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Mehr als nur ein Politikum – die Insolvenzantragspflicht

Spiegelbild der Realwirtschaft sind Banken und Sparkassen. In ihren Bilanzen spiegelt sich – zeitversetzt – wider, ob unsere Wirtschaft boomt oder schwächelt. Vor diesem Hintergrund gibt es momentan drei Punkte, die unsere Aufmerksamkeit verdienen: ++ Einerseits befindet sich aufgrund der Corona-Pandemie das Bruttoinlandsprodukt im deutlichen Sinkflug ++ Andererseits zeigt der Arbeitsmarkt eine erstaunliche Stärke ++ Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist gegenüber dem Vorjahr sogar rückläufig. Laut Statistischem Bundesamt lag die Zahl im Juni fast 30 % unter dem 2019er Wert. Für Letzteres liegt der Hauptgrund darin, dass die Bundesregierung das Insolvenzrecht rückwirkend zum 1. März grundlegend geändert hat. Seither sind Unternehmen von der grundsätzlichen Pflicht befreit, in auf Corona zurückzuführende Zahlungsschwierigkeiten bei Gericht Insolvenzantrag zu stellen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht stellt aktuell Überlegungen an, diese Schonfrist nun sogar zu verlängern – bis zum Ende März 2021.

Diese Diskussion verunsichert Unternehmen, wie 'Bi' aus WP- und Steuerberaterkreisen erfährt. Deutsche Bank Research spricht in dem Zusammenhang offen von "Zombie-Unternehmen". Unternehmen, die eigentlich pleite wären, dürften im Markt weitermachen und würden so zur Gefahr für gesunde Firmen, zu denen sie Geschäftsbeziehungen unterhielten. Und damit auch für Banken und Sparkassen (vgl. hierzu auch die letzte 'Bi'-Blitzumfrage zu den Risikokrediten, 'Bi' 33/2020). Im Markt werden Zahlen laut, die uns erneut aufschrecken: Die Zahl der Zombie-Unternehmen könnte derzeit bereits bei 330.000 liegen und bis zum Jahresende bis auf 800.000 hochschnellen. Droht hier neues Gefahrenpotenzial? Eine Frage, die wir in der letzten Woche an Insider gerichtet haben. Hier ein Ausschnitt aus den Antworten:

++ Iris Bethge-Krauß, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Öffentlicher Banken Deutschlands/VÖB: "Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, die Insolvenzantragspflicht für Corona-bedingt überschuldete Unternehmen bis Ende März 2021 weiter auszusetzen. Dies gilt natürlich nicht für Unternehmen, die zahlungsunfähig sind. Aufgrund der Krise überschuldete Unternehmen bekämen so die Möglichkeit, sich erfolgreich zu sanieren, Arbeitsplätze zu erhalten und am Neustart der deutschen und europäischen Wirtschaft mitzuwirken.“

++ Dr. Gertrud Rosa Traud, Chef-Volkswirtin der Helaba: "Die Bundesregierung hatte auf die Corona-Epidemie mit einer Schutzschirm-Politik reagiert, die neben Hilfen für Unternehmen und Arbeitnehmer auch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende September 2020 umfasste. Hinzu kam ein umfangreiches Konjunkturprogramm. Nach dem Einbruch im zweiten Quartal befindet sich die deutsche Wirtschaft bereits wieder in einem Aufschwung, von dem allerdings aufgrund der noch bestehenden Corona-Maßnahmen nicht alle Unternehmen im gleichen Ausmaß profierten. Weiterhin schwierig bleibt die Lage beispielsweise im Tourismus oder im Messewesen. Trotzdem spricht die inzwischen verbesserte konjunkturelle Situation dafür, die Insolvenzantragspflicht nicht noch länger als geplant auszusetzen wie zuletzt von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ins Spiel gebracht. Zwar soll die Verlängerung der Schonfrist lediglich für Unternehmen gelten, die 'nur' überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind.  Gleichwohl würde dies die Gefahr mit sich bringen, dass es beim Auslaufen der Schonfrist erst Ende März zu noch mehr Insolvenzen kommt. Die Markbereinigungsprozesse sollten nicht zu lange ausgesetzt bleiben. Wirtschaftspolitische Hilfen wie Kredite, Transfers sowie Staatsbeteiligungen bei großen Unternehmen haben ja gerade zum Ziel, Insolvenzen zu vermeiden. Gelingt dies trotzdem nicht, stellt sich die Frage, ob das Geschäftsmodell des Unternehmens noch tragfähig ist. Der Strukturwandel in einer Marktwirtschaft führt neben der Neugründung zwangsläufig auch zum Ausscheiden von Unternehmen."

++ BVR-Vorstand Gerhard Hofmann: "Der BVR sieht eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Rahmen des COVInsAG bis zum 31.03.21 für überschuldete (nicht jedoch für zahlungsunfähige) Unternehmen als geeignete Maßnahme an. Dadurch erhalten gesunde Firmen, die lediglich aufgrund der Corona-Krise in schwieriges Fahrwasser geraten sind, mehr Zeit für eine wirtschaftliche Erholung. Für den Lockdown mit seinen einschneidenden Auswirkungen sind Unternehmen nicht verantwortlich. Aus Sicht des BVR vermittelt die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung die Hoffnung, dass viele Firmen die erlittenen Verluste bis zum Dezember 2020 oder März 2021 teilweise oder ganz ausgleichen können, z. B. aufgrund von Nachholeffekten. Für Banken bleibt in jedem Fall die Frage zu beantworten, ob betroffene Kreditnehmer eine positive Fortführungsprognose aufweisen und genügend Substanz besitzen, um auf niedrigerem Umsatzniveau durch die Krise zu kommen. Die im Vergleich zum Vorjahr sogar rückläufigen Insolvenzanträge deuten darauf hin, dass viele Unternehmen keinen Insolvenzantrag stellen, obwohl ihre wirtschaftliche Schieflage nicht pandemiebedingt ist. Solche Fehlentwicklung können dazu führen, dass die Marktbereinigungseffekte außer Kraft gesetzt und entstandene Kreditverluste am Ende größer werden. Mehr denn je ist deshalb verantwortungsvolles Banking gefragt."

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