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„Bei Corona-Spätfolgen droht Ablehnung durch Versicherer“

Das ist die reißerische Schlagzeile der ‚Welt am Sonntag‘ (‚WamS‘) am 02.05.2021 mit einem Bericht zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Sensationslüstern wird im Bericht kernig behauptet: „Berufstätigen, die durch die Pandemie dauerhaft nicht mehr arbeiten können, droht eine Leistungsverweigerung durch die Versicherer.“ Das soll aus einer „Abfrage einer Beratungsfirma bei den Berufsunfähigkeitsversicherern“ hervorgehen, deren Ergebnis der ‚WamS‘ vorliege. Bei der Beratungsfirma handelt es sich um PremiumCircle Deutschland GmbH (PCD)/Friedberg, deren Geschäftsführer Claus-Dieter Gorr in der ‚WamS‘ zitiert wird, und die Hintergrundinformationen zur Umfrage „Qualitäts- und Transparenzinitiative zur Berufsunfähigkeitsversicherung (QTI 2021) – Auswirkungen von COVID-19 auf die Antrags- und Leistungsprozesse in der Berufsunfähigkeitsversicherung“ liegen auch der ‚vt‘-Redaktion seit Freitag-abend vor. 

Wir haben uns drei Angaben in der „Zusatzinformationen Presse QTI 2021 mit Ergebnissen aus der Studie“ ausführlich für Sie angeschaut: ++ Datenbasis laut PCD: Von 59 angeschriebenen Versicherern haben sich gerade mal sieben Versicherer – das sind magere 11,9 % – an der Umfrage beteiligt. Von den Teilnehmern hat nur ein einziger alle Fragen beantwortet, einer beantwortete lediglich 27 % aller Fragen und kumuliert wurden 68 % der Fragen beantwortet. ‚vt‘-Bewertung: Das ist eine dünne Datenbasis.

++ Antragsprozess laut PCD: „Im Antragsprozess gibt es aktuell keine spezifizierten verständlichen und transparenten Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit COVID-19. Im Gegenteil, die unternehmensindividuelle Auslegung, Einschätzung und Bewertung auf Basis der bereits vor der Pandemie vorhandenen pauschalen Gesundheitsfragen erhöht das Risiko einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung für Versicherungsinteressenten und Vermittler teilweise erheblich.“ ‚vt‘-Bewertung: Es gibt konkrete Fragen bspw. zu Beschwerden und Behandlungen, die sorgfältig zu beantworten sind – und eine spontane Anzeigepflicht gibt es nicht mehr.

++ Leistungsprozess laut PCD: „Im Leistungsfall sorgt die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unverändert etablierte Fülle von unverbindlichen Formulierungen und unbestimmten Begriffen dafür, dass es auch für die Auswirkungen von COVID-19 im BU-Leistungsprozess keine einheitlichen und verbindlichen Leitplanken gibt. Das Ergebnis der Leistungsprüfung ist weiterhin eine unternehmensindividuelle und einzelfallabhängige Blackbox. Das Risiko einer Leistungsablehnung ist durch COVID-19 teilweise deutlich erhöht.“ ‚vt‘-Bewertung: Wie sich letzteres aus der Umfrage ergeben soll, wird nicht erläutert. 

Noch ein ‚Schmankerl‘: „Sowohl beim Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen als auch bei der Leistungsprüfung gelten für Kunden mit einer Corona-Infektion die ganz normalen Regeln“, schreibt der GDV zu BU und Corona auf seiner Homepage. Das deklariert PCD als „irreführende Aussage“. Für uns ist das starker Tobak. Zum einen, weil uns bisher kein Versicherungsmakler über eine andere Praxis als die vom GDV beschriebene berichtet hat, zum anderen, weil PCD nicht bloß eine Meinung äußert, sondern mit ‚irreführende Aussage‘ eine (zu beweisende) Tatsachenbehauptung aufstellt. Der BU-Experte Matthias Helberg, Inhaber der Matthias Helberg Versicherungsmakler e. K./Osnabrück, der beim GDV immer mal wieder den Finger in die Wunde fehlender Daten in der BU-Statistik des GDV legt, sieht den Versichererverband hier zu Unrecht angegriffen: „In diesem Fall sehe ich es eher wie der GDV: Covid-19 ist eine (versicherte) Krankheit mehr.“

