Provisionsverbots!

Die Gründe für diese Fehlentwicklungen sind eine direkte Folge des Provisionsverbots und die damit einhergehenden Verwerfungen auf dem Berater-Markt in Großbritannien. Dies hat auch jüngst die Evaluierung der FCA zur Finanzmarktreform und zum Provisionsverbot in Großbritannien unter dem Titel 'Evaluation of the impact of the Retail Distribution Review and the Financial Advice Market Review' ergeben:  ++ Der Markt für Beratung in UK ist wettbewerbsschwach  ++ es gibt formale und faktische Mindestanlagegrenzen für den Zugang zu Beratung  ++ die vermeintlichen Hoffnungsträger Robo-Advisors sind nur Nischenthema  ++ es herrscht eine geringe Zahlungsbereitschaft bei Honoraren vor bzw. ein Missverhältnis von Zahlungsbereitschaft und marktüblichen Honoraren (vgl. ausführlich 'k-mi' 21/21)

Zudem verfestigt sich ein weiterer Negativ-Trend in UK: Nämlich der zur 'Honorarberatung light'. Denn auch für die Beraterseite hat die FCA nun neue – ernüchternde – Daten vorgelegt. Nach den neuesten FCA-Daten zum 'The retail intermediary sector in 2020' vom Juli 2021 "stieg der Anteil der laufenden (ongoing) Beratungsleistungen an den Erlösen aus Beratergebühren von 70 % im Jahr 2019 auf 74 % und der Anteil der Erst-/Einmal-beratung (initial) sank auf 26 %. Damit setzt sich ein Trend der letzten Jahre fort" (siehe Balken-Grafik unten). Bereits in 'k-mi' 32/20 haben wir auf diese Entwicklung hingewiesen: Die Welt in England ist also viel komplizierter, als Verbraucherschützer die Politik in Deutschland Glauben machen wollen: Die Haupteinnahmequelle von Beratern in UK sind damit nicht Honorare, sondern (inzwischen) mit großem Abstand laufende Servicegebühren! Der Mythos von der von Interessenkonflikten klinisch gereinigten Honorarwelt in Großbritannien ist damit hinfällig. Denn nach der 'reinen Lehre' der Honorarberatung sind Servicegebühren umstritten, sie gelten als 'Honorarberatung light': Zwar partizipieren Berater dadurch auch vom Anlageerfolg ihrer Kunden, aber eben auch, wenn diese größere Summen investieren, worauf die FCA explizit hinweist. 

Dieser Umstand ist noch nicht einmal per se kritikwürdig: Auch Honorarberater sind angesichts des immer weiter steigenden regulatorischen Aufwands auf langfristige Kundenbeziehungen angewiesen und können nicht vom Stundenhonorar der Laufkundschaft leben, die keine Abschlüsse tätigt. Die ESMA hatte bereits im Jahr 2014 im Rahmen ihrer MiFID-II-Konsultationen entsprechende Vorgaben für die Transparenz von Honorargebühren und 'ongoing fees' auch beim sog. 'independent advice' aufgestellt (vgl. 'k-mi' 32/14).

'k-mi'-Fazit: Der Kardinalfehler u. a. der deutschen Verbraucherschützer ist es, diese Konstellationen in einer Schwarz-Weiß-Malerei zu verklären und im ideologischen Kreuzzug gegen Provisionen die Grauzonen und Interessenkonflikte der Honorarberatung in der Praxis totzuschweigen! Es wäre endlich an der Zeit, dass die Verfechter eines Provisionsverbots sich mit den realen Verhältnissen in Großbritannien auseinandersetzen und zu den Widersprüchen der Praxis mit ihrer Ideologie Stellung beziehen. Denn auch die neuesten Zahlen aus UK zeigen: Eine 'reine Honorarberatung' gibt es dort flächendeckend nicht und kann es auch nicht geben! Was es in Großbritannien gibt, ist eine empirisch nachgewiesene Beratungslücke! Der Traum von einer von 'Interessenkonflikten' klinisch gereinigten Finanzdienstleistung, den manche Verbraucherschützer oder Politiker am Schreibtisch ersinnen, gibt es als relevanten Faktor in der Wirklichkeit nicht, auch nicht in England!  Letztendlich bedeutet die Rede von angeblichen 'Interessenkonflikten' nichts anderes, als dass in jedem Vergütungssystem langfristige Kundenbeziehungen elementar sind und entlohnt werden (müssen)! 

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