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Außerordentliche BSV-Kündigungen – Der Mannheimer Rechtshinweis unter der Lupe

Die Mannheimer Versicherung AG (MVG) hat „nach medialem Druck ihr Schweigegelübde zu BSV-Kündigungen“ gebrochen (vgl. ‚vt‘ 26/20). „Ihre Schadenmeldung nehmen wir außerdem zum Anlass, hiermit die außerordentliche Kündigung (…) auszusprechen“ – eine Rechtsgrundlage lieferte die MVG weder im Kundenschreiben noch auf ‚vt‘-Anfrage – dazu hatten wir den Vorstandsvorsitzenden Dr. Christoph Helmich sowie Sachversicherung-Vorstand Stefan Andersch und Vertriebsvorstand Jürgen Wörner um Stellungname gebeten (vgl. ‚vt‘ 25/20).

Nach dem von uns mit entfachten medialen Feuer brach ein Sprecher der MVG gegenüber ‚procontra online‘ das ‚Schweigegelübde‘ und legte deren Rechtsauffassung dar. Es sei „keine Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag notwendig“, sondern „die Anmeldung eines Versicherungsfalles“ würde ausreichen. Damit bestätigt die MVG unseren Verdacht, dass man sich auf § 92 VVG („Kündigung nach Versicherungsfall“) beruft. Das Widersinnige daran ist, dass die MVG doch die Schadenszahlung verweigert mit der Argumentation „ein Versicherungsfall“ sei „nicht gegeben, daher lehnen wir die Regulierung Ihres Schadens ab (…)“.

Der neue Griff in die Trickkiste lautet also, dass der Versicherungsfall bereits durch die Schadenmeldung eintreten soll. „Als Rechtsgrundlage nannte der Versicherer einschlägige juristische Kommentare: den Münchener Kommentar zum VVG (§ 92 Rn. 7), den Berliner Kommentar zum VVG (§ 96 Rn. 4) sowie der Großkommentar Bruck/Möller (Anmerkung E 15)“, berichtet ‚procontra online‘. Prüfen wir nun selbst die aufgeführten Fundstellen im Münchener Kommentar (MüKo), im Berliner Kommentar (BK) und im Großkommentar sowie weitere Kommentare, die MVG nicht genannt hat. Im MüKo Langheid/Wandt/Staudinger, § 92  Rn. 7, heißt es:

„(…) Auszugehen ist vielmehr – wie richtigerweise schon im Rahmen von § 96 a. F. – von einer autonomen, am Normzweck orientierten Auslegung der Voraussetzung ‚Versicherungsfall‘. Da § 92 den Erfahrungen Rechnung tragen will, welche die Parteien bei der Schadensregulierung miteinander gemacht haben (vgl. Rn. 1), kommt es demzufolge nicht darauf an, ob die objektiven Merkmale der Risikobeschreibung erfüllt sind, subjektive Risikoausschlüsse eingreifen oder der Versicherer eine Entschädigung geleistet oder abgelehnt hat. Ausreichend für das Kündigungsrecht ist im Gegenteil, dass sich der Versicherungsnehmer beispielsweise nach einem ‚Brand‘, ‚Blitzschlag‘ oder ‚Rohrbruch‘ an den Versicherer mit dem Ansinnen einer Ersatzleistung gewandt hat. Der Versicherungsfall muss also lediglich nach einem laienhaften, untechnischen Verständnis eingetreten sein.“

So sehen auch im BK Dörner/Staudinger, § 96 Rn. 4 – also auf VVG a. F. bezogen – als Versicherungsfall, wenn der VN Entschädigung verlangt, weil nach sich laienhaftem Verständnis eine Gefahr des § 82 verwirklicht hat. Und nach Bruck/Möller/Sieg/Johannsen, Anm. E 15, ist die Leistungspflicht des Versicherers keine Voraussetzung. Soweit zwei von der MVG herangezogene Auffassungen, denen aber bereits Prölss/Martin/Kollhosser, § 96 Rn. 3, entgegentrat: Für diese „weiter gefasste Definition (…) gibt es keinen hinreichenden Grund“.

