k-mi – Aktuelle Themen

k-mi-Standpunkt "Gegenwind"

- von Rechtsanwalt Daniel Blazek, Fachanwalt  für Handels- und Gesellschaftsrecht, Bielefeld -

 

1. Auftakt

Ich begrüße Sie im Gegenwind! Es ist ein spannendes Vorhaben, regelmäßige Meinungsbeiträge mit Bezug zum Kapitalmarkt zu leisten, zumal aus der rechtlichen oder rechtspolitischen Sicht des Autors. Denn es geht hier nicht um die Werbung mit Verbraucherinteressen, wie Anlegeranwälte sie gerne unternehmen. Vielmehr adressiert der kapital-markt intern Verlag 'die Branche', also Produktanbieter, Finanzdienstleister, Versicherungsmakler, Banken, Entscheider der Assekuranz- und Sachwertewelt, juristische und steuerrechtliche Berater sowie fachkundige Anleger und Verbraucher. Mehrheitlich also richtet sich der Standpunkt an Leser, welche gegen Windmühlen zu kämpfen scheinen. Zwar ist der Verbraucherschutz kein Phantom, allerdings die Verteidigung gegen bestimmte Auswüchse seines grundsätzlichen Ansinnens (Regulierung der Branche zur Stärkung der Anleger) so gut wie aussichtslos. Wie könnte es nicht spannend sein, einen solchen Standpunkt regelmäßiger zu formulieren?

 

2. Fahrwasser

Moment mal – sein Ansinnen, Verteidigung gegen Auswüchse des Verbraucherschutzes? Normalerweise gelten doch die Emittenten und Finanzdienstleister als Schädiger und nicht der Verbraucherschutz. Er soll doch die letzte Bastion gegen die grauen Künste sein! Wie kommt der Autor dieses Standpunktes dazu, angesichts von regelmäßig kolportierten Skandalen, in denen Pelzträger Champagner-Feste feiern, folierte Sportwagen vorführen, Luftschlösser verkaufen und viele Anleger noch viel mehr Geld verlieren, den Verbraucherschutz als Aggressor zu umschreiben?

Eine gute Einstiegsfrage, aber auch allzu oberflächliche Vorannahme. Denn bei der Betrachtung der Auswirkungen des Verbraucherschutzes geht es jenseits der Worthülse nicht nur um Pelzträger und Opferlämmer, sondern auch um vorzeigbare Koalitionsvereinbarungen, zerstückelte Gesetzgebung, beanspruchte Gerichte und Rechtsprechung, werbende Anlegeranwälte und Gegnervertreter, kritisierte Aufsicht, angepasste Versicherungen, wirtschaftliche bzw. gewerbliche Existenzen auf allen Seiten, mediale Berichterstattungen und allenthalben um Besorgnis. Im Grunde wartet der Kapitalmarkt nur auf den nächsten großen Skandal; dann gilt es Mandate einzusammeln, Gerichte zu beschäftigen, Berichte zu schreiben, Empörungen zu verbreiten und Politik zu machen. Schauen Sie auf Komplexe wie P&R, S&K, INFINUS, unzählige Schiffsfonds, die Falk-Fonds, die Göttinger Gruppe.

Doch genug der Aufzählungen. Betrachten Sie exemplarisch die rechtliche Behandlung der Finanzdienstleister (seit 2013 'Finanzanlagenvermittler', § 34f GewO) gegenüber dem Verbraucher. In 2011 waren rund 80.000 Finanzanlagenvermittler gewerblich registriert, wobei es sich überwiegend um kleine und mittelständische Unternehmen handelte. Die Dunkelziffer aller tätigen Personen – also auch Angestellte, einige Formen vertraglich gebundener Vermittler, Gelegenheitsagenten, Vermittler von Sachwert- oder Direktinvestments oder Kapitalanlagen im Versicherungsmantel, Tippgeber – war um einiges höher. Die meisten von ihnen waren im sog. Grauen Kapitalmarkt tätig, dem weitgehend unregulierten Bereich der seinerzeitigen Vermögensanlagen wie vor allem Unternehmensbeteiligungen, das heißt Kommanditbeteiligungen, stille Beteiligungen, entsprechend ausgeprägte Genussrechte als sogenannte 'geschlossene' Fonds. Ein Bereich, in dem durchaus viele Verluste erwirtschaftet wurden, was bei Anlegeranwälten 'Schaden' heißt, dessen Ersatz sie begehren.

