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Dialog-Fall: BaFin mauert zu Maßnahmen bei behaupteten Obliegenheitsverletzungen

Im September informierten wir Sie über die „Skandalöse Zahlungsverweigerung mit unterstellter Obliegenheitsverletzung“ der Dialog Versicherung AG (vgl. ‚vt‘ 38/22). Versicherungsmakler Michael Otto, Geschäftsführer der Otto Assekuranzmakler KG/Isernhagen, hatte der Dialog einen Sturmschaden gemeldet und sich gegen die Ablehnung der Schadenregulierung – u. a. aufgrund einer trotz Altvertrag behaupteten Obliegenheitsverletzung – zur Wehr gesetzt. Behauptete Obliegenheitsverletzung deshalb, weil die Dialog die falsche Auffassung vertrat, der Schaden hätte „unverzüglich“ angezeigt werden müssen, stattdessen waren die Arbeiten bei der Schadensmeldung bereits vollständig ausgeführt.

Doch Versicherungsmakler-Urgestein Otto hatte sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern wies bei seiner Beschwerde auf den Altvertrag-Status hin. Die damalige Generali Sach hatte im Zuge der VVG-Reform 2008 von der Möglichkeit des Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht. Folglich würden zu dem Vertrag keine vertraglichen Obliegenheiten bestehen, klärt er die Dialog-Sachbearbeiterin auf.

Ergänzend verweist Otto auf das relevante BGH-Urteil vom 12.10.2011 (Az. IV ZR 199/10). Nach erneuter Ablehnung beschwerte sich Otto ein weiteres Mal. Zudem landet der Fall auf dem ‚vt‘-Redaktionstisch, Dialog-Vertriebsvorstand Dr. Florian Sallmann wurde mit dem Sachverhalt konfrontiert. Unsere konkreten Fragen an Vorstandsmitglied Dr. Sallmann blieben zwar unbeantwortet, aber die Dialog hatte reagiert, wie sie ‚vt‘ mitteilte:

„Bezüglich Ihrer Anfrage vom vergangenen Freitag weisen wir darauf hin, dass der Schadenfall bereits im Sinne unseres Kunden reguliert ist.“ Dem konkreten Mandanten war geholfen, doch Versicherungsmakler Otto engagierte sich darüber hinaus auch für den Verbraucherschutz. Ob die behauptete Obliegenheitsverletzung eine bewusste Irreführung war oder aber grober Unkenntnis der Sachbearbeiter geschuldet war, konnte Otto nicht erkennen.

Es stellt aber einen Schaden für Kunden dar, wenn weiterhin Obliegenheitsverletzungen behauptet werden und dem betreffenden VN oder Vermittler die Altvertragsregelung nicht bewusst ist. Daher macht sich der Versicherungsmakler die Mühe, eine BaFin-Beschwerde im Namen des Kunden zu formulieren.

Die Dialog habe „die Regulierung mit dem Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung (unverzügliche Anzeige des Schadenfalles)“ abgelehnt. Aber: „Dem Vertrag liegen die VGB 2003 zu Grunde (mithin altes VVG). Die Generali als Vorläufer der Dialog hat von den Möglichkeiten des Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht. Unser diesbezüglicher Hinweis wurde von der Dialog ignoriert“, bringt Otto den Sachverhalt auf den Punkt.

Des Weiteren weist er auf Versicherer-Pflichten hin: „Ein Versicherungsnehmer muss sich auf die Sachkompetenz eines Mitarbeiters verlassen können insbesondere bei der Schadenregulierung. Um dies sicherzustellen hat der Gesetzgeber die Fortbildungsverpflichtung normiert, die selbstverständlich auch für Schadensachbearbeiter gilt.“

Die Aufsicht ist der Beschwerde nachgegangen und hat die Dialog um Stellungnahme gebeten. Bei der Antwort stellt die Generali-Tochter darauf ab, man habe „die Ersatzpflicht zunächst abgelehnt, da unter anderem kein Nachweis dafür erbracht werden konnte, dass die Fichte durch den Sturm umgestürzt ist“.

Der Versicherungsmakler habe zusätzliche Erläuterungen geliefert, inzwischen sei die Schadensumme „an den Versicherungsnehmer gezahlt“. Die Zahlung habe „sich mit der Eingabe bei der BaFin überschnitten“, wiegelt Dialog ab. Und was ist mit dem Kernproblem der behaupteten Obliegenheitsverletzung? Nichts – denn den hat die Dialog ganz einfach unter den Tisch fallen lassen!

