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Austretenden Mitgliedern in den Hintern treten – so beerdigt der GDV seinen Kodex

Unser Bericht der Vorwoche, „wie der GDV in Öffentlichkeit und Politik mit seiner Reputation spielt“, hat zu erstaunten Nachfragen geführt. Dabei ging es nicht darum, dass der Versichererverband sich in seiner Stellungnahme zur Regulierung der Restschuldversicherung für einen höheren Provisionsdeckel als vom Gesetzgeber vorgeschlagen ausspricht (vgl. ‚vt‘ 13/21) und sich damit für die Belange insbesondere seiner großen Konzerne einsetzt. Vielmehr sorgte es für ungläubiges Kopfschütteln, wie der Verband mit Mitgliedern umspringt, die aus dem GDV-Verhaltenskodex ausgetreten sind – zumal der doch offenbar ohnehin keine Bedeutung mehr genießt.

Wir beleuchten das daher ausführlicher für Sie – inklusive Antworten des Verbandes auf unsere diesbezüglichen Fragen an deren Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen: Bereits vor vier Jahren (12.04.2017) erklärte die GVO Gegenseitigkeit Versicherung Oldenburg VVaG ihren Austritt aus dem Verhaltenskodex. Es folgten mit einer Austrittserklärung u. a. die Fahrlehrerversicherung VaG (19.08.2017), die Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse (30.04.2018) und die OKV – Ostdeutsche Kommunalversicherung aG (31.12.2018). Das ging geräuschlos, damals wurden die Versicherer aus der Beitrittsliste einfach gelöscht.

Am 30.04.2020 gab es aber einen großen Austritts-Schub mit 11 operativen Versicherern der ARAG SE, die Bayerische Versicherungsgruppe, der INTER Versicherungsgruppe und der Freie Arzt- und Medizinkasse der Angehörigen der Berufsfeuerwehr und der Polizei VVaG (vgl. ‚vt‘ 39/20), es folgte die LV 1871 am 30.11.2020. Auf unsere Frage nach den Austrittsgründen an ARAG-Chef Dr. Renko Dirksen und Bayerische-Vorstandsmitglied Martin Gräfer verwiesen diese auf weitergehende Verpflichtungen durch IDD und Kosten:

„Die IDD hat deutlich strengere Normen für die Qualität der Beratungsleistungen geschaffen, die über die freiwillige Selbstverpflichtung des GDV-Verhaltenskodex hinausgehen (...) Durch die Erfüllung der gesetzlichen IDD-Anforderungen werden Verbraucherrechte grundsätzlich wirksamer gewahrt. Aus diesem Grund hat die ARAG die Mitgliedschaften ihrer Versicherungsgesellschaften im GDV-Verhaltenskodex regulär auslaufen lassen“, erläutert die ARAG.

Ähnlich auch die Bayerische: „Die zur Umsetzung der IDD ergangenen Vorschriften decken alle vom Verhaltenskodex des GDV geregelten Gesichtspunkte ab. Zum Teil – etwa bei Versicherungsanlageprodukten – gehen sie deutlich über das vom Verhaltenskodex Geforderte hinaus (…) Die Umsetzung des Kodex erfordert einen nicht unerheblichen Aufwand, der angesichts der Kosten, die mit der Umsetzung der IDD-Regelungen ohnehin verbunden sind, nach unserer Auffassung nicht zu rechtfertigen ist.“

Plötzlich änderte der GDV sein Verfahren mit ausgetretenen Mitgliedern. Nun werden die Versicherer trotz Austritt in der Beitrittsliste weiterhin aufgeführt, allerdings werden Logo und Name mit einem roten ‚X‘ durchgestrichen! Diese Brandmarkung ist völlig unverständlich und verstößt offensichtlich gegen die bisherige Verfahrensregel, denn bis dato galt die kommentarlose Löschung aus der Beitrittsliste. Doch damit alles wieder passt, werden die Versicherer, die 2017 und 2018 nach dem Austritt gelöscht wurden, wieder in die Beitrittsliste gehievt – und ebenfalls mit einem roten ‚X‘ über Logo und Name gebrandmarkt.

Wir haben GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen gefragt, warum die ausgetretenen Versicherer nicht aus der Liste gelöscht werden und auf Basis welcher Kodex-Regel der GDV die fragwürdige Vorgehensweise praktiziert. „Mit dem Beitritt akzeptieren die Versicherer den Kodex und die dazugehörigen Verfahrensregeln. Dort ist vorgesehen, dass Unternehmen, die austreten, aus der Beitrittsliste gestrichen werden“, antwortet der Versichererverband. Demnach hält der GDV sich nicht an seine eigenen Regeln. Denn „aus der Beitrittsliste gestrichen werden“ bedeutet unmissverständlich ‚löschen‘, keinesfalls ‚in der Beitrittsliste durchgestrichen werden‘ und insbesondere nicht mit einem roten ‚X‘ gebrandmarkt werden.