Anfang 2019 tummeln sich im Bereich der gewerblich vermittelten Vermögensanlagen (§ 34f Abs. 1 Nr. 3 GewO, der teuer zu versichernde 'Giftschrank') nur noch etwa 6.100 Finanzanlagenvermittler von insgesamt 37.000, die allesamt offene Investmentvermögen nach KAGB vermitteln und rund 9.000 von ihnen zugleich geschlossene Investmentvermögen. Von diesen 6.100 wiederum arbeiten viele bankassoziiert. Der ganz überwiegende Teil der alten geschlossenen Fonds unterfällt seit 2013 dem KAGB, und die heutigen Rest-Vermögensanlagen nach dem VermAnlG bilden vornehmlich Nachrang- bzw. partiarische Darlehen, Genussrechte, sonstige Anlagen (bestimmte Sachwertinvestments) und Namensschuldverschreibungen. Neue Angebote der altbekannten geschlossenen Fonds sowie die Anzahl der im Graumarkt tätigen Finanzdienstleister haben insgesamt mit zunehmender Regulierung drastisch abgenommen. Man könnte auch sagen, sie wurden dereguliert. Abzuwarten bleibt, inwieweit dies auch für künftige Verluste (Schäden) der Verbraucher gilt, worum es schließlich und ausschließlich geht.

 

3. Sündenböcke der Rechtspolitik

Spätestens seit Ende 2008 bedrohte die 'Bankenkrise' nachhaltig das Vertrauen der Bürger in die staatliche Regulierung, also den Wunsch, gefälligst vor Investment-Schäden geschützt zu werden oder vor der Übertragung von Finanzierungs- oder Immobilienpaketen. Sie erinnern sich: In Talkshows wurde später gerne kombiniert, was wohl geschieht, wenn alle Bankkunden gleichzeitig ihre Guthaben zur Auszahlung verlangen. TV-Reportagen zeigten Darlehensnehmer, die nicht verstanden, warum nicht mehr die eine, sondern die andere Bank ihre Gläubigerin war und welche Nachteile das barg. Politiker und Gesetzgeber nahmen den Bankenkrisen-Ball auf, und die (ansatzweise) Regulierung des Graumarkts bot sich gleich mit an. Die Finanzdienstleister traf es dabei besonders hart, was traurigerweise aber auch nichts Neues war.

Denn Verbraucher hatten schon immer eine Lobby in Politik, Gesetzgebung und Rechtsprechung - Finanzdienstleister hingegen nicht. Sie hingegen sollten schon immer haften, wenn sie etwas falsch machten. 'Etwas' darf auch eine einzelne Pflichtverletzung sein, die zwar irgendwie erheblich sein muss, aber auch mal – als solche und in Kausalitätsfragen – schwammig sein darf. Zum Beispiel bei der Plausibilitätsprüfung oder bei den Anforderungen an rechtliche Durchblicke, während Finanzdienstleister ganz überwiegend keine Wirtschaftsprüfer und/oder Juristen sind. Und zugegeben – in der Judikatur wurde und wird auch eine gewisse Ausweichhaftung von Gründungsgesellschaftern generiert, weil die Publikumspersonengesellschaft grundsätzlich keine Rückabwicklung, sondern nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur eine gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung erlaubt. Außerdem wurde die Haftung des im bürgerlich-rechtlichen Sinne prospektverantwortlichen Hintermanns oder 'Prospektveranlassers' entwickelt, weil die formal oder spezialgesetzlich prospektverantwortliche Person häufig nur beschränkt haftet. Dennoch – es traf und trifft die Vermittler und Berater besonders hart. Denn deren Haftungsmöglichkeiten wurden stetig um einzelne Pflichtverletzungen erweitert vor dem Hintergrund, dass Anlagegesellschaften, Gründungsgesellschafter, Prospektverantwortliche und Hintermänner mangels Vermögen und Versicherung die Mengen und Massen von Anlegerschäden nicht befriedigen können. Zudem vereinnahmt der Finanzdienstleister weder das Anlagekapital, noch ist er verantwortlich für die Mittelverwendung, soll jedoch auf der Basis breit gefächerter Pflichtverletzungen grundsätzlich für die volle Investition ('Zeichnungsschaden') haften gegen Übertragung der zumeist wertlosen Ansprüche aus der jeweiligen Kapitalanlage.

