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Aktionsanträge mit verkürzten Gesundheitsfragen unter kritischer Beleuchtung

Das OLG Karlsruhe kommt mit Urteil vom 20.04. (Az.: 12 U 156/16) zu dem Ergebnis, dass das LG Heidelberg (Urteil vom 08.11.2016, Az.: 2 O 90/16) „rechtsfehlerhaft angenommen hat, der erforderliche Anfechtungsgrund ergebe sich daraus, dass es der Kläger bei Stellung des Versicherungsantrags unterlassen hat, die Beklagte auf die bei ihm diagnostizierte multiple Sklerose hinzuweisen“ (vgl. ‚vt’ 19/18). Denn wenn ein Versicherer „im Rahmen der Antragstellung für eine Berufsunfähigkeitsversicherung erkennbar auf das Stellen bestimmter Gesundheitsfragen verzichtet, besteht keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, hierzu ungefragt Angaben zu machen“, so der 12. Senat. Das gelte sogar dann, „wenn die nicht erfragten Umstände erkennbar gefahrerheblich sind“. Unzweifelhaft kann die chronische Erkrankung MS, je nach Verlaufsform, zu erheblichen Einschränkungen und damit einer Berufsunfähigkeit führen, womit MS als gefahrerheblich anzusehen ist. Dennoch betont das OLG: „Ist die nur einen Satz umfassende Gesundheitsfrage beschränkt auf Angaben zu einem Tumorleiden (Krebs), einer HIV-Infektion (positiver Aids-Test), einer psychischen Erkrankung oder einem Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), besteht keine Obliegenheit, auf eine bestehende Erkrankung an multipler Sklerose hinzuweisen.“ Auch wenn das OLG Karlsruhe eine klare Auffassung vertritt, bleibt es eine wichtige und der ‚vt’-Redaktion mehrfach vorgelegte Frage: Wie sollten Versicherungsmakler unter Haftungsaspekten mit sogenannten Aktionsanträgen, also Anträgen mit reduzierten Gesundheitsfragen, umgehen? Das am ‚vt’-Draht zu hörende Makler-Meinungsspektrum könnte unterschiedlicher nicht sein: ++ Wer für einen Kunden mit einer schweren Vorerkrankung ‚passende’ Aktionsangebote aussucht, versichert ein brennendes Haus und schädigt die Versichertengemeinschaft  ++ Sucht ein Kunde mit einer chronischen Erkrankung wie MS gezielt einen Versicherer aus, der danach nicht fragt, der handelt bereits dadurch arglistig  ++ Vermittelt ein Versicherungsmakler Aktionsanträge, dann blüht ihm die Haftung, wenn der Versicherer im Leistungsfall den Vertrag erfolgreich anfechtet, weil bei Antrag gefahrerhebliche Umstände, nach denen nicht gefragt wurde, nicht angegeben wurden  ++ Bietet ein Versicherungsmakler Aktionsanträge grundsätzlich nicht an, droht ihm die Haftung, wenn er den Kunden bei einem Versicherer mit Leistungsausschluss unterbringt, die ausgeschlossene Erkrankung zur BU führt, der Kunde aber über einen Aktionsantrag einen Vertrag ohne Leistungsausschluss hätte erhalten können. Viele Meinungen, dazu haben wir mehrere Rechtsexperten befragt:

++ „Geht ein Versicherungsmakler ein erhöhtes Haftungsrisiko ein, wenn er überhaupt Versicherungspolicen mit verkürzten Gesundheitsfragen an Personen mit – bei anderen Versicherern erfragten und anzeigepflichtigen – Vorerkrankungen vermittelt? Gäbe es eine spontane Anzeigepflicht nach dem VVG 2008, wäre dies wohl der Fall. Das OLG Karlsruhe betont nun dazu, dass es im Hinblick auf die Verpflichtung des Versicherers, gemäß § 19 Abs. 1 VVG nach für den Vertragsschluss gefahrerheblichen Umständen in Textform zu fragen, ein solches Haftungsrisiko nicht geben kann. Vielmehr ist der Versicherungsmakler verpflichtet, für den Versicherungsnehmer das optimale Versicherungsprodukt zu finden und auf Wunsch zu vermitteln. Das bedeutet auch, dass der Versicherungsmakler die Versicherbarkeit des Versicherungsnehmers prüfen, die Angebote des Marktes berücksichtigen und bei Versicherbarkeit auch ein entsprechendes Produkt vermitteln muss, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Hier dürfte es erforderlich sein, auch Produkte mit eingeschränkten Gesundheitsfragen zu berücksichtigen, wenn solche Produkte am Markt angeboten und für den Versicherungsnehmer beispielsweise wegen eines nicht erfragten und damit ggf. nicht anzeigepflichtigen Umstandes vorteilhaft wären. Da zum Umgang mit einer behaupteten spontanen Anzeigepflicht bisher noch keine BGH-Entscheidung vorliegt, sollte der Versicherungsnehmer zumindest über diesen streitigen Punkt aufgeklärt werden“, sagt Rechtsanwältin Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht, Partnerin in der Kanzlei Michaelis/Hamburg.

