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LV-Provisionsdeckel: BMF zieht hohe Restschuld-Provisionen zur Begründung heran

Zur Erstellung des LVRG-Evaluierungsberichtes hat die BaFin im vierten Quartal 2017 bei Lebensversicherern deren AP-Zahlungen für das Neugeschäft in 2017 abgefragt. Die Erhebungsvorgaben sind aber untauglich, um ein zutreffendes Bild über die Vergütungen der beim LVRG im Fokus stehenden Produkte mit Sparanteil zu liefern. Insbesondere führt eine Tabelle zu Vertriebswegen und Maximalprovisionen zu gravierenden Fehlinterpretationen in Öffentlichkeit und Politik.

Welche Verantwortung BaFin und BMF daran haben, hat ‚versicherungstip‘ entlarvt: Im Rahmen der Abfrage sollten die der BaFin-Aufsicht unterliegenden Lebensversicherer u. a. die Zahlungen an Vermittler zur Vergütung des Vermittlungserfolges und die zugrunde liegende Bruttobeitragssumme melden. Dies unterteilt nach den Vertriebswegen angestellter Außendienst, AO, Mehrfachvermittler sowie Versicherungsmakler, zum einen bezogen auf das Neugeschäft 2017, zum anderen bezogen auf die Situation unmittelbar vor Inkrafttreten des LVRG.

Die Daten gingen dann in den vom BMF am 28.06.2018 veröffentlichten LVRG-Evaluierungsbericht (vgl. ‚vt‘ 27/18) ein und wurden maßgeblich zur Begründung eines LV-Provisionsdeckels im BMF-Referentenentwurf vom 18.04.2019 (vgl. ‚vt‘ 17/19) herangezogen. In der bis heute nicht veröffentlichten Nachfolgeversion des Referentenentwurfs mit Bearbeitungsstand 14.06.2019 (vgl. ‚vt‘ 26/19) wurde zudem eine Tabelle u. a. zu Maximalvergütungen eingefügt.

Erstmals veröffentlicht wurde diese Übersicht in der Antwort der Bundesregierung vom 10.05.2019 (Drucksache 19/10059) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion (vgl. ‚vt‘ 22/19). In der Tabellenkopfzeile sind die o. g. vier Vertriebswege aufgeführt, in der linken Tabellenspalte ‚Minimum‘, ‚Gewichtetes arithmetisches Mittel‘ und ‚Maximum‘. Demnach sind unter Maximum die höchsten je Vertriebsweg gezahlten Abschlussprovisionen aufgeführt.

Das Provisionsmaximum beträgt nach den von der BaFin übermittelten „Angaben“ für  ++ angestellten Außendienst 6,61 %  ++ AO 9,03 %  ++ Mehrfachvermittler 10,76 % und  ++ Versicherungsmakler 7,02 %. In der Begründung des neueren BMF-Entwurfs zum LV-Provisionsdeckel wird erläutert:

„Bei Gegenüberstellung der niedrigsten und höchsten in Rechnung gestellten Provisionen schwanken die Provisionen je nach Vertriebsweg zwischen 0,17 % und 10,76 % der Beitragssumme in der Spitze.“ Doch insbesondere die Maximalwerte haben uns misstrauisch gemacht. Ein AO-Vertrieb, der zusätzlich zu den Zuschüssen noch satte 9,03 % AP erhält? Ein Mehrfachvermittler-Vertrieb, der fast 11 % einsacken soll? Das sind uns jedenfalls unbekannte Provisionshöhen. Daher baten wir die BaFin um Stellungnahme mit einem angesichts der von der Tabelle ausgehenden Aussage höchst überraschenden Ergebnis:

Denn anders als das BMF es darstellt, „schwanken die Provisionen je nach Vertriebsweg“ eben nicht „zwischen 0,17 % und 10,76 % der Beitragssumme in der Spitze“, sondern „bei den genannten Werten handelt es sich um Werte einzelner Versicherungsunternehmen, die sich (…) als Durchschnittswert der Abschlussprovision für den betreffenden Vertriebsweg ergeben haben“, räumt die BaFin auf ‚vt‘-Anfrage ein. Da es sich bei dem Maximalwert von 10,76 % im Vertriebsweg Mehrfachagenten um den Durchschnittswert gezahlter Provisionen eines Versicherers handelt, zahlt dieser Versicherer also auch über dem Durchschnittswert liegende Vergütungen.