 

4. Anlegerschutz durch Regress

Der Finanzdienstleister steht also allein durch seine Berufswahl mindestens mit einem Bein in der Haftung. Es scheint fast so, als wäre es seine Aufgabe, Pflichtverletzungen zu begehen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der fehlerfrei Tätige jedenfalls nicht der Paradefall. Zudem wirken die verbraucherorientierte Rechtsprechung und Gesetzgebung als Katalysator seiner Inanspruchnahme. Irgendein Fehler soll sich schon finden lassen. Beim Anleger herrscht kaum noch das Bewusstsein, dass er gänzlich auf erlittenen Verlusten hängen bleiben müsste. Er will vielmehr sein Geld ganz oder wenigstens überwiegend zurück, so als habe er ein stärkeres Recht (als dasjenige der Berater, Gründungsgesellschafter, Emittenten) auf Kapitalerhalt, während es im sonstigen zivilen Dasein auch ersatzlos bergab gehen kann. Nicht so beim Privatanleger – reflexhaft sucht er nach haftenden Dritten und findet ihn: Den Finanzdienstleister.

Irgendwann fiel in der politischen Diskussion auf, dass auch Vermittler und Berater insolvent werden können. Der Gesetzgeber sprang also bei und diskutierte seit 2011 und implementierte Anfang 2013 den § 34f GewO einschließlich Berufshaftpflichtversicherung. Die Begründung des entsprechenden Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts wurde eingangs verschlagwortet mit 'Stärkung des Anlegerschutzes' im Bereich der gewerblichen Finanzdienstleistung. Der Graue Kapitalmarkt wurde stigmatisiert als Herberge für 'unseriöse Anbieter' und 'unseriöse oder unzureichend qualifizierte Produktvertreiber'(Bundesrat Drucksache 209/11 vom 15.04.2011). Dass deshalb eine gesetzlich verankerte Berufshaftpflichtversicherung her musste, verdeutlicht den schlichten Grundgedanken des heutigen Anlegerschutzes: Schutz durch Regress.

Und damit dieser auch möglichst flächendeckend ist, wurden in der Folge Lücken geschlossen und u. a. Nachrangdarlehen in das Vermögensanlagengesetz eingefügt und der dortige Begriff der 'sonstigen Anlagen' erweitert. Stattdessen erschien die Intensivierung der präventiven Aufsicht und die Generalüberholung des zerstückelten, sich in Teilbereichen andauernd wandelnden Kapitalmarktrechts offenbar als weniger machbar, zumal es in diesem Segment der Wirtschaft weit weniger Sündenböcke (Branchenangehörige) als heilige Kühe (Verbraucher-Anleger) gibt.

Schutz durch Regress also, weniger durch Prävention. Nur – da die Finanzdienstleister selbst das Anlegergeld nicht erhielten oder verwalteten (sondern die Anlagegesellschaft bzw. deren Management), die Anleger hingegen die erlittenen Schäden auffüllen sollen durch das Vermögen der Vermittler und Berater, zahlen die pflichtverletzenden Finanzdienstleister oder ihre Versicherungen prinzipiell drauf, wobei sich letztere mehr und mehr durch den Vorwurf wissentlicher Pflichtverletzungen zu enthaften versuchen. Das ist aktiver Verbraucherschutz. Und der wiegt deutlich schwerer als die Verletzung der eigenen Anleger-Sorgfalt bei der Investitionsentscheidung.

