Muss die BaFin bei Anhaltspunkten für Verstöße gegen die Prospektpflicht die Anbieter vor einer Warnung auf ihrer Internet-Seite anhören bzw. informieren? Diese Frage ist 'up to date': Ein Schwerpunkt der BaFin war in der letzten Zeit Warnungen vor Angeboten, die ohne Prospekt vertrieben werden. Das zielt nicht nur auf Anbieter, die eine Prospektpflicht bewusst umgehen wollen, sondern auch auf die Fälle, in denen es um Auslegungsfragen der Prospektpflicht und ihren Ausnahmen geht. In ihrem druckfrischen Jahresbericht betont die BaFin selbst, dass dies zuletzt im Vordergrund stand: ”Die BaFin hat 2024 ein besonderes Augenmerk auf Anbieter von Vermögensanlagen gerichtet, die sich auf eine gesetzliche Ausnahme von der Prospektpflicht beriefen. Sie ging vermehrt gegen öffentliche Angebote vor, bei denen Anbieter unberechtigterweise die Prospektausnahme in Anspruch genommen hatten, die gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 3a) Vermögensanlagengesetz für Angebote von nicht mehr als 20 Anteilen gilt. Die BaFin hat – unter anderem in ihrem Workshop Vermögensanlagen – zum Ausdruck gebracht, dass Ausnahmen eng auszulegen sind und sie entschieden dagegen vorgeht, wenn Anbieter die Prospektpflicht durch missbräuchliche Auslegung der Ausnahmetatbestände umgehen.” Ob jeder Verstoß gleich einer missbräuchlichen Auslegung entspringt, sei mal dahingestellt. Die Rechtslage ist sicherlich nicht immer ganz übersichtlich. Wie auch die letzten Monate gezeigt haben, hatte es den ein oder anderen Markteilnehmer, der Ausnahmetatbestände in Anspruch nimmt, recht schnell und teilweise unerwartet getroffen, dass er sich auf der Homepage der BaFin in einer Warnmeldung wegen Verstoßes gegen die Prospektpflicht wiederfand.
Dadurch taucht auch die Frage auf, ob es dem Anlegerschutz einen Zacken aus der Krone bricht, wenn die BaFin den betroffenen Anbieter vor einer Warnung anhört. Um diese Fragen (Öffentliche Bekanntmachung nach dem Vermögensanlagengesetz bei Anhaltspunkten für eine Prospektpflichtverletzung) ging es aktuell vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. In einer Entscheidung vom 17.03.2025 (Az. 6 B 861/24) hat dieser nun geurteilt: Grundsätzlich darf die BaFin erst schießen und dann fragen! Im Juristendeutsch des staubigen Verwaltungsrechts führt das Gericht aus: ”Im Rahmen eines Bekanntmachungsverfahrens nach § 26b Abs. 2 VermAnlG ist eine förmliche Anhörung auch nicht gemäß § 28 VwVfG analog geboten.” Bei Anhaltspunkten für Verstöße gegen die Prospektpflicht darf die BaFin demnach direkt scharf schießen bzw. ohne Warnschuss direkt auf ihrer Homepage Ross und Reiter nennen.
Im verhandelten Fall wollte ein Anbieter die BaFin im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichten, von ihrer Internetseite folgende typische Veröffentlichung zu löschen, die sich unter Namensnennung direkt auf ihn bezieht: ”Die BaFin hat Anhaltspunkte dafür, dass Vermögensanlagen (…) ohne den erforderlichen Prospekt öffentlich angeboten werden. Die Bekanntmachung erfolgt aufgrund vorliegender Anhaltspunkte eines öffentlichen Angebots ohne einen gebilligten Prospekt basierend auf § 26b Absatz 2 Nr. 1b Vermögensanlagegesetz (VermAnlG). Ausnahmen von der Prospektpflicht sind nicht ersichtlich”. Vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt scheiterte der Anbieter damit jedoch. In der Beschwerde vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof trug der Anbieter vor, dass die Warnung schon formell rechtswidrig sei: ”Entgegen der Begründung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung hätte die Antragsgegnerin im Vorfeld zu ihrer Bekanntmachung nach § 26b Abs. 2 VermAnlG die Antragstellerin gemäß § 28 VwVfG analog (förmlich) anhören müssen.”
