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Allianz: Versuchte Verkaufssteuerung über die Vergütung ist gesetzeswidrig

Die Allianz Lebensversicherungs-AG zahlt für ein quasi identisches Produkt, bei dem sich die Tarife lediglich in der Beitragserhalts-Garantiehöhe unterscheiden, 100 % mehr Courtage, wenn der Versicherungsmakler den Tarif mit der geringeren Beitragsgarantie vermittelt. Doch die Allianz will bei einer doppelt so hohen Vergütung keinen gesetzeswidrigen Anreiz erkennen: Im Zuge der Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD wurde § 48a („Vertriebsvergütung und Vermeidung von Interessenkonflikten“) neu in das VAG aufgenommen und trat am 23.02.2018 in Kraft.

Für sämtliche Versicherungsprodukte gilt, dass die Vertriebsvergütung nicht mit der Pflicht kollidieren darf, im „bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln“. Es dürfen durch die „Vertriebsvergütung, Verkaufsziele oder auf andere Weise“ keine Anreize geschaffen werden, „einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen“, obwohl „ein anderes, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechendes Versicherungsprodukt“ angeboten werden könnte.

Eine bekannte gesetzliche Regelung, daher wundern sich Versicherungsmakler über eine seit Jahresbeginn geänderte Vergütung im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge. Hier bietet die Allianz u. a. die Direktversicherung ‚Perspektive‘. Entsprechend § 1 Betriebsrentengesetz kann der Arbeitgeber sich zur beitragsorientierten Leistungszusage (boLZ) oder einer Beitragszusage mit Mindestleistung (BZM) verpflichten. Bis einschließlich 2020 wurden bei der Direktversicherung ‚Perspektive‘ sowohl für die BZM als auch die boLZ 100 % Beitragserhalt garantiert.

Doch während für die BZM weiterhin 100 % Beitragserhalt garantiert werden, gilt seit 2021 für die boLZ eine Garantie von mindestens 90 % der gezahlten Beiträge. „Seit Januar 2021 fokussiert sich die Allianz Lebensversicherung im Produktangebot der Altersvorsorge auf Lösungen mit zeitgemäßen Garantien, die je nach Kundenwunsch am Ende der Ansparphase auf einem Niveau von mindestens 90, 80 oder 60 % der gezahlten Beiträge liegen.

Damit eröffnen wir für alle unsere Kunden noch höhere Freiheitsgrade in unserer weltweiten, breit diversifizierten Kapitalanlage“, bestätigt die Allianz auf Anfrage der ‚vt‘-Redaktion und erläutert: „Für ihr Vorsorgekonzept ‚Perspektive‘ bietet die Allianz standardmäßig ein Garantieniveau von mindestens 90 %. Wo dies gesetzlich verankert ist, bieten wir weiterhin ein Garantieniveau von 100 % an, wie bei Riester-Verträgen oder der BZM in der bAV.“

Die geänderte Produktpolitik der Allianz Leben (vgl. ‚vt‘ 42/20) steht aber nicht im Fokus der Maklerkritik. Es geht um die auffällige Vergütungsänderung. Denn während bei der boLZ mit (nun nur noch mindestens) 90 % Beitragsgarantie die Courtage wie zuvor fließt, gibt es bei der BZM jetzt nur noch die Hälfte.

Oder anders ausgedrückt: Für die quasi identische Beratungs- und Vermittlungsleistung erhalten Vermittler beim Produkt mit geringerer Beitragserhalts-Garantie eine doppelt so hohe Vergütung! „Hier steuert die Allianz klar den Vertrieb der für sie besseren boLZ“, kritisiert ein norddeutscher Versicherungsmakler und schaltet die ‚vt‘-Redaktion ein. Wir haben die Unterlagen umgehend ausgewertet und Allianz-Leben Vorstand Dr. Thomas Wiesemann um Stellungnahme gebeten:

++ Warum wurde für die BZM der Produktfaktor von 1,0 auf 0,5 abgesenkt? ++ Warum wird das Produkt mit 90 % Beitragsgarantie mit einer doppelt so hohen Courtage vergütet als das ansonsten identische Produkt mit 100 % Beitragsgarantie? ++ Wie vereinbart sich nach Auffassung der Allianz der Vergütungsunterschied bei ‚Perspektive‘ mit § 48a VAG? ++ Wie vereinbart sich nach Auffassung der Allianz eine um 100 % höhere Vergütung für – bis auf den Unterschied 100 % Beitragsgarantie oder mindestens 90 % Beitragsgarantie – identische Produkte mit den Vorgaben des GDV-Verhaltenskodex, dass sich die Versicherungsunternehmen an den Bedürfnissen des Kunden zu orientieren, diese in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen und im bestmöglichen Interesse des Kunden zu handeln haben?

„Bei der Konzeption sämtlicher Produkte stehen für uns Kundeninteressen klar im Fokus“, sagt ein Allianz-Sprecher. Den Arbeitgebern würde eine „passgenaue Finanzierung ihrer Versorgungsverpflichtungen“ ermöglicht. Wo dies gesetzlich erforderlich ist, biete man „ein Garantieniveau von 100 % des Beitragserhalts“, und „wo dies gesetzlich nicht erforderlich ist, bieten wir ein Garantieniveau von mindestens 90 % des Beitragserhalts“, wiederholt die Allianz Bekanntes, ohne auf unsere konkreten Fragen einzugehen. Viel Sand, der wohl den Durchblick erschweren soll, streuen die Münchner auch bei der weiteren Antwort, statt Aufklärung zu betreiben: Die bAV zeichne „sich durch ihren kollektiven Charakter aus, nämlich durch eine große Anzahl zu versichernder Arbeitnehmer. Dies ermöglicht – unabhängig davon, ob sich unsere Kunden für eine BZM oder eine boLZ entscheiden – in der Regel die Nutzung von Tarifen mit reduzierten einkalkulierten Abschluss- und Vertriebskosten.“ 

