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StaRUG: Pflicht zur ständigen Beobachtung und Bewertung der Risiken durch Geschäftsleiter

Folgerungen aus dem Urteil des BGH vom 23.07.2024, Az. II ZR 206/22 (P&R):

Pflicht zur ständigen Beobachtung und Bewertung der Risiken aus der

Unternehmensentwicklung durch Geschäftsleiter

– Rechtsanwalt Ralph Veil, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

sowie Handels- und Gesellschaftsrecht, Kanzlei Mattil & Kollegen/München –

Unternehmensinsolvenzen nahmen im ersten Halbjahr 2024 um 30 % zu. Das ist der höchste Stand an Insolvenzen seit dem Jahr 2016. Medienberichten läßt sich entnehmen, dass die Zahl an Insolvenzen in vielen Bereichen deutlich zugenommen hat.

Was bedeuten Insolvenzen in haftungsrechtlicher Hinsicht für Geschäftsleiter?

Das StaRUG bringt eine Fortentwicklung im Haftungsregime der Geschäftsleiter. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) brachte einige Änderungen im Bereich des Risikomanagements und der Geschäftsleiterpflichten mit sich. Im Zentrum steht dabei das Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz (StaRUG). Im Bereich des Haftungsrechts wurde durch das StaRUG die Verantwortung und die Handlungspflichten der Geschäftsleitung maßgeblich erweitert. Mit dem Inkrafttreten des StaRUG wurde eine Fortentwicklung im Haftungsregime von Geschäftsleitern eingeläutet. Das spiegelt sich nun in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), Urteil vom 23.07.2024, Az. II ZR 206/22 (P&R-Urteil), wider (vgl. 'k-mi' 34/24).

Gegenstand der BGH-Entscheidung war, dass ein aus dem Amt ausgeschiedener Geschäftsführer nach § 823. Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern haftet, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht. Oder anders gesprochen: Der Geschäftsführer, der einfach zur Unzeit (zur Zeit, zu dem ein Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellen müsste), sein Amt niederlegt, kann sich nicht aus der Schusslinie bringen und haftet für das von ihm veranlasste Geschehen auch nach seiner Zeit, solange die von ihm verursachte Gefahrenlage noch weiter fortbesteht.

Inhaltlich geht es in der Entscheidung um die Pflichten eines Geschäftsführers in Bezug auf rechtmäßiges Verhalten in der Krise. Demnach ist es – neu und erstmals – nach § 1 StaRUG die Pflicht aller Mitglieder eines vertretungsberechtigen Organs (Geschäftsleiter) eines Unternehmens, egal welcher Größe, die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens "laufend" zu beobachten und für die Organisation zu sorgen, die es den Geschäftsleitern jederzeit ermöglicht, eine Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situa­tion zu erlangen. Die Notwendigkeit der laufenden Überwachung bzw. der angemessenen Früherkennung nach § 1 StaRUG ist die Neuerung im Vergleich zu den bisherigen und weiter gültigen Haftungsnormen der §§ 43 GmbH oder 93 AktG. Eine Ressortaufteilung im Organ des Unternehmens, z. B. über einen Geschäftsverteilungsplan, enthaftet nach der aktuellen BGH-Rechtsprechung nicht (BGH, Urteil vom 23.07.2024, II ZR 206/22, Rn. 75 ff.), da der Mitgeschäftsleiter eine Kontroll- und Überwachungspflicht gegenüber seinen Mitgeschäftsleitern habe. Aus § 1 StaRUG resultiere eine Dauerverpflichtung zur vorausschauenden und dauerhaften Überwachung schon von gesunden, nicht erst von krisenbehafteten Unternehmen und regele auch die Pflicht zur Einleitung geeigneter Restrukturierungsmaßnahmen.

Der BGH konkretisierte die Pflicht aus § 1 StaRUG in dem Fall mit Verweis auch auf frühere Rechtsprechung, dass ein "Geschäftsführer die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer Krise durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu schaffen (…)" hat. Es sei eine Fortführungsprognose über die zwölf Folgemonate abzugeben, wenn der Vermögensstatus zeige, dass das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht deckt. Nur bei einer positiven Ertrags- und Finanzplanung der nächsten zwölf Monate, kann eine Fortführung des Unternehmens als wahrscheinlich angesehen werden. Die so beschriebene Pflicht der Früherkennung und des Risikomanagements ist durch die Geschäftsleiter schon in ihrem eigenen Interesse zu dokumentieren, da ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht von der Rechtsprechung als schwerer Pflichtenverstoß gewertet wird. Eine der Folgen davon kann der Risikoausschluss der D&O-Haftpflichtversicherung sein.