Aber auch diese Beschwerde in der nächsten Instanz blieb ohne Erfolg. Anders als z. B. beim § 26b Abs. 1 VermAnlG, bei dem es um die Veröffentlichung von (sofort vollziehbaren) Maßnahmen der BaFin geht, z. B. Untersagungen von Werbung und Prospekt-Veröffentlichungen, seien die Warnungen nach § 26b Abs. 2 VermAnlG kein offizieller Verwaltungsakt, so der VGH Hessen: ”Entsprechende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber das verwaltungsverfahrensrechtliche Erfordernis einer förmlichen Anhörung nach § 28 VwVfG auch auf die Fälle einer Bekanntmachung nach § 26b Abs. 2 VermAnlG erstrecken wollte, ohne das damit verbundene behördliche Handeln als Verwaltungsakt auszugestalten, sind für den Senat nicht ersichtlich.” Der Zweck von § 26b Abs. 2 VermAnlG bestehe darin, ”Schäden bei interessierten Anlegern aufgrund von Fehleinschätzungen zu vermeiden, indem die Antragsgegnerin (die BaFin, Anm. d Red.) auch ohne erschöpfende Sachverhaltsermittlung schon allein auf der Grundlage von Anhaltspunkten schnell handeln und die vorgesehenen Informationen möglichst zügig bekanntmachen darf”. Auch aus diesem Grund sei in aller Regel von einer Anhörung abzusehen.
So ganz wie das Hornberger Schießen ist das Verfahren vor dem VGH Hessen allerdings dann doch nicht ausgegangen. Denn der betroffene Anbieter wies darauf hin, dass die Warnungen aufgrund von Anhaltspunkten faktisch nie Warnschüsse sind, sondern im Prinzip gezieltes Trommelfeuer: ”Hinsichtlich der Angemessenheit der Bekanntmachung sei zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichung einer Warnmeldung nach § 26b Abs. 2 VermAnlG unabhängig von der konkreten Formulierung bei dem betroffenen Emittenten einen massiven Reputationsschaden verursache und den Vertrieb seiner Produkte mitunter unmöglich mache. Davon seien aller Erfahrung nach dann nicht nur das in der Warnmeldung bezeichnete Anlageprodukt, sondern sämtliche weitere Angebote desselben Unternehmens betroffen.“ Im Zeitalter der digitalen Plattformökonomie stellten Warnmeldungen nach § 26b VermAnlG daher immer ”einen massiven Eingriff der öffentlichen Verwaltung in diesen Kommunikationsprozess dar“.
Hiervon ließ sich der VGH Hessen dann doch beeindrucken, denn er schob direkt einen Leitsatz nach, dass es seitens der BaFin im Einzelfall bzw. ausnahmsweise doch ”erforderlich“ sein kann, vor einer entsprechenden Bekanntmachung den jeweils betroffenen Anbieter formlos zu informieren. Etwa wenn sich das Verwaltungsverfahren von ersten Anzeichen für Anhaltspunkte bis zur (inner-)behördlichen Entscheidung absehbar über einen längeren Zeitraum erstrecken wird und eine Bereitschaft des jeweiligen Anbieters zur unverzüglichen Klärung des Sachverhalts erkennbar ist, so der VGH. In der Begründung schimmert dabei sogar ein bisschen Pragmatik durch, die das Gericht der BaFin nahelegt: ”Ohne dass es sich bei der Mitteilung um eine förmliche Anhörung nach § 28 VwVfG handelt und es das Bekanntmachungsverfahren entgegen der gesetzgeberisch intendierten zügigen Bekanntmachung verzögern würde, könnte ein betroffener Anbieter in solchen Konstellationen durch eine Stellungnahme während der noch laufenden behördlichen Entscheidungsfindung zur Klärung in tatsächlicher Hinsicht beitragen.“ Maßgeblich bleibe jedoch eine Abwägung unter Orientierung an dem Zweck der Warnung, nämlich die schnelle Information der Marktteilnehmer wie Anleger und Vertriebe.
'k-mi'-Fazit: Öffentlichen Warnungen der BaFin lediglich bei Anhaltspunkten für Prospektpflicht-Verstöße sind in der Regel keine Warnschüsse, sondern der Vertrieb bzw. der Anbieter ist direkt im Fadenkreuz und der (Total-)Schaden ist da. Der VGH Hessen hat die Praxis der BaFin nun trotzdem im Prinzip abgesegnet, zu warnen, ohne den Anbieter vorab zu kontaktieren bzw. die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Allerdings ist dem Gericht etwas unwohl dabei, denn er schiebt nach, dass es nicht immer sinnvoll ist, so aus der Hüfte zu schießen. So könne es im Einzelfall für die BaFin sogar ”erforderlich“ sein, Anbieter vorab zu kontaktieren. Aus der Begründung lässt sich sogar entnehmen, dass eine Vorab-Info auch über Einzelfälle hinaus für eine Klärung sinnvoller sein könnte (schnelle Mitwirkung der betroffenen Anbieter vorausgesetzt). Auch der VGH Hessen scheint somit zu vermuten, dass die behördliche Entscheidungsfindung bei der BaFin gelegentlich etwas länger dauert. Von daher hat wohl auch das Gericht Zweifel, ob in vielen Fällen nicht eine kurze Anhörung prinzipiell möglich ist. Man darf gespannt sein, ob das Urteil zu einer Überprüfung der BaFin-Verwaltungspraxis ‚Erst schießen, dann fragen‘ beiträgt.