vt – Aktuelle Themen

BGH-Urteil: Brisanz und Aufklärungsbedarf für die Versicherungsmakler-Beratungspraxis

Zu dem am 10.01.2025 veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.12.2024 (Az.: IV ZR 498/21) lieferten wir Ihnen in der Vorwoche eine erste Durchleuchtung mit Experteneinschätzungen von Rechts­anwältin Kathrin Pagel, Partnerin in der Kanzlei Michaelis, Rechtsanwalt Kai-Jochen Neuhaus sowie Versicherungsmakler Matthias Helberg (vgl. ‚vt‘ 04/25). Heute vertiefen wir dies. Zunächst ordnet Rechtsanwalt Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte, das Urteil für Sie ein:

„Gegenstand der Auseinandersetzung war eine Unfallkombirente, die auch Elemente einer Schwere Krankheiten-, Grundfähigkeits- und Pflegeversicherung enthielt. Keine der darin enthaltenen Regelungen knüpfen für den Versicherungsfall an eine Arbeitsunfähigkeit an und das Produkt war wie eine Unfallversicherung ausgestaltet. Der BGH scheint sich jedoch der Rechtsauffassung anzuschließen, dass § 177 Abs. 1 VVG nur dann anzuwenden wäre, wenn auch der dort vereinbarte Versicherungsfall unmittelbar an eine Arbeitsunfähigkeit anknüpft. Das dürfte auch bei den sonst auf dem Markt erhältlichen Schwere Krankheiten-, Grundfähigkeits- und Pflegeversicherung wohl häufig nicht so sein. Die Aussage von Herrn Neuhaus, dass der BGH zumindest eine Orientierung gibt, würde ich daher 1:1 bestätigen wollen.

ABER: Der BGH stützt seine Entscheidung nicht nur auf die Unmittelbarkeit der AU für den Versicherungsfall. Er prüft auch detailreich weiter, ob die ‚Unfall-Kombirente‘ nicht doch wie eine Berufsunfähigkeitsversicherung ausgestaltet ist und verneint das im Ergebnis. Ebenso prüft er, ob das ordentliche Kündigungsrecht nicht (auch aus Gründen des § 242 BGB) ausgeschlossen sein könnte, weil die ‚Kombi-Rente‘ bspw. eine Ersatzfunktion für das Sozialversicherungssystem hat, Stichwort ‚analoge Anwendung‘. Das lässt aus unserer Sicht den Schluss zu, dass es durchaus Policen geben kann, die wie eine BU ausgestaltet sind und/oder an die Arbeitsunfähigkeit anknüpfen und/oder eine gewisse Ersatzfunktion einnehmen und man dann zu anderen Ergebnissen kommen könnte.“

Das Fazit von RA Strübing: „Nach dem Urteil des BGH dürfte auch aus unserer Sicht vieles dafür sprechen, dass Schwere Krankheiten-, Grundfähigkeits- und Pflegeversicherungen oder ähnliche Produkte durch den Versicherer ordentlich gekündigt werden können, soweit das in den Bedingungen vereinbart ist. Das scheint in den meisten Fällen wohl recht wahrscheinlich. Wir wären aber (ohne die Policen genau zu kennen) sehr vorsichtig damit, dass nun pauschal und einschränkungslos zu behaupten, weil der BGH selbst Voraussetzungen nennt, unter denen ggf. ein anderes Ergebnis möglich und denkbar wäre. Wir können uns auch vorstellen, dass Versicherer durchaus ein Interesse daran haben könnten, auch mit solchen Produkten in den Anwendungsbereich von § 177 VVG zu gelangen, weil dann auch die Anpassungsmöglichkeiten der §§ 163, 164 VVG bestünden.“

Das hat Folgen für die Beratungspraxis der Versicherungsmakler, führt RA Strübing aus: „Schwierig wird es nun leider für den Vermittler. Denn in der täglichen Praxis sollte der Vermittler natürlich die Bedingungen ansehen und den Kunden darauf hinweisen, dass abweichend von einer BU diese Versicherung jederzeit durch den Versicherer gekündigt werden könnte.“