Auch die BaFin, Referat Verbraucherschutz, verweist nur darauf, dass „der Versicherer zwischenzeitlich den Schaden beglichen haben“ will. Die Angelegenheit dürfte „nunmehr im Sinne Ihres Mandanten geregelt worden sein“. Zu einem Vorgehen gegen das verbraucherunfreundliche Verhalten der Dialog erfährt Otto nichts.

„Die Frage, ob und ggf. welche Maßnahmen ich deshalb im Aufsichtsverhältnis einleite, unterliegt jedoch meiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht und bleibt hier deshalb offen“, schließt die BaFin. „Ist das effektiver Verbraucherschutz?“, fragt und moniert zugleich Versicherungsmakler Otto. Die aus der Verschwiegenheitspflicht resultierende Intransparenz darf man kritisieren.

Insbesondere stellt sich die Frage, ob diese Verschwiegenheitspflicht noch zeitgemäß ist. Ob und ggf. welche Maßnahme die Aufsicht gegenüber der Dialog ergriffen hat, erfahren wir nicht, aber dem Kernproblem wollen wir dennoch auf den Grund gehen. Daher hat ‚vt‘ die BaFin um Stellungnahme gebeten:

++ Hält die BaFin es unter dem Aspekt Verbraucherschutz für relevant, ob ein Versicherer eine Obliegenheitsverletzung geltend macht, obwohl ein Altvertrag vorliegt, bei dem der Versicherer von den Möglichkeiten des Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht hat? Dazu liefert die Aufsicht ein unzweideutiges ja: „Die BaFin hält einen solchen Vorgang unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes für relevant.“ 

++ Müssen Versicherer nach Auffassung der BaFin ihre mit der Schadenbearbeitung betrauten Mitarbeiter zum ggf. gegebenen Altvertrags-Status schulen? Auch das beantwortet die BaFin unmissverständlich: „Die BaFin erwartet, dass die mit der Schadenbearbeitung betrauten Mitarbeiter systemseitig alle notwendigen Informationen zu den Vertragsmerkmalen vorliegen haben und mit allen für das Vertragsverhältnis relevanten rechtlichen Regelungen vertraut sind, also entsprechend geschult wurden.“  

++  Aufgrund der nach mehrmaliger Beschwerde des Versicherungsmaklers vom Versicherer dann doch geleisteten Schadenszahlung vertritt die BaFin die Auffassung, dass die Angelegenheit dadurch im Sinne des Kunden geregelt sein dürfte. Wie ist diese Auffassung der BaFin vor dem Hintergrund, dass die Schadensregulierung mit einer behaupteten Obliegenheitsverletzung zunächst versagt wurde, zu erklären?

Welche Maßnahmen ergreift die BaFin üblicherweise, wenn ein Versicherer bei Verträgen mit Altvertrag-Status die Schadenregulierung aufgrund einer behaupteten Obliegenheitsverletzung ablehnt, um Wiederholungen und damit drohende Nachteile für Verbraucher zu vermeiden?

Obwohl in unserer gesamten Anfrage kein konkreter Versicherer genannt wird, wird die BaFin nun einsilbig bezüglich möglicher Maßnahmen: „Ungeachtet der Frage, ob sich ein Einzelfall für den Kunden möglicherweise anderweitig erledigt hat, prüft die BaFin derartige Sachverhalte stets aus aufsichtsrechtlicher Perspektive. Ich bitte jedoch um Verständnis, dass ich über etwaige aufsichtsrechtliche Maßnahmen aufgrund meiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht keine Auskünfte erteilen kann.“ 

‚vt‘-Fazit: Bei unserer Anfrage haben wir lediglich auf eine Eingabe des Versicherungsmaklers Michael Otto und das Geschäftszeichen der BaFin hingewiesen. Ob wir den konkreten Versicherer kennen, konnte die BaFin aus unserer Anfrage nicht erkennen, die Dialog haben wir jedenfalls nicht genannt.

Wir bezweifeln, dass die Verschwiegenheitspflicht so weitreichend ist, dass die BaFin noch nicht einmal die üblichen Maßnahmen zu einem bestimmten Fehlverhalten aufzeigen darf. Dass die ‚vt‘-Redaktion zufällig einen Versicherer kennt, der dieses Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, und dann eins und eins zusammenfügen kann, kann der BaFin ja nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Insbesondere gehört eine Verschwiegenheitspflicht abgeschafft, wenn selbst dem Beschwerdeführer jegliche Transparenz verwehrt wird. Wenn BaFin-Chef Mark Branson Verbraucher „stärken statt bevormunden“ will (vgl. ‚vt‘ 47/22) und der Verbraucherschutz der BaFin auf ein höheres Level gehoben werden soll, dann darf Branson sich gerne für eine Änderung der Verschwiegenheitsklausel einsetzen.

 

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