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ERGO lässt Selbstständige mit coronabedingtem Finanzproblem vor die Pumpe laufen

Die Generali Deutschland Pensionskasse AG (GDPK) erweist mit ihrem höchst fragwürdigen Verhalten, nicht mehr alle beitragsfrei gestellten Rentenversicherungsverträge zur betrieblichen Altersversorgung wieder in Kraft zu setzen (vgl. ‚vt‘ 21/21, 08 und 22/22), den auf unabhängige Vermittler ausgerichteten Konzern-Schwestern Dialog Lebensversicherungs-AG und Dialog Versicherung AG sowie dem Image der gesamten Versicherungsbranche einen Bärendienst.

Auf ähnlich kundenunfreundlichen Spuren im Zusammenhang mit einer Wiederinkraftsetzung wandelt nun die Victoria Lebensversicherung AG von der ERGO Deutschland: Die Gesellschafter-Geschäftsführerin einer Agentur hatte über ihre GmbH 2002 bei Victoria für ihre Pensionszusage eine Rückdeckungsversicherung mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Vor einigen Jahren wurde sie Mandantin des Versicherungsmaklers Dirk Brüggenthies, Brüggenthies Versicherungsmakler GmbH & Co. KG/Bad Salzuflen, der den Vertrag per Vollmachtsanzeige in den Bestand übernahm.

Die Agentur war gleich zu Beginn der Coronakrise von erheblichen finanziellen Einbußen betroffen. Mit Schreiben vom 01.04.2020 bat die Versicherungsnehmerin mit Hinweis auf Corona um „Informationen über die Freistellungsmöglichkeiten des monatlichen Beitrags zum April 2020. Die Freistellung ist voraussichtlich geplant bis September 2020, teilen Sie uns hierzu bitte die entsprechenden Konditionen mit.“

Gerade in der Coronakrise lieferten kundenorientierte Versicherer neben der Beitragsfreistellung weitere Instrumentarien zur Überbrückung von finanziellen Engpässen wie Beitragsstundungen oder Beitragsverrechnungen. Die erbetenen Informationen zu den verschiedenen Möglichkeiten mit entsprechenden Konditionen lieferte die ERGO-Tochter nicht, sondern stellte die Versicherung ohne weitere Rücksprache beitragsfrei.

Bekanntlich entwickelte sich der politische Umgang mit Corona und diversen Lockdowns auch über 2020 hinaus zu einer für diverse Branchen wirtschaftlich schweren Zeit. Daher teilte die Mandantin erst im April 2022 ihrem Versicherungsmakler mit, dass sie die Beitragszahlung wieder aufnehmen möchte. Der informierte ERGO entsprechend. Doch einmal mehr scheint ERGO von der Postempfangsvollmacht nicht viel zu halten und übergeht die Regelung zum Korrespondenzmakler:

Die Kundin erhält am 05.05.2022 direkt von Victoria ein Angebot zur Wiederinkraftsetzung. „Sollten Sie mit dem Änderungsvorschlag einverstanden sein, erbitten wir diesen innerhalb von 6 Wochen unterschrieben zurück“, lautet die Annahmevoraussetzung. Das Angebot will die Kundin direkt nach ihrem bevorstehenden Urlaub annehmen. Doch bei der Rückkehr findet sie ein weiteres, auf den 17.05. datiertes Schreiben der ERGO auf ihrem Schreibtisch vor.

Erneut wird ihr ein Angebot zur Wiederinkraft­setzung unterbreitet. Das Angebot ist hinsichtlich der Daten identisch, doch nun heißt es im Betreff „Anforderungen von Gesundheitsfragen“. Ebenfalls neu findet sich in dem Schreiben der Hinweis: „Wir benötigen zur weiteren Prüfung noch folgende beigefügte Unterlage: Formular Gesundheitserklärung.“

Die Unterlage soll vollständig ausgefüllt und unterschrieben zurückgesendet werden. „Sobald wir die unterschriebene Unterlage erhalten haben, werden wir über Ihren Antrag entscheiden“, macht ERGO die Wiederinkraftsetzung plötzlich von einer Gesundheitserklärung abhängig. Dieses Kuriosum wird ERGO auf ‚vt‘-Anfrage später so erklären:

„Dass es zu zwei Schreiben kommt (die nach meiner Kenntnis auch zusammen versandt wurden), hat IT-technische Gründe unseres Verwaltungssystems; wir bedauern, dass es dadurch zu Irritationen bei der Kundin und ihrem Makler gekommen ist.“ Dass die Schreiben mit fast 14 Tagen Datumsdifferenz zusammen versandt wurden, erscheint höchst unwahrscheinlich. Die VN kann jedenfalls nicht bestätigen, dass diese zum gleichen Zeitpunkt bei ihr angekommen sind. Ein Formular zur Gesundheitserklärung war zudem nur dem Schreiben vom 17.05. beigefügt.