Auch die PCD-Vorwürfe zum Antragsprozess teilt Helberg nicht: „Dass man bei den Gesundheitsangaben genau hinsehen muss, ist unbestritten. Die Versicherer fragen ja schon etwas konkreter: Manche nach Beschwerden, manche nach ärztlichen Untersuchungen/Beratungen/Behandlungen. Wenn man sich an der Frage-Logik entlang hangelt, wird man auch dahinterkommen können, ob man einen Test, eine Infektion mit oder ohne Symptome angeben muss.“

Aus der aktuellen Beratungspraxis weiß der Osnabrücker zu berichten: „Wir kennen es so, dass ein positiver Test zu Rückfragen, i. d. R. in Form eines Zusatzfragebogens, führt. Gerade hatten wir einen Fall mit positivem Test und Symptomen (Geruchsverlust). Das war nach 14 Tagen vorbei und führte zu einer normalen Antragsannahme.“ Als die sieben Umfrage-Teilnehmer führt PCD Alte Leipziger, Barmenia, Canada Life, HDI, LV 1871, Sparkassen Versicherung, Volkswohl Bund auf. Darunter sind einige, die für eine gute Regulierungspraxis bekannt sind und u. a. deshalb bei Versicherungsmaklern zum Produktportfolio gehören.

Auf Anfrage der ‚vt‘-Redaktion erläutert die LV 1871 ihren Umgang mit Corona beim Antragsprozess: „Unsere Gesundheitsfragen decken alle relevanten Informationen ab, um die Risiken einer Berufsunfähigkeit einschätzen zu können. Die Corona-Pandemie hat diesbezüglich nichts an dem Schutz geändert, den wir Versicherungsnehmern bieten. Deshalb sehen wir aktuell keine Notwendigkeit für ergänzende Prüfungen. Unsere Kunden müssen sich keine Sorgen machen, dass eine Corona-Erkrankung automatisch negative Auswirkungen auf ihre Antragsprüfung bei uns hat. Wenn kein stationärer Aufenthalt nötig war, die Erkrankung überstanden ist, die potenziellen Kunden drei Wochen beschwerde- und behandlungsfrei und wieder im Job tätig sind, dann stellen wir keine Anträge zurück. Bei der LV 1871 gibt es weder Beitragszuschläge noch Leistungsausschlüsse wegen Corona und nach aktuellem Stand planen wir auch nichts dergleichen.“

Für ihre Behauptung, das Risiko einer Leistungsablehnung sei durch COVID-19 teilweise deutlich erhöht, liefert PCD selbst den Gegenbeweis: „Für den Abfragezeitraum von März 2020 bis März 2021 wurden insgesamt 14 BU-Leistungsfälle, die im direkten Zusammenhang mit einer COVID-19 Infektion stehen, gemeldet. Zusätzlich wurden 4 BU-Leistungsfälle gemeldet, die mittelbar oder unmittelbar auf eine Erkrankung aufgrund der Auswirkung der Corona-Pandemie zurückzuführen sind. Bisher wurde kein Leistungsfall, der im Zusammenhang mit COVID-19 steht, abgelehnt.“ Über diese positive Erkenntnis berichtet aber weder PCD in seiner Pressemitteilung noch die ‚WamS‘.

‚vt‘-Fazit: ++ Kritik an der Antrags- und Leistungspraxis einiger BU-Versicherer ist wichtig und richtig, wenn sie fundiert ist  ++ Wenn gerade einmal sieben von 59 angeschriebenen Versicherern an der PCD-Umfrage teilnehmen, die dann auch noch mit einem hinsichtlich des Zutreffens sehr fragwürdigen drastisch negativen Kontext in die Pfanne gehauen werden, stellt sich die Frage, ob PCD bei der nächsten Umfrage mit noch weniger Teilnehmern rechnen muss.

++ Nutzen Sie unsere gute Recherche zur Aufklärung irritierter Kunden sowie Verbraucher, die überlegen, eine BU abzuschließen! Wir schließen uns dem Fazit des BU-Experten Helberg an: „Aus meiner Sicht ist Covid-19 in allererster Linie ein zusätzlicher Grund, eine BU abzuschließen – eben weil die Folgen einer Infektion noch nicht so klar sind. Damit hilft man den Menschen mit Sicherheit mehr, als gerade jetzt teilweise an den Haaren herbeigezogene Zweifel zu säen.“

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