Das lässt sich erst recht nicht mit LV-Produkten mit Sparanteil oder biometrischen Produkten wie BU-Versicherung in Einklang bringen. Wir erinnern uns: Laut „Ergebnisbericht zur Marktuntersuchung Restschuldversicherungen“ der BaFin vom 21.06.2017 erhalten 12 Kreditinstitute für die Vermittlung von Restschuldversicherungen (RSV) 50 % der Versicherungsprämie als Provisionshöchstsatz, weitere 12 Kreditinstitute weniger als 50 %, aber sieben Kreditinstitute sogar mehr als 50 % (vgl. ‚vt‘ 11/19). Die hohen Durchschnittswerte je Vertriebsweg lassen sich damit erklären, dass diese je einem Versicherer zuzuschreiben sind, der RSV-Spezialist ist oder zumindest RSV einen relevanten Anteil an dessen Gesamtgeschäft haben.

„In der Datenerhebung zur Evaluierung des LVRG mussten die Versicherungsunternehmen angeben, welche Abschlussprovisionen gemessen an den Bruttobeitragssummen an Versicherungsvermittler aus dem Neugeschäft des Jahres 2017 gezahlt bzw. in Aussicht gestellt wurden“, bestätigt die Aufsicht, dass die Provisionen aller Produkte, also auch RSV, anzugeben waren. Wie ist das nun zu werten? Formal ist der Einbezug der RSV, die von Lebensversicherern angeboten werden, korrekt.

Denn die Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) gilt u. a. für „Lebensversicherungsunternehmen einschließlich der Pensionskassen, mit Ausnahme der Sterbekassen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DeckRV). Damit greift der durch das LVRG von 40 ‰ auf 25 ‰ reduzierte Höchstzillmersatz nach § 4 Abs. 1 DeckRV auch für RSV. Allerdings stand die RSV überhaupt nicht im Fokus des LVRG. Die undifferenzierte Erhebung betrifft zudem nicht nur die RSV.

So hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) bereits in ihrer Stellungnahme zum geplanten LV-Provisionsdeckel an das BMF (vgl. ‚vt‘ 19 und 20/19) kritisiert, dass u. a. auch bAV-Kollektivgeschäft und Risikoprodukte einbezogen wurden. Unter Berücksichtigung der privaten Altersvorsorge gegen laufenden Beitrag berechnete die BFV eine „Vergütungsreduzierung von 10,43 % für Versicherungsmakler und Mehrfachagenten“, während die BaFin nur 7,21 % über alle Produktbereiche ausweist.

Dass BaFin und BMF eine deutlich niedrigere Vergütungsreduzierung durch LVRG in die politische Diskussion einbringen, als sie das LVRG bei den im Fokus stehenden Produkten tatsächlich bewirkte, halten wir für höchst fragwürdig. Dieser Vorgehensweise wird durch die Verbreitung angeblicher Maximalprovisionshöhen die Krone aufgesetzt. Wer trägt hierfür die Verantwortung? Wir fragen im Ministerium nach, ob die BaFin das BMF darüber informiert hat, dass in den Summen für die Zahlungen an Vermittler auch die Provisionen für die RSV enthalten sind.

Doch das BMF gibt keine Stellungnahme ab, da sich unsere Fragen „auf eine Version des Referentenentwurfs“ beziehen, „die nicht veröffentlich worden ist“. Das BMF bestreitet aber nicht, dass ihm in der Version mit Bearbeitungsstand 14.06. die gravierende Fehlinterpretation der Tabellenwerte unterläuft. 

Wir haken mit Verweis auf die namens der Bundesregierung mit Schreiben des BMF übermittelten Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP nach, ob die BaFin bei der Übermittlung der Angaben darauf hingewiesen hat, dass die maximalen Abschlussprovisionen sich (je Vertriebsweg) auf einen einzelnen Versicherer beziehen, dessen Durchschnittswert an gezahlten Abschlussprovisionen dieses Maximum aufweist.

