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Corona wird für Bürgerversicherungsideologie missbraucht

Die Corona-Krise ist noch nicht beendet, die Toten sind noch nicht beerdigt, da hat es schon ein arges Geschmäckle, wenn ‚Corona‘ als Anlass herangezogen wird, um ideologische Forderungen aufzuwärmen. So postuliert Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), allen Ernstes in einem Interview mit ‚Welt am Sonntag‘ (10.05.2020) die Bürgerversicherung als „richtige Antwort“ auf im Zuge von Corona aufgetretene Probleme:

„Die KRISE zeigt die Schwachstelle im Sozialsystem“, zitiert ‚Welt am Sonntag‘ (‚WamS‘) in der Überschrift eine Behauptung des SPD-Mitgliedes Reiner Hoffmann und ‚Welt‘ titelt „DGB-Chef fordert Bürgerversicherung für alle“. Aus dem langen Interview haben wir für Sie die relevanten Passagen zur Bürgerversicherung herausgefiltert.

Auf die Feststellung der ‚WamS‘-Journalisten, dass es für Selbstständige kein Kurzarbeitergeld gibt, sondern allenfalls Grundsicherung, wenn diese jetzt ohne Einkommen sind, und der damit korrespondierenden ‚WamS‘-Frage, ob „das nicht unfair“ sei, antwortet der Gewerkschaftsboss: „Jetzt in der Krise zeigt sich die Schwachstelle in unserem sozialen Sicherungssystem (…) Gerade die Solo-Selbstständigen stehen nun häufig ohne Absicherung da.“

Der Staat hat verschiedenen Unternehmern durch Schließung von Geschäften per Allgemeinverfügungen die Existenzgrundlage entzogen und bietet daher u. a. Soforthilfen an. Ob die Höhe ausreicht, darüber kann man diskutieren. Das macht Hoffmann aber nicht, sondern leitet aus der Situation eine altbekannte ideologische Forderung ab:

„Die Bürgerversicherung ist die richtige Antwort auf dieses Problem: eine Pflichtversicherung, in die alle Beschäftigten einzahlen. Und das gilt sowohl für die Rente, die Kranken- und Pflegeversicherung als auch für die Arbeitslosenversicherung.“ Wie es nun Selbstständigen in der aktuellen Situation geholfen hätte, wenn alle Beschäftigten in eine Pflichtversicherung eingezahlt hätten, bleibt Geheimnis des DGB-Chefs.

Dafür legt er beim Kampf gegen die PKV nach und fordert: „Wir brauchen die Perspektive, dass langfristig auch die Beamten einbezogen werden.“ Ein solcher Umbau des Sozialsystems bedürfe aber „viel Fingerspitzengefühl“. Wer mitten in einer Krise ideologische Forderungen aufwärmt, beweist u. E. allerdings keinerlei Fingerspitzengefühl.

Da ist der SPD-Bundestagsabgeordnete und Bürgerversicherungsbefürworter Prof. Dr. Karl Lauterbach in seinen gefühlt täglichen Talkshow-Auftritten der letzten Wochen geschickter. Sein Mantra, warum es in Deutschland nicht zu schlimmen Situationen und vielen Toten wie bspw. in Italien und im Vereinigten Königreich kam, bezog sich nicht auf das Gesundheitssystem, sondern weil „Deutschland sehr viel Glück gehabt hat“.

Schauen wir auf aktuelle Zahlen der WHO vom 11.05. der Corona zugerechneten Todesfälle pro 1 Mio. Einwohner. Wir haben ein paar europäische Länder herausgegriffen, da liegt Deutschland mit 89 Toten hinter Österreich (69) und vor der Schweiz (179). Deutlich schlimmer erwischt hat es Frankreich (405), UK (472), Italien (505) und Spanien (570).

Im Nachgang zu Corona wird es sicher Erkenntnisse geben, die diese Unterschiede erklären. Vermutlich wird es nicht nur einen Grund geben, sondern mehrere Faktoren. Das Gesundheitssystem (dessen Finanzierung sowie möglicher oder nicht vorhandener Wettbewerb) könnte dabei einer der Faktoren sein.

Dass Deutschland ein – wenn auch nicht in allen Belangen perfekt – funktionierendes Gesundheitssystem aufgrund der Dualität GKV-PKV hat, wird Lauterbach sicher nie über die Lippen kommen. Aber dass Hoffmann im Zuge der Corona-Krise Schwachstellen im System erkannt haben will, die zu seiner Behauptung führen, die Einführung der Einheitsversicherung sei „die richtige Antwort auf dieses Problem“, gibt Zweifel an der Analysefähigkeit des DGB-Chefs kräftig Nahrung.

‚vt‘-Fazit: Wir wollen uns nicht mit dem DGB-Chef auf eine Stufe stellen und treffen hier daher nicht die kühne Behauptung, dass das duale System in Deutschland der einzige Grund für den (bisher) glimpflichen Corona-Verlauf ist. Aber zu den Faktoren dürften Wettbewerb durch die verschiedenen Krankenkassen und die Private Krankenversicherung zählen. Die Bürgerversicherung als Erkenntnis aus der Corona-Krise zu fordern, ist jedenfalls völlig abstrus.

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