++ „Der Versicherer kann für sich entscheiden, in welcher Ausführlichkeit er Gesundheitsfragen stellt. Setzt er aus vertriebstechnischen Gründen auf verkürzte Gesundheitsfragen, trägt nach meinem Verständnis der Versicherer das Risiko, welches daraus erwächst, dass die Fragen eben verkürzt und oberflächlich sind. Das gesamte Haftungsrisiko jetzt bei dem Makler abzuladen, ist nicht sachgerecht. Der Makler schuldet den Hinweis an den VN, die Fragen des Versicherers wahrheitsgemäß zu beantworten. Weitere Auskünfte in dieser Richtung obliegen dem Makler erst, wenn der Versicherungsnehmer durch entsprechende Fragen seinen gesteigerten Beratungsbedarf offen legt. Fragt also der VN z.B. bei verkürzten Gesundheitsfragen konkret nach, ob dieses oder jenes darunter fällt, kann der Makler immer auf die wahrheitsgemäße Angabe pochen. Der Versicherungsmakler schuldet grundsätzlich, den Versicherungsnehmer zu beraten und über die mögliche Absicherung des zu versichernden Risikos aufzuklären. Der Versicherungsmakler muss den Versicherungsnehmer insbesondere über alle Umstände aufklären und beraten, die für seine Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können. Anschließend hat der Versicherungsmakler dem Versicherungsnehmer aufgrund einer objektiven Markt-, Angebots- und Anbieteranalyse im Hinblick auf das Leistungsangebot und die Prämienhöhe den bestmöglichen Versicherungsschutz zu empfehlen. Das ist dann die Sachwalter-Rechtsprechung. Wenn zu diesem Leistungskanon auch Versicherungen mit verkürzten Gesundheitsfragen gehören und diese Versicherung den bestmöglichen Versicherungsschutz darstellt, muss der Versicherungsmakler in meiner Wahrnehmung auch auf diese Produkte zurückgreifen“, so die Auffassung von Rechtsanwalt Christian Hindahl, Fachanwalt für Bank und Kapitalmarktrecht, Hindahl Sternemann Horn Bock Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB/Düsseldorf  ++ „Ein genereller Ausschluss von Versicherern (VU), die mit verkürzten Gesundheitsfragen arbeiten, ist nicht zu empfehlen. Aus Gründen der pflichtgemäßen Darstellung der Marktauswahl erscheint es geboten, grundsätzlich in Betracht kommende Versicherungsangebote mit verkürzten Gesundheitsfragen aufzunehmen, allerdings unter Hinweis darauf, dass im Leistungsfall die Gefahr besteht, dass der Versicherer sich auf eine Verletzung ‚spontaner Anzeigepflichten’ berufen könnte. Wiederholt auffällig gewordene Versicherer, die ihre Gesundheitsfragen bewusst offenhalten oder die sich insbesondere auf die Umfrage des ‚vt’ eher bedeckt gehalten haben, ob oder wann sie von einer ‚spontanen Anzeigepflicht’ ausgehen, lassen sich zulässigerweise aus dem Angebot des Versicherungsmaklers ausscheiden, wenn der Makler weiß, dass der Kunde über eine relevante Vorerkrankung verfügt. Auch in diesem Fall sollte der VM dem VN in der Beratungsdokumentation allerdings darlegen, dass und warum er die betreffenden Versicherer nicht in die Angebotsauswahl einbezogen hat. So zeigt er Beratungskompetenz und so kann der VN später nicht gegenüber dem VM einwenden, dass er diese VU hätte pflichtgemäß in die Empfehlung einbeziehen müssen. Je eingehender begründet wird, weshalb diese VU nicht einbezogen wurden, desto geringer ist das Risiko, dass im Streitfall rechtsfehlerfrei eine Pflichtverletzung des VM angenommen werden kann“, argumentiert Rechtsanwalt für Vertriebsrecht Sascha Alexander Stallbaum, Kanzlei Evers Rechtsanwälte für Vertriebsrecht/Bremen.

‚vt’-Fazit: Versicherungsanträge mit reduzierten Gesundheitsfragen sind Teil des Marktes. Wenn ein VU Aktionsangebote unterbreitet, dann will er den Umsatz ankurbeln. Wie der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/3945) für das VVG 2008 zu entnehmen ist, wollte der Gesetzgeber, dass „das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand gefahrrelevant ist, (…) nicht mehr beim Versicherungsnehmer“ liegt. Das VU muss wissen, welche gefahrerheblichen Umstände für seine Kalkulation wichtig sind. Ein Kunde, der eine chronische Erkrankung hat, nach der aber nicht gefragt wird, ist kein ‚brennendes Haus’. Daher ist es u. E. auch keine arglistige Täuschung, wenn ein VM entsprechend dem individuellen Kundenbedarf gezielt einen ‚passenden’ Aktionsantrag auswählt. Versicherer haben es in der Hand, sich und die Versichertengemeinschaft vor Kunden mit chronischen Erkrankungen mit höherer Wahrscheinlichkeit eines BU-Leistungsfalls zu schützen: Sie müssen im Antrag nur konkret nach den relevanten gefahrerheblichen Umständen fragen.

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