Vermittler könnten „in Abhängigkeit von Kollektivgröße, Verwaltungs- und Beratungsaufwand unterschiedliche Tarif- bzw. Kostenbereiche anbieten. In wesentlichen Teilen der bAV sind dabei seit Jahren Tarifvarianten mit reduzierten einkalkulierten Abschluss- und Vertriebskosten allgemein üblich.“ Bemessungsgröße der Vermittlervergütung sei „dabei stets die gewichtete Beitragssumme“. Schließlich verweist die Allianz auch darauf, dass „die kalkulatorische Herausforderung zur Darstellung des Garantieniveaus von 100 % im Nullzinsumfeld“ steigt.

Nach so viel Allgemeinplätzen kommt endlich auch mal was Konkretes zu dem von uns angefragten Problem: „Um auch einen möglichen Kundenbedarf nach dem Durchführungsweg BZM weiterhin bedienen zu können, bieten wir seit Januar 2021 in der BZM ausschließlich Tarifvarianten mit reduzierten Abschluss- und Vertriebskosten an.“ Eine Erklärung zu der vorgeworfenen Vertriebssteuerung liefert aber auch das nicht, denn – siehe Erläuterungen der Allianz zuvor – reduzierte Abschlusskosten waren bei bAV und Kollektivgeschäft ja auch schon vor 2020 üblich.

Doch wir wollten wissen, warum bei der BZM der Produktfaktor von 1,0 auf 0,5 abgesenkt wurde. Das ist ja keine kleine Reduzierung, sondern eine Halbierung! „Eine spezifische Absenkung von Vergütungsfaktoren für Tarifvarianten ist nicht erfolgt (…) Die Vermittlervergütung der Tarifvarianten mit vergleichbaren Leistungen für den Kunden, z. B. innerhalb der Zusagearten BZM und boLZ, berechnet sich nach den gleichen Regularien.“ Das müssen wir ungläubig dreimal lesen. Kennt die Allianz ihre eigenen Vergütungsregeln nicht oder glaubt man, dem schwerwiegenden Vorwurf der gesetzeswidrigen Vertriebssteuerung so den Wind aus den Segeln zu nehmen? Steigen wir tiefer in unsere Recherche ein:

Wir haben uns Vergütungsdatenblätter und aktuelle Berechnungen angeschaut, selbstverständlich unter den gleichen Bedingungen wie gleicher Vermittler und Arbeitgeber. Es liegt also das identische Courtagemodell vor. Unter Verwendung der identischen Basisdaten wird für die boLZ eine Provisionsbasissumme berechnet, die doppelt so hoch ist wie bei der BZM. Auf Vergütungsdatenblättern findet sich neben dem Vergütungssatz, der Vergütungsbasissumme (PBS) und einem Gewichtungsfaktor auch ein Produktfaktor.

Und der beträgt bei der zugrundeliegenden BZM im Jahre 2021 nur noch 0,5. Da der Produktfaktor bei der BZM von 1,0 in 2020 auf 0,5 in 2021 halbiert wurde und aktuelle Berechnungen zur boLZ eine doppelt so hohe Provisionsbasissumme im Vergleich zur BZM erbringen, passt die Realität nicht zu den Behauptungen der Allianz, „eine spezifische Absenkung von Vergütungsfaktoren für Tarifvarianten“ sei „nicht erfolgt“ und „die Vermittlervergütung (…) innerhalb der Zusagearten BZM und boLZ berechnet sich nach den gleichen Regularien.“ Wenn die Allianz bewusst wahrheitswidrige Angaben macht, dann sind das schlichtweg Lügen.

„Bei der Beratung zu den möglichen Zusagearten stehen auch für die Vermittler ausschließlich Kundeninteressen im Fokus. Eine Entscheidung für eine Zusageart durch den Vermittler aufgrund der damit verbundenen Vergütung ist aus unserer Sicht ausgeschlossen“, glaubt die Allianz. Für Versicherungsmakler, die ihren Berufsstatus ernst nehmen und denen haftungsrechtliche Konsequenzen drohen, dürfte das zutreffen. Bei Vertretern, die im Lager des Versicherers stehen, kann das – gerade weil der Patron ja lieber die boLZ abschließt – anders aussehen. Doch darum geht es hier nicht in erster Linie. Eine um 100 % höhere Vergütung ist ein gewaltiger Interessenkonflikt, und der ist nach § 48a VAG zu vermeiden. Die Allianz agiert daher u. E. gesetzeswidrig.

‚vt‘-Fazit: ++ „Würde die Vergütung im Verhältnis der Garantieabsenkung reduziert, könnte ich dem noch folgen, aber die Vergütung halbiert sich, wenn ich die bAV mit der BZM anbiete“, äußert ein Versicherungsmakler Verständnis für eine adäquate Vergütungsreduzierung, aber nicht für die Interessenkonflikte schürende Halbierung gegenüber dem identischen Tarif als boLZ. Vermittelt hat er seinem Mandanten die BZM, die ihm die Hälfte der Courtage beschert.

++ Ob ein Arbeitgeber seiner Verpflichtung via boLZ oder BZM nachkommen will, ist dessen Entscheidung. Dazu ist eine qualifizierte Beratung notwendig, die angemessen vergütet werden muss. Wenn die Allianz das bei der BZM nicht darstellen kann, muss sie andere Wege finden – ein Gesetzesverstoß ist dabei inakzeptabel.

++ Die Allianz ist gefordert, § 48a VAG einzuhalten. Das sollte auch ein Thema für die BaFin sein.

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