Doch dies ist nicht das einzige Kuriosum. Denn nach dem Urlaub informiert die Mandantin ihren Versicherungsmakler über die Schreiben. Der beschwert sich bei ERGO, dass doch bitte er die Antworten erhält, wenn er mit Vollmacht des Kunden den Versicherer anschreibt. Die Annahmeerklärung der Kundin fügt er bei. Von einer Wiederinkraftsetzung ohne Gesundheitserklärung will Victoria aber nichts wissen.

Die sei „ohne erneute Gesundheitsprüfung nur innerhalb von 18 Monaten möglich“, heißt es plötzlich. „Für eine Wiederinkraftsetzung zum 01.05.2022 ist die Rücksendung der Gesundheitserklärung zwingend erforderlich.“ Brüggenthies setzt sich für seine Mandantin erneut ein und beklagt die fehlenden Informationen und Aufklärung der VN.

Doch ERGO lehnt erneut ab. Eine Wiederinkraftsetzung „des ursprünglichen Versicherungsvertrages steht grundsätzlich im Belieben des Versicherers“. Ein Rechtsanspruch bestehe nicht. „Bei der Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung vermindert sich der Versicherungsschutz und in der Höhe des darüber hinausgehenden Beitrages erlischt der Versicherungsschutz.“

Doch das Problem ist nicht, dass der Versicherungsschutz sich aufgrund der temporär nicht gezahlten Beiträge vermindert, sondern dass ERGO die Rückdeckungsversicherung in eine beitragsfreie Versicherung umgewandelt hat, obwohl von der VN dazu gar keine Willensäußerung vorlag, sondern diese lediglich Möglichkeiten und Konditionen anfragte, um eine wirtschaftlich schwere Lage zu überbrücken. Der Fall landet auf dem ‚vt‘-Redaktionstisch, wir haken bei Theodoros Kokkalas, Vorstandsvorsitzendem der ERGO Deutschland, nach. Wissen wollen wir u. a.:

++ Hat Victoria entsprechend der Bitte der VN vom 01.04.2020 Vorschläge zur Beitragsfreistellung oder Beitragsstundung unterbreitet? Wenn nein: Warum nicht?  ++ Hat Ergo/Victoria in der Coronazeit mit Lockdown den VN bei Zahlungsproblemen kein Entgegenkommen wie Beitragsstundung etc. gezeigt? Wenn doch: Warum wurden im vorliegenden Fall der VN keine coronabedingten Sonderlösungen aufgezeigt? 

++ Wurde die VN vor der Beitragsfreistellung darüber aufgeklärt, dass eine Wiederinkraftsetzung ohne erneute Gesundheitsprüfung nur innerhalb von 18 Monaten möglich ist? ++ Warum wurden die Änderungsvorschläge vom 05.05. und 17.05.2022 an die VN und nicht an den bevollmächtigten Makler gesandt?

„Die Anfrage unserer Kundin vom 01.04.2020 hatten wir als Bitte um Beitragsfreistellung interpretiert. Der Umsetzung dieser Bitte wurde im Brief an die Kundin vom 08.04.2020 entsprochen; der Brief enthielt Informationen über die Auswirkungen auf die Versicherungsleistungen und natürlich das Angebot, uns bei Fragen zu kontaktieren“, räumt ERGO ein, dass gar keine Willenserklärung zur Beitragsfreistellung vorlag.

Auch wurden die von der VN erbetenen Vorschläge und Alternativen nicht aufgezeigt, obwohl, so ERGO, es diese in der Corona-Zeit durchaus gab. „ERGO hat als Entgegenkommen grundsätzlich auch Stundungen der Beiträge angeboten“, erläutern die Düsseldorfer. Doch „da im Brief der Kundin vom 01.04.2020 explizit von ‚Freistellung‘ gesprochen wurde und nicht von Stundung, haben wir die Freistellung umgesetzt“, lautet die nicht nachvollziehbare Begründung für die schwerwiegende Handlung ohne entsprechenden Auftrag.

