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Offene Immobilienfonds: No-Risk-Vertrieb im Kreuzfeuer

Schon seit mehr als einem Jahr kritisiert 'k-mi' intensiv, dass sich die deutschen Bankriesen wie die Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit PRIIPs einen ziemlichen Luxus leisten: Über ihre nachgelagerten Vertriebsstellen werden aus konzerneigenen Produktschienen wie Deka und Union Investment namhafte offene Immobilienfonds mit aufsichtsrechtlich waghalsigen Kniffen als quasi risikolos an Privatkunden verkauft. Nämlich mit dem PRIIPs-Risikoindikator 1 oder 2. Dies hat u. E. drei Konsequenzen:  ++ Haftungsrisiken für die formal selbstständigen Bank-Vertriebe  ++ Privatanlegern wird suggeriert, (internationale) Investments vor allem in Büroimmobilien seien maximal schwankungsarm  ++ eine fortdauernde Wettbewerbsverzerrung zu Lasten geschlossener Fonds, die statt der 1 oder 2 aus formalen Gründen mit der PRIIPs-Risikoklasse 6 als Hochrisikoprodukt gelabelt werden.

Lange waren wir hier der einsame Rufer in der Wüste. Aber dies ist vorbei. Denn nun nimmt die Debatte über den 'No-Risk-' bzw. Harakiri-Vertrieb von offenen Immobilienfonds langsam Fahrt auf. Hier ein Update, was in den letzten Wochen passiert ist: So sieht der Fondsdepot-Dienstleister envestor aktuell ein "Damoklesschwert über offenen Immobilienfonds". Außer den Verantwortlichen in den Fondsgesellschaften wisse niemand, wie hoch die Rückgabeanträge seit dem Herbst und Winter 2023/2024 sind, so Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor, zuvor langjähriger Analyst beim Research-Haus Morningstar: "Schiebt sich eine Welle der Anteilsscheinrückgaben in den nächsten Wochen und Monaten auf offene Immobilienfonds zu? Das gesetzlich vorgeschriebene Cash-Polster von 5 % dürfte schnell aufgebraucht sein.“ Gehe die Sache schief und übersteigen die Rückgaben das Cash-Polster, wird es zu Fondsschließungen und/oder Liquidierungen kommen: "Eine dritte existenzielle Krise der offenen Immobilienfonds in diesem Jahrtausend dürfte endgültig die Sinnfrage für diese Anlageklasse stellen, die trotz aller Krisen noch immer ein Vermögen von über 123 Mrd. € auf die Waage bringt.“

Bei der hohen Abwertung von über 17 % beim Fonds UniImmo: Wohnen ZBI im Juni dieses Jahres (vgl. 'k-mi' 26/24, 27/24 ), so Masarwah, handle es sich um "Aktien-ähnliche Verluste und sie dürften Anleger, die von einem Fonds von höchster Sicherheit ausgingen, vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt haben“. Envestor verweist dabei auch auf die wiederholten Warnungen seitens 'k-mi': "Kritiker werden sich bestätigt sehen, dass die Wertermittlung bei offenen Immobilienfonds für Anleger nicht nachvollziehbar sei. In jedem Fall dürfte der Kontrast zwischen Preissturz des Fondspreises und die Einstufung von offenen Immobilienfonds in die niedrigste regulatorische Risikostufe (eins) noch Diskussionen nach sich ziehen. Der Branchendienst kapital-markt intern hat wiederholt bemängelt, dass diese Risikoeinstufung irreführend sei, zumal geschlossene Immobilienfonds in die höchste Risikoklasse eingestuft werden.“

Doch damit nicht genug. Auch 'Finanztest' hat nun das Thema 'Potenziell geschönte Risikoangaben zu offenen Immobilienfonds', das 'k-mi' seit einem Jahr thematisiert, angefasst und dazu auch die BaFin befragt: "Union Investment meint, bei der Einordnung keinen Fehler gemacht zu haben. Ein Sprecher teilt uns mit, dieser Risikoeinstufung liege 'eine Systematik zu Grunde, die regelbasiert bestimmte Finanzmarkt- und Immobiliendaten auswertet und berücksichtigt'. Dass solche Risikoeinschätzungen 'in außergewöhnlichen Marktphasen' an ihre Grenzen stießen, liege in der Natur der Sache und sei kein spezielles Phänomen von Immobilienfonds. Kein Wort des Bedauerns, Anlegern mit höchstem Sicherheitswunsch diesen Fonds empfohlen zu haben", so Finanztest. Man habe zudem die BaFin "dazu befragt, wie sie die Einordnung von offenen Immobilienfonds in die sicherste Risikostufe bewertet". Besonders erhellend sind die Antworten der Aufsicht allerdings nicht, so Finanztest: "‘Die Verantwortung für die jeweilige Einstufung trifft den Konzepteur bzw. das Vertriebsunternehmen‘, teilte uns ein BaFin-Sprecher mit. Ein Wirtschaftsprüfer prüfe die Einstufungen auf Plausibilität. 'Soweit hier fehlerhafte Einstufungen festgestellt werden, kann die BaFin aufsichtliche Maßnahmen ergreifen‘, so der Sprecher weiter. Zu konkreten Fonds könne man sich allerdings nicht äußern. Auch die Frage, ob offene Immobilienfonds aufgrund ihrer Risiken überhaupt in die sicherste Anlageklasse gehören, beantwortete die BaFin uns nicht“, gibt das Magazin die Korrespondenz mit der BaFin wieder.