Das will das BMF nicht beantworten, denn „bei den Abstimmungen zwischen BaFin und BMF handelt es sich um interne Vorgänge, zu denen wir uns grundsätzlich nicht äußern“. Wortgleich schreiben BaFin und BMF: „Der BaFin ist im Rahmen der regulären Berichterstattung bekannt, welche Versicherer Restschuldversicherungen in einem wesentlichen Umfang vertreiben. Dies wurde bei Zusammenstellung der Daten berücksichtigt.“ Bekannt ist, dass auch die für die RSV gezahlten Abschlussprovisionen und Beitragssummen gemeldet und somit bei Zusammenstellung der Daten berücksichtigt wurden.

Doch wie hat die BaFin ihr RSV-Wissen darüber hinaus berücksichtigt? Wurde da was rausgerechnet? „Bei der Verwendung für weitere Analysen hat die BaFin diesem Umstand selbstverständlich in angemessener Weise Rechnung getragen“, liefert die BaFin erneut keine konkreten Angaben. Wenn die BaFin einen genauen Überblick zur RSV hat, müsste sie uns eigentlich mitteilen können, welchen Anteil die RSV für die ‚Vertriebswege insgesamt‘ bei der Beitragssumme in Höhe von 104,6 Mrd. € und die AP in Höhe von 3,95 Mrd. €, wie im BMF-Referentenentwurf veröffentlicht, hat – oder was an RSV-Anteil rausgerechnet wurde. Doch dazu liefert uns die BaFin keine Zahlen.

Es ist befremdlich und höchst intransparent, wenn die RSV-Kenntnis „bei Zusammenstellung der Daten berücksichtigt“ wurde, aber konkrete Zahlenangaben verweigert werden. Ein Blick auf die komplexe Ermittlung der Zahlen bei der LVRG-Erhebung verdeutlicht, dass der BaFin ein Rausrechnen der RSV-Anteile nicht möglich ist. So mussten  ++ künftige Zahlungen für Vermittler hochgerechnet  ++ Storno- und Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten dabei berücksichtigt  ++ von den Zahlungen Rückbelastungen abgezogen  ++ das Endergebnis über alle Vermittler je Vertriebsweg summiert und  ++ dies auf einen Barwert abgezinst werden.

Erhalten hat die BaFin den finalen Barwert. Wie soll die BaFin bei so einer Komplexität irgendetwas rausrechnen? Dass kein Abzug der RSV-Anteile stattgefunden hat, bestätigt Fußnote 33 auf Seite 13 des Evaluierungsberichts: „Die Angaben im Text beziehen sich auf die im Jahr 2017 geleisteten Zahlungen an Vermittler insgesamt.“

Nachdem zudem BaFin und BMF einräumen, dass es sich „bei den genannten Minimal- und Maximalwerten in BT-Drucksache 19/10059 um Werte einzelner Versicherungsunternehmen“, handelt, drängt sich die Frage auf: Warum wurde auf die RSV-Hintergründe weder im LVRG-Evaluierungsbericht noch dem BMF-Referentenentwurf, noch in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP hingewiesen?

„Nach hiesiger Auffassung haben wir Ihre Fragen bereits hinreichend beantwortet“, tragen weder BMF noch BaFin zur Aufklärung bei. „Man sieht hier, wie stümperhaft der Finanzminister vorgeht. Hier werden auf einer falschen Datengrundlage die Existenzen vieler Vermittler gefährdet. Schlimm ist aber auch, dass die CDU in der Regierung dies zulässt“, kritisiert der FDP-Finanzexperte MdB Frank Schäffler. Die BaFin hat im Juli 2019 eine Abfrage unter Lebensversicherern zu den Zahlungen an Versicherungsvermittler beim Neugeschäft 2018 gestartet – nun wird die RSV getrennt erhoben (vgl. ‚vt‘ 30/19).

‚vt‘-Fazit: Hat die BaFin das BMF über die erhobenen Vergütungsdaten so schlecht informiert, dass solche Fehlinterpretationen zur vergütungsreduzierenden Wirkung des LVRG und Maximalprovisionen möglich waren? Ministerium und Aufsicht schweigen sich aus. Wenn das SPD-geführte BMF die Daten wissentlich falsch interpretiert hat, um die Notwendigkeit eines LV-Provisionsdeckels vorzugaukeln, wäre das ein politischer Skandal.

Über das Verschweigen wichtiger Informationen zum Eingang der RSV in die LVRG-Evaluierung und vermeintliche Maximalprovisionshöhen, das wie Trickserei aussieht, könnten sich nun Union und FDP Gedanken machen.

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