Daran hat sich auch nichts geändert mit der Befassung des neuen VVG durch Armbrüster im Prölls/Martin, § 92 Rn. 3: „Die Vorschrift setzt den Eintritt eines VersFalles voraus. In der Fachsprache des VVG ist unter einem VersFall in der SachVers ein Schadensfall zu verstehen (…), für den der VR nach der im Gesetz und VersVertrag enthaltenen objektiven Risikobeschreibung haftet (ähnlich Martin L II § 92 Rn. 16ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 92 Rn. 6ff.; B/M/Johannsen § 92 Rn. 3; van Bühren/Stobbe § 5 Rn. 31).“

Auch Armbrüster konstatiert zu den von der MVG aufgeführten Rechtsauffassungen: „Für eine weiter gefasste Definition (dafür MüKoVVG/Staudinger § 92 Rn. 7; BK/Dörner/Staudinger § 96 Rn. 4: Wenn VN Entschädigung verlange, weil sich nach laienhaftem Verständnis eine versicherte Gefahr verwirklicht habe; B/M/Sieg/Johannsen, 8. Aufl., Anm. E 15: Leistungspflicht des VR ist keine Voraussetzung) besteht kein hinreichender Grund.“ Wir haben weitere Kommentare für Sie bemüht:

++ Schwintowski/Brömmelmeyer/Hammel, PK-VersR, § 92 Rn 4: „Voraussetzung für die Kündigung ist zunächst der Eintritt des Versicherungsfalls. Darunter versteht man einen Schadensfall, für den der VR nach der objektiven Leistungsbeschreibung im VV haftet. Subjektive Risikoausschlüsse, die zur Leistungsfreiheit des VR führen, wie die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten, (…) ändern grds. nichts daran, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist.“ Eine ao. Kündigung ist also auch dann möglich, wenn keine Regulierung erfolgte – es muss aber der Eintritt des Versicherungsfalls gegeben sein.

++ Looschelders/Pohlmann/Heyers, VVG Kommentar, § 92 Rn 3: „Eine Kündigung ist nach Eintritt des Versicherungsfalls – d. h. nach Verwirklichung einer versicherten Gefahr für die versicherte Sache am Versicherungsort – möglich.“ ++ Rüffer/Halbach/Schimikowski/Halbach, HK-VVG, § 92 Rn. 3: „Voraussetzung für die Kündigung ist der Eintritt des Versicherungsfalls. Das ist der Schadensfall, für den nach der objektiven Risikobeschreibung im VersVertrag der VR deckungspflichtig ist.“ In der dazugehörigen Fußnote wird u. a. als „zu weitgehend BK/Dörner/Staudinger § 92 Rn. 4“ aufgeführt.

Wir haben uns auch die vom 20.12.2006 stammende Begründung zum VVG Reformgesetz (BT-DrS 16/3945) angeschaut. Dort heißt es zu § 92 Abs. 1 sehr eindeutig: „Generell ist bei der Sachversicherung ein Bedürfnis der Vertragspartner anzuerkennen, das Versicherungsverhältnis unmittelbar nach dem Eintritt des Versicherungsfalles beenden zu können.“ Von „Anmeldung eines Versicherungsfalles“ ist da nicht die Rede. Auch Fachanwältin für Versicherungsrecht Kathrin Pagel, Partnerin der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, wertet die von der MVG herangezogenen Rechtsmeinungen nicht als „die herrschende Meinung“.

Die Kündigung dürfte „so auch nicht durchsetzbar sein“, denn „eine schadensbedingte Kündigung gemäß § 92 VVG setzt voraus, dass der Versicherungsfall jedenfalls eingetreten ist. Wenn also ein Versicherer sich auf eine auf die ‚Schadensmeldung‘ gestützte Kündigung mit Monatsfrist beruft, dürfte dies als Bestätigung des Eintritts des Versicherungsfalles gewertet werden, auch wenn § 92 VVG keine Erwähnung findet. Andernfalls bedürfte es eines sachlichen Grundes für eine außerordentliche Kündigung, die dann auch fristlos erfolgen würde. In diesem Falle würde ich dem VN empfehlen, seine Ansprüche weiterzuverfolgen.“

‚vt‘-Fazit: ++ Die von der Mannheimer herangezogenen wenigen Rechtsauffassungen fußen auf Kommentierungen zum alten VVG. Diese Einzelmeinungen wurden zwar auf das neue VVG bezogen fortgeschrieben, jedoch kommentierten und kommentieren zahlreiche Rechtsexperten den ‚alten‘ § 96 VVG und den ‚neuen‘ § 92 VVG ganz anders und widersprechen zum Teil explizit der Mindermeinung. Auch der Gesetzgeber liefert eine Begründung, die der Mannheimer ‚Anmeldungs-Theorie‘ nicht entspricht

++ Eine individuelle Prüfung des so bezeichneten Kulanzangebotes der Mannheimer auf Basis der ‚bayerischen Empfehlung‘ war und ist anzuraten. Hat der Kunde sich aber gegen die Vereinbarung mit Abfindungserklärung und für den Gerichtsweg entschieden, liefert die u. E. unwirksame außerordentliche Kündigung keinen Grund die Entscheidung in Frage zu stellen 

++ Wie nun auf diese Kündigung reagiert werden sollte, speziell unter dem Aspekt, dass zum Teil weitere Absicherungen mit der Police verbunden sind, recherchieren wir für Sie.

 

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