 

5. Prozesserfahrung

Wenn Sie seit mehr als 15 Jahren die Interessen von vielen Vermittlern, Beratern und Maklern, deren Versicherungen und manchen Anbietern bundesweit in einer ganz ordentlichen Gesamtzahl vor Gerichten vertreten haben, erhalten Sie einen groben Überblick über die Windrichtungen auf hoher See. Denn meistens teilt der Gott des Wetters die Parteien ein in Gut und Böse, und Sie repräsentieren Letzteres. Weit weniger häufig erleben Sie, dass das Gericht die ewige Litanei des geschädigten Anlegers, der ungeprüft und beiläufig das Filetstück seiner wirtschaftlichen Existenz nur wegen seines blinden Vertrauens in den windigen Berater investiert und verloren haben will, mit Skepsis betrachtet. Und ganz, ganz selten verhandeln Sie vor einem Richter, der gleich zu Beginn meint, dass auf der einen Seite die Betrüger stünden und auf der anderen die, welche den Hals nicht vollkriegen. Nahezu allen Prozessen ist immerhin gemein, dass die Grundhaltung auf individuell angewandte Juristerei heruntergebrochen wird. Nur wird die jeweilige Grundhaltung nicht immer reflektiert und eigentlich nie verlassen – aber er muss als mündiger, geschäftsfähiger Bürger bewahrt werden vor übereilten Entscheidungen zum Abschluss eines Zeitungsabonnements oder einer Sachversicherung in seiner Wohnung. Oder eben vor Schaden im kapitalmarktrechtlichen Sinne.

Warum das alles? Weil der Privatanleger vor sich selbst, vor anderen und vor Verlust geschützt werden soll. Er darf Kinder erziehen, am Straßenverkehr teilnehmen, wählen, sich mit grundschuldbesicherten Annuitätendarlehen verschulden, sich verletzen, verletzen lassen und grundsätzlich jeden beschenken – aber er muss als mündiger, geschäftsfähiger Bürger bewahrt werden vor übereilten Entscheidungen zum Abschluss eines Zeitungsabonnements oder einer Sachversicherung an der Haustür oder in seiner Wohnung. Oder eben vor Schaden im kapitalmarktrechtlichen Sinne.

 

6. Auftakt und Ausblick

So weit, so gut. Oder schlecht. Oder bekannt. In diesem Fahrwasser bewegt sich die Branche. Mal umschifft sie Stromschnellen, mal wird sie vom Wind geschüttelt, mal wird sie in Teilen versenkt, mal flieht sie in vermeintliche oder vorläufig sichere Häfen. Eher selten erleben die Menschen in ihr Sonnenschein. Aber es gibt sie, die Branche und die Menschen, mit all' ihren Mustern, Abhängigkeiten, Bemühungen. Und ohne sie gäbe es wiederum die Muster und Bemühungen der Geschädigten nicht, die darauf abgestimmte Werbung der Anlegeranwälte, die Routinen vor Gericht, die Begradigungsversuche von Politik und Gesetzgebung. Der Beleuchtung dieser Abläufe, den Argumenten, ihrer Gewöhnlichkeit widmet sich dieser Standpunkt. Der Autor hat vor, sich in den kommenden Beiträgen solcher Themen zu widmen wie der Prozesswirklichkeit im Vergleich zur Anwaltswerbung, der Standardisierung von Anlegerklagen, dem rechtlichen Kuriosum des Zeichnungsscheins und den Eigenheiten je aktueller Komplexe wie zum Beispiel P&R. Damit die angesprochenen Branchenvertreter die Windrichtungen und ihre Stärke künftig noch besser einschätzen und damit umgehen können.

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