Anspruchsgrundlagen

Verletzt die Geschäftsleitung ihre Krisenfrüherkennungs-, Sanierungs- und Berichtspflicht nach § 1 StaRUG, haftet sie nach den allgemeinen Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter, §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG; § 1 StaRUG stellt keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Eine einfach fahrlässige Pflichtverletzung reicht dabei aus. Haftungsrelevante Verstöße können sich aus der Pflicht zur Krisenfrüherkennung § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG, zur Krisenabwehr, § 1 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StaRUG und zur Berichterstattung § 1 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StaRUG ergeben.

Von der Innenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber ihrem Unternehmen ist die Außenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber Gläubigern des Unternehmens nach §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 StaRUG oder § 826 BGB zu unterscheiden. Nach der Rechtsprechung stellt die Organisationspflicht eine wesentliche Pflicht des Geschäftsleiters dar, deren Verletzung schwerwiegende haftungsrechtliche Implikationen für den Geschäftsleiter mit sich bringen kann. Enthaften kann sich nach anerkannter Rechtsprechung nur, wer nachweisen kann, dass er die Business Judgement Rule befolgt habe (Legalitätspflicht).

Nach den Grundsätzen der Business Judgement Rule liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn der Geschäftsleiter bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, vgl. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Geschäftsleitung kein unternehmerisches Ermessen dahingehend hat, geltendes Recht zu verletzen (gebundene Entscheidung). Aufgrund der Legalitätspflicht sind die Geschäftsleiter verpflichtet, sich bei Ihrer Amtsführung umfassend rechtmäßig zu verhalten und ihre Tätigkeit entsprechend der jeweils geltenden Rechtsordnung auszuüben. Sie beinhaltet neben externen Pflichten auch interne Pflichten, die durch Satzung, Geschäftsordnung und Gesellschafterbeschlüsse für das jeweilige Unternehmen konkretisiert werden. Gebundene Entscheidungen, d. h. unternehmerische Entscheidungen, die durch das Gesetz oder die Satzung vorgegeben sind, sind von der Business Judgement Rule ausgenommen.

Wer sich auf die Grundsätze der Business Judgement Rule beruft, muss dies auch näher darlegen und beweisen können. Daraus ergibt sich die Pflicht zur Dokumentationsnotwendigkeit auf Basis der Liquiditäts-, Ertrags- und Vermögensplanung schon im eigenen Interesse bei Entscheidungsprozessen von Geschäftsleitern. Diese StaRUG-konforme Planung dient der Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Identifikation bestandsgefährdender Entwicklungen an deren Ende die Insolvenzreife steht, die bei Zahlungsunfähigkeit §§ 16, 17 InsO oder Überschuldung §§ 16, 19 InsO eintritt. Es bedarf mithin bei der Einschätzung und Bewertung von Risiken immer auch einer Fortbestehensprognose nach InsO.

Die Fortbestehensprognose ist ein insolvenzrechtlicher Begriff, die die zukünftige Zahlungsfähigkeit bewertet, während die Fortführungsprognose ein handelsrechtlicher Begriff ist, der die Fortführung der Geschäftstätigkeit gem. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB zum Gegenstand hat. Die Zahlungsunfähigkeit ist Folge einer negativen Fortbestehensprognose, während die Überschuldung eine solche voraussetzt. Geschäftsleiter werden künftig verstärkt Wert auf aktuelles Reporting zu ihrem Unternehmen legen müssen, um sich selbst abzusichern, im Ernstfall zu enthaften und den D&O-Versicherungsschutz nicht zu verlieren. Wer diese Grundsätze beachtet, wird auf der sicheren Seite sein. Große Betriebe werden diese Pflicht einfacher selbst erfüllen können, kleinere Betriebe werden auf Berater zurückgreifen müssen. Insgesamt wird die Good Governance-Practice im Unternehmensbereich gestärkt werden, was auch positiv gegenüber Kunden und anderen Shareholdern kommuniziert werden kann.

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