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Condor-Werbung zur BU-Teilzeitklausel ist überzogen und unredlich (Teil 1)

Die Condor Lebensversicherungs-AG bewirbt ihre aktuelle selbstständige BU (Tarif SBU 9T07) mit Teilzeitklausel (TZK) über den grünen Klee, verspricht viel und zückt sogar das scharfe Schwert der Maklerhaftung. Wird mit der Condor TZK tatsächlich das vermeintlich größte Problem der BU revolutionär und mit einer eierlegenden Wollmilchsau-Lösung behoben? Wir haben für Sie die Werbung mit dem Bedingungswerk und der Teilzeitproblematik verglichen und kommen nicht zu so einem euphorischen Ergebnis wie die Werbestrategen des Versicherers:

„Condor löst als bundesweit erster Versicherer mit der neuen Teilzeitklausel das Problem der BU-Teilzeitfalle wirklich“, wird Ulrike Taube, Vorstand der Condor Leben, in einer Pressemitteilung zitiert. Der Werbesprech geht weiter: „Die Zielgruppe für die neue BU-Absicherung ist riesig, denn bundesweit arbeiten rund 15 Millionen Menschen in Teilzeit – mit steigender Tendenz. Die häufigsten Gründe für den Wechsel in Teilzeit sind die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder generell eine bessere Work-Life-Balance. Mehrheitlich Frauen, aber auch immer mehr Männer arbeiten in Teilzeit.“

Nun biete Condor eine BU „mit einer umfassenden Teilzeitklausel an“, es sei die „erste BU mit einzigartiger Teilzeitklausel“. Schauen wir uns die sogenannte Teilzeitfalle genauer an: „Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann“, besagt § 172 VVG.

Bedingungsgemäß greift zudem der übliche 50 % BU-Grad: Wer nur noch zu 50 % seinen aktuellen Beruf ausüben kann, gilt in der Regel als berufsunfähig. Bisherige BU-Versicherungen beinhalten eine gravierende Benachteiligung für diejenigen, die aus der Vollzeit dauerhaft zur Teilzeit wechseln.

Denn auch in Teilzeit bleibt die BU-Prämie gleich hoch, aber wer bspw. von 40 auf 20 Stunden reduziert, muss doppelt so wenig Restleistungsvermögen haben, damit er BU-Rente erhält: Wer 40 Stunden arbeitet, darf nicht mehr als 20 Stunden arbeiten können, wer 20 Stunden arbeitet, muss so beeinträchtigt sein, dass er nur noch maximal 10 Stunden arbeiten kann. Grundsätzlich ist daher die neue TZK der Condor (SBU 9T07, § 2 Abs. 8) zu begrüßen:

„Reduziert die versicherte Person während der Versicherungsdauer ihre vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit, bleibt für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit die während der Versicherungsdauer höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit maßgebend (Teilzeitklausel). Nachweise über die jeweiligen Arbeitszeiten sind uns vorzulegen. Entsprechendes gilt, wenn die Arbeitszeitreduktion vom Arbeitgeber angeordnet wird (z. B. Kurzarbeit).“

In der Werbung zeigt Condor eine immense Betroffenheit von „bundesweit rund 15 Millionen Menschen in Teilzeit (...) die häufigsten Gründe für den Wechsel in Teilzeit sind die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder generell eine bessere Work-Life-Balance“.


Halten wir fest: Die TZK greift nicht bei Selbständigen. Ohnehin ist bei einer Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen für die BU-Prüfung die Arbeitszeit vor der Reduzierung maßgeblich, so dass die TZK keinerlei Verbesserung bringt. Doch wenn es angeblich so viele Betroffene gibt, die zukünftig mit der TZK BU-Leistungen erhalten würden, dann muss es in der Vergangenheit doch auch viele VN gegeben haben, deren Leistungsanträge abgelehnt wurden.

Wir haben Condor Vertriebsvorstand Dr. Ulrich Hilp am 07.11.2019 gefragt, wie viele BU-Leistungsanträge 2016–2018 von Condor-Versicherten eingereicht wurden, die bei BU-Eintritt nicht in Vollzeit erwerbstätig waren, und ob diese BU-Leistungsanträge ggf. in die Statistik fallen, die wegen Nichterreichens des 50 %-BU-Grades abgelehnt wurden. „Wir kommunizieren diese Zahlen nicht öffentlich. Condor hat traditionell eine sehr hohe Leistungsquote“, wollen die Hamburger bei ihrer Antwort vom 25.11. leider keine Zahlen liefern.

Die Gelegenheit, die angeblich immense Bedeutung der TZK aus eigener Erfahrung zu untermauern, nutzt Condor – warum wohl? – nicht. An der Bearbeitungszeit von über zwei Wochen kann es nicht liegen. Wir sehen damit unsere Auffassung bestätigt, dass es die von Condor beworbene Bedeutung nicht gibt. Denn wer zur Pflege oder Kindererziehung in Teilzeit geht, der macht das üblicherweise vorübergehend und nicht dauerhaft.

Wer just dann krank wird, hat gute Chancen, dass der BU-Grad auf Basis der vor der zeitweiligen Reduzierung ausgeübten Arbeitszeit berechnet wird. „Die Inanspruchnahme von Elternzeit und eine darauffolgende, leidensbedingte Reduzierung der Arbeitszeit führen nicht dazu, dass nicht mehr an den zuvor ausgeübten Beruf angeknüpft werden muss“, verweist Rechtsanwältin Kathrin Pagel, Partnerin in der Kanzlei Michaelis, auf das Urteil des OLG Saarbrücken vom 28.04.2014 (Az.: 5 355/12).

„Der BGH hatte zu dem Thema Erziehungsurlaub und ausgeübter Beruf in der Berufsunfähigkeitsversicherung schon mit Urteil vom 30.11.2011 (Az.: IV ZR 143/102011) entschieden“, ergänzt die Fachanwältin für Versicherungsrecht. 

„In dem Urteil wurde zudem klargestellt, dass auf den Beruf der Erzieherin nur dann nicht mehr abzustellen wäre, wenn die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit bewusst zugunsten einer dauernden Tätigkeit als Hausfrau aufgegeben hätte, oder aber die Zeitspanne zwischen der Beendigung der früheren Tätigkeit und dem Versicherungsfall so groß wäre, dass sie ihre berufliche Qualifikation für den vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beruf verloren hätte und diesen aus fachlichen Gründen nicht mehr fortführen könnte‘.“

Das Fazit der RAin: „Das bedeutet, dass im Falle von Teilzeitarbeit immer darauf abgestellt werden dürfte, ob der zuvor ausgeübte Beruf aufgegeben und sich ein neuer Beruf manifestiert hat oder ob der zuvor ausgeübte Beruf lediglich unterbrochen wurde.“

In Maklerkreisen bewirbt Condor die TZK anhand einer ‚Julia‘, die wegen Elternzeit ihre Arbeitszeit reduziert und dann BU wird: Ohne TZK wäre sie nicht zu 50 % BU. Warum wir das für falsch halten und was RAin Pagel dazu sagt, berichten wir in der ‚vt‘-Ausgabe der kommenden Woche.

 

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