Im Gegensatz zum ‚roten durchixen‘ lässt sich aus den Kodex-Leitsätzen ein ‚Löschen‘ erkennen: Die Verfahrensregel sieht vor, dass der GDV „auf seiner Website veröffentlicht, welche Versicherungsunternehmen diesen Kodex als für sich verbindlich anerkennen“. Es werden also weder die veröffentlicht, die dem Kodex nicht beigetreten sind, noch diejenigen, die ausgetreten sind. Wenn der GDV eine andere Vorgehensweise praktiziert, verstößt er gegen seine Kodexvorgaben. Oder gibt es eine neuere Regel, die noch keinen Eingang in den Kodex gefunden hat? Dann aber würde sich die Frage stellen, was das für die seit 2013 beigetretenen Mitglieder bedeutet, denn von dieser ‚neuen‘ Verfahrensregel war bei Beitritt ja nichts bekannt. Dass Name und Logo mit einem roten ‚X‘ durchgestrichen werden, stimmt laut der jüngsten Beitrittsliste (03/2021) aber nicht mehr:

Die Logos sind raus! Das könnte an einem Rechtsproblem liegen und würde uns nicht wundern. Denn grundsätzlich gilt für Veröffentlichungen, wie bspw. in unseren Informationsbriefen, dass das Logo eines Unternehmens ohne dessen Freigabe nur dann verwendet werden darf, wenn ein Berichtsinteresse besteht und in diesem Zusammenhang die Darstellung des Logos Bedeutung hat. Wer im Zusammenhang mit einer negativen Veröffentlichung, für die vorgenannter Grundsatz nicht gilt, ‚dezent‘ auf Rechtsfolgen hinweist, dürfte gute Karten haben, dass das Logo entfernt wird.

„Überträgt man den Grundsatz auf die GDV-Liste, sehe ich nicht, dass es da etwas zu berichten gibt. Die Beitrittsliste eines Verbands ist ja etwas anderes als ein Informationsbrief. Deshalb gehe ich davon aus, dass mindestens ein Anspruch auf Unterlassung der Logo-Nutzung besteht“, bestätigt ‚markt-intern‘-Justiziar Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold. Fakt ist jedenfalls, dass bei allen Versicherern, die ausgetreten sind, das Logo entfernt wurde – der Name wird aber weiterhin aufgeführt, mit rotem ‚X‘. Wer auf die Idee gekommen ist, unbescholtene Versicherer so zu brandmarken, der sollte seine Motive und insbesondere die Wirksamkeit und Bedeutung des Kodex hinterfragen.

„Da der GDV-Verhaltenskodex in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung genießt, müssen austretende Mitglieder auch keinen Makel befürchten“, hatten wir bereits im Vorjahr konstatiert (vgl. ‚vt‘ 40/20). Und bei Versicherungsmaklern müssen sich austretende Versicherer ohnehin keine Sorgen machen.

Da bringt es eher Bonuspunkte, wenn man dem Kodex, der einst Kontrollen der Versicherer im Maklerbetrieb statuieren wollte (Allianz-Fahnder im Maklerunternehmen“; vgl. ‚vt‘ 05/14), den Rücken kehrt oder gar nicht erst beigetreten ist. „Wir haben zu unserem Austritt keine negativen Rückmeldungen von Vermittlern, Politikern oder der Öffentlichkeit vernommen, offenbar wird dieser Kodex gar nicht mehr ernst genommen. Dabei wäre eine wirkungsvolle Selbstverpflichtung der Branche durchaus wichtig“, sagt Martin Gräfer.

‚vt‘-Fazit: Ist die Sorge beim GDV vor einem Austritts-Dominoeffekt so groß, dass beigetretene Versicherer von einem Austritt abgehalten werden sollen, indem ausgetretene Mitglieder öffentlich gebrandmarkt werden? Die Selbstverpflichtung der Versicherer hat ein großes Problem, nämlich die fehlende Wirksamkeit und damit faktische Bedeutungslosigkeit. Bei den Restschuldprovisionen hat der Kodex kolossal versagt. Das ist in der Politik angekommen (vgl. ‚vt‘ 14/21).

Bei aufsichtsrechtlich zu beanstandenden RSV-Provisionshöhen keine Konsequenzen ziehen – das verschafft dem Kodex keine Glaubwürdigkeit und damit Bedeutung, weder in der Öffentlichkeit noch in der Politik. Einen von Versicherer- und Vermittler-Branche getragenen wirksamen Kodex anzuregen, wäre ein sinnvolleres Betätigungsfeld für den GDV als das Ersinnen von Austritt-Abhaltungsstrategien.

 

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