Wo es für Versicherungsmakler schwieriger wird, da steigt ‚vt‘ umso tiefer ein: Anfragen bei mehreren Anbietern der GFV und SKV hatten wir bereits in der Vorwoche gestartet. Wissen wollen wir u. a.:  ++ Wirkt sich dieses Urteil hinsichtlich der Anwendbarkeit der §§ 150–170 VVG auf die GFV aus, soweit die Anwendung dieser VVG-Regelungen sich zu Gunsten/zum Nachteil des Kunden auswirken würde?  ++ In den AVB zur GFV wird auf LV-Regelungen des VVG hingewiesen. Werden diese Regelungen weiterhin angewandt? Wenn ja, warum?  ++ Sieht sich das VU berechtigt, bei GFV-Verträgen eine ordentliche Kündigung auszusprechen? Wenn nein, warum nicht?  ++ Schließen Sie aus, zukünftig bei der GFV eine ordentliche Kündigung in den AVB zu vereinbaren?  ++ Ist die GFV eine Arbeitskraftabsicherung? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?  ++ Wie sieht das VU die Anwendbarkeit der VVG-Regelungen zur LV, wenn ein AU-Baustein vereinbart wird?  ++ Sollten Versicherungsmakler mit Blick auf die unterschiedliche Geltung der VVG-Regelungen bei der Beratung von Kunden die GFV als ‚Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung‘ bezeichnen?

Als erstes haben wir die Allianz Lebensversicherungs-AG angesteuert und können eine Einschätzung des LV-Marktführers zu deren ‚KörperSchutzPolice‘ (KSP) liefern: „Wir haben das Urteil zur Kenntnis genommen. Wir prüfen derzeit das Urteil und die Urteilsbegründung auf grundsätzliche Wirkungen hin und werden bei unserer Bewertung auch die Einschätzungen von Verbänden und ggf. Einordnungen seitens der Versicherungsaufsicht berücksichtigen. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt können wir jedoch ausschließen, dass sich das Urteil zum Nachteil der Versicherungsnehmer einer Allianz KörperSchutzPolice auswirkt.“

‚vt‘-Fazit: Auch die Antworten von RA Strübing sowie der Allianz zeigen, dass das BGH-Urteil reich­lich Brisanz birgt und für eine Menge Klärungsbedarf sorgt. Da sind und bleiben wir für Sie am Ball mit den Fragen insbesondere an die für Versicherungsmakler relevanten Anbieter.

Dieser Beitrag ist frei lesbar. Wenn Sie den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem ‚versicherungstip‘-Chefredakteur nutzen, umfassend und zeitnah informiert und vollen Zugriff auf alle Print- und Digital-Leistungen von ‚versicherungstip‘ haben möchten: Sichern Sie sich umgehend die volle Leistungspalette  mit einem

'versicherungstip'-Abonnement.

Damit erhalten Sie

• wöchentlich die 'versicherungstip'-Ausgabe per Post

• dazu Spezial-Beilagen aus den Bereichen Beratung, Recht und Steuern

• vollen digitalen Zugriff auf alle Berichte in versicherungstip ab dem Erscheinungstag

• vollen digitalen Zugriff auf alle Service-Unterlagen (Urteile, Verordnungen, Gesetzentwürfe, Anwendungschreiben etc.)

• vollen digitalen Zugriff auf unsere Volltext-Suche in allen 'vt'-Veröffentlichungen seit 2002 für Ihre Recherche und

•  Sie können den 'direkten Draht' für das vertrauliche Gespräch mit Ihrem Chefredakteur nutzen.

Hier finden Sie weitere Informationen zum 'versicherungstip' und zur Leistungspalette.

 

 

Teilen Sie diese Neuigkeit in Ihrem Netzwerk