Aber weiter geht's. Auch die Verbraucherschützer sind nun, nachdem das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist, aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht! Auf einer eigens eingerichteten Sonderseite im Internet­angebot der Verbraucherzentralen ("Abwertung bei Immobilienfonds – was Sie jetzt wissen müssen") wird nun auch die PRIIPs-Thematik – wie von uns schon länger vorhergesagt – haftungsrechtlich 'hinterfragt', verantwortet durch die Verbraucherzentralen Baden-Württemberg und Bayern. Die Hinweise beziehen sich, nicht ohne Grund, ebenfalls direkt auf den ggf. falschen PRIIPs-Risikoindikator: "Möglicherweise waren auch die Produktinformationen ('Basisinformationsblatt') irreführend, weil dort eine zu niedrige Risikostufe von zum Beispiel 1 oder 2 angegeben war."

Solche Verlautbarungen haben anlässlich der Abwertung des offenen Immobilienfonds UniImmo: Wohnen ZBI nun auch erste juristische 'Konsequenzen': Die Anleger- und Verbraucherkanzlei Goldenstein Rechtsanwälte hat, wie sie öffentlichkeitswirksam erklärt, jetzt eine Klage wegen Falschberatung gegen die Volksbank Böblingen eingereicht. Zur Begründung heißt es: "Obwohl der Immobilienmarkt durchaus volatil sein kann, wurde der UniImmo Wohnen-Fonds selbst nach der Zinswende und dem Beginn des Ukraine-Krieges an risikoaverse Anleger vertrieben. Allein bei unserer Kanzlei haben sich deshalb bereits mehr als 400 betroffene Anleger gemeldet, die durchschnittlich rund 25.000 € in den Fonds investiert haben und sich betrogen fühlen", so RA Claus Goldenstein: "Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Monaten tausende Anleger Schadensersatzansprüche geltend machen werden. Auf Union Investment und dessen Vertriebspartner, die Volks- und Raiffeisenbanken, rollt nun eine Klagewelle zu." Im Kreis der Anwaltskanzleien gibt es allerdings (noch) Differenzen hinsichtlich der erfolgversprechendsten Klagestrategie: RA Christian Palme aus der Kanzlei Tilp äußert sich gegenüber 'k-mi' bedenklich, ob die Klage gegen die Volksbank erfolgreich sein wird. "Die Beratungsprotokolle bei langjährig laufenden hausinternen Produkten der Volksbanken sind typisiert, sodass sich strukturelle Beratungsfehler kaum aufzeigen lassen." Er vermutet eher Chancen für Anleger, wenn sie gegen den Anbieter selbst vorgehen: "Wir vermuten unter anderem, dass beim Kauf der einzelnen Immobilien die Werte der Liegenschaften zu hoch angesetzt wurden", was dazu geführt haben könnte, dass der Fonds auf dem Basisinformationsblatt zu positiv dargestellt worden sei. Das Basisinformationsblatt selbst dient dann als weitere Grundlage eines Vorgehens: "Der Risikoindikator als auch das Performance-Szenario könnten auf eine ungeeignete Datenerhebung zurückzuführen sein. Der Risikoindikator sollte wie bei geschlossenen Immobilienfonds mit 6 anstatt mit 2 ausgewiesen sein", so Palme weiter.

'k-mi'-Fazit: Breits vor einem Jahr warnten wir Banken und Verbraucher vor den (Haftungs-)Risiken beim 'No-Risk-Vertrieb' von offenen Immobilienfonds ("PRIIPs: Sind offene Immobilienfonds risiko-unehrlich?", ­'k-mi' 42/23). Diese Risiken realisieren sich nun in ersten Klagen, Abwertungen und Anteilsrückgaben, deren Ausmaß noch nicht abzuschätzen ist. Wir hatten seinerzeit auch die BaFin eingeschaltet. Was die Aufsicht seitdem unternommen hat, um der Branche das jetzige Dilemma und den Vertrauensverlust zu ersparen, wissen wir nicht. Im Basisinformationsblatt des UniImmo: Wohnen ZBI vom 11.12.2023 (Risikoindikator: 2 bzw. zweitbeste Risikoklasse von 7) wurde der maximale Verlust im "Stressszenario" bzw. Worst-case nach einem Jahr mit -6,4 % angegeben. Am 23.06.2024 musste Union Investment im Zuge der Sonderbewertung eine Reduktion des Anteilspreises (Rücknahmepreis) gegenüber dem Vortag um -16,71 % bekanntgeben. Können solche PRIIPs-Kennziffern bzw. Basisinformationsblätter denn somit überhaupt konform sein mit den europäischen Regulierungsvorschriften für Anlegerschutz? Fest steht: Wenn ein solches Risiko-Tuning aus formalen Gründen konform ist mit der PRIIPs-Verordnung, dann ist das hochgelobte PRIIPs ein Rückschritt für den Anlegerschutz in Deutschland und Europa!

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