Hier erinnern wir: Die VN hatte ausdrücklich „Informationen über die Freistellungsmöglichkeiten“ angefragt und wollte explizit über „die entsprechenden Konditionen“ aufgeklärt werden. Auffällig ist zudem, dass eine klare Antwort auf unsere Frage zur Aufklärung über die nun ins Feld geführte 18-Monatsfrist umschifft wird mit dem Hinweis, „eine Wiederinkraftsetzung ist grundsätzlich ein Entgegenkommen seitens des Versicherers. Ein Anspruch ist weder im Versicherungsschein noch in den AVB vermerkt“.

Das mag sein, entbindet den Versicherer u. E. aber nicht von einer Aufklärung, insbesondere wenn ein VN um Informationen bittet. Da fällt der ERGO-Hinweis auf ein Schreiben vom 08.04.2020 ins Auge, das uns der Versicherer vorlegt. Das informiert die VN, dass „Ihre Versicherung beitragsfrei gestellt“ ist. Doch wie unsere Recherche erbringt, ist der Kundin dieses Schreiben unbekannt. Es hätte aber auch an der Wiederinkraftsetzungs-Problematik nichts geändert, wenn die VN es gekannt hätte.

Denn dort wird weder auf eine Frist noch auf eine erneute Gesundheitsprüfung hingewiesen. „Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln. Zur Vertriebstätigkeit gehören (…) Vorbereitung von Versicherungsverträgen einschließlich Vertragsvorschlägen (…) Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen (…)“, regelt § 1a VVG.

Unabhängig davon, dass die VN gar keine Willenserklärung zur Freistellung abgegeben hat, wäre u. E. eine angemessene Aufklärung der anfragenden Kundin durch Victoria Pflicht gewesen. Eine Pannenserie der ERGO, die auch vor der Korrespondenzpflicht nicht Halt machte: „Leider war der Makler unserer Kundin nicht als Korrespondenzmakler hinterlegt. Dies haben wir nun in die Wege geleitet. Wir bitten den Makler unserer Kundin um Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten“, räumt ERGO zwar auch bei der Beachtung der mitgeteilten Postempfangsvollmacht Fehler ein, allerdings ohne mit Blick auf den im Feuer stehenden Vertrag die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Zuletzt teilt ERGO uns mit, sich „in dieser Sache nun nicht mehr weiter äußern“ zu wollen und regt an: „Zur Klärung bzgl. des Fortgangs des Vertragsverhältnisses erscheint mir der direkte Kontakt zur Kundin bzw. ihrem Makler zielführender, die sich selbstverständlich gerne an mich wenden können.“

‚vt‘-Fazit: Den Fehler, den die Selbstständige hier gemacht hat, ist die direkte Kontaktaufnahme mit der ERGO, statt dem mandatierten Versicherungsmakler das Problem vorzulegen und um Unterstützung zu bitten. Doch bei ERGO gibt es eine Aneinanderreihung von Fehlern, beginnend damit, dass die Düsseldorfer ‚vergessen‘ hatten, den Makler als Korrespondenzmakler der Kundin zu hinterlegen.

Eine Bitte um Aufklärung zu temporären Beitragsgestaltungs-Möglichkeiten und entsprechenden Konditionen als Auftrag zur Beitragsfreistellung zu interpretieren, werten wir als Handlung ohne Auftrag. Obendrein keinerlei Aufklärung über Fristen und mögliche Folgen zu liefern, ist für uns ein Verstoß gegen § 1a VVG.

Sollte ERGO bei der nun angebotenen Klärung bzgl. Fortgang des Vertragsverhältnisses nicht zum Ergebnis kommen, dass die Umstände mit eigenen Fehlern für die gewünschte Wiederinkraftsetzung ohne neue Gesundheitserklärung sprechen, dürfte eine BaFin-Beschwerde der Betroffenen nur ein erster Schritt sein. Auch ein oberlandesgerichtliches Urteil könnte noch eine wichtige Rolle spielen. Dazu mehr in einer der kommenden ‚vt‘-Ausgaben.

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