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Mit einem WISO-Versicherungsberater-Experten zur Falschberatung

In der WISO-Sendung vom 11.11.2019 berichtet das ZDF über ein Mystery-Shopping im Zusammenhang mit Pflegezusatzversicherungen und Versicherungsmaklern. Den zum Maßstab erhobenen Lösungsansatz des WISO-Experten muss man keineswegs teilen. Ungeachtet der bedenklichen Vorgabe, die zwangsweise zur falschen WISO-Schlussfolgerung führt, fordert Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzmarkt beim vzbv, daraufhin die Politik zum Handeln im Sinne eines Provisionsverbots auf.

Doch der Reihe nach: WISO hat einen Experten an Bord, den Versicherungsberater Roland Harstorff. Der hat für die verdeckten Testberatungen einen Fall konstruiert. Die 66jährige Marita soll sich zu Pflegezusatzversicherungen beraten lassen. Die Beispielrechnung sieht so aus: Ein Pflegeheim kostet in Hamburg bei Pflegegrad 5 ca. 4.000 € monatlich. Da die gesetzliche Pflegversicherung 2.005 € beisteuert und Marita auf eine Rente von 1.200 € zurückgreifen kann, resultiert eine Deckungslücke von rund 800 €. Erfreulich für die Testperson ist, dass sie eine Wohnung besitzt, die auf 300.000 € taxiert wird.

Das dürfte die Deckungslücke „für vermutlich 30 Jahre“ stopfen, heißt es im Bericht. Marita sucht sich also im Internet Versicherungsmakler und marschiert los. Der WISO-Experte erwartet, dass ein Versicherungsmakler erkennt, „ob jemand eine Versicherung benötigt oder nicht“. Da hat er recht. Aber die Auffassung des WISO-Experten zur richtigen Handhabung des Testfalls ist nicht frei von Kritik. Es wurde ein Fall konstruiert, „wo eine Versicherung zwar bezahlt werden kann, aber sie nicht benötigt wird“, erläutert er.

Kommen wir direkt zu der vom WISO-Experten behaupteten fehlenden Notwendigkeit einer Absicherung und damit zur Beratung des ersten getesteten Versicherungsvermittlers. Der Vermittler „geht strukturiert vor, fragt erst mal nach der Rente“, berichtet WISO. „Dann haben wir mathematisch immer noch eine Lücke von 800 €“, analysiert der Vermittler und konstatiert: „Wenn Sie die nicht aus eigenem Vermögen bezahlen können, dann haben Sie natürlich zum Glück Kinder.“

Doch die 66 Jahre alte Marita kontert: „Nee, bei meiner Tochter ist definitiv nichts zu holen.“ Aber Marita hat ja nicht nur eine Tochter, sondern auch eine Wohnung, wie sie nun dem Vermittler, der eine Pflegetagegeldversicherung empfiehlt, erklärt. Nach der WISO-Modellrechnung könnten 300.000 € für die Wohnung erlöst werden. Für den WISO-Experten lautet die einzig richtige Lösung, dass Marita keine Versicherung benötigt, weil sie die Deckungslücke durch Vermögen stopfen kann. Das hätte der Makler so erkennen und sagen müssen. Unser Blickfeld ist da etwas weiter geöffnet:

Marita hat eine Tochter, bei der nix zu holen ist. Aber dem WISO-Experten ist es keine Überlegung wert, dass der womöglich bedürftigen Tochter die Wohnung vererbt wird? Wir halten dagegen: Wenn mit rund 65 € Monatsprämie eine Deckungslücke von 800 € monatlich geschlossen werden kann, womit dann ein Vermögensschutz einhergeht, dann ist das eine richtige Beratungsempfehlung – was der Kundin dann wichtiger ist, muss sie abwägen.

Schließt Marita eine Versicherung ab, die im Leistungsfall beitragsfrei ist, und wird Sie nach 10 Jahren pflegebedürftig, sind Beiträge in Höhe von 7.800 € angefallen, die sie später nicht mehr vererben kann. Hat sie keine Versicherung und die Deckungslücke von 800 € schlägt zu, so dass die Wohnung verkauft wird, und wir bleiben mal bei den von WISO genannten 30 Jahren, von denen Marita 20 Jahre lang Pflegefall ist, werden 192.000 € des Verkaufserlöses aufgezehrt, die die Tochter, bei der „nichts zu holen“ ist, nicht mehr erben kann.

Im Fall von Marita kann man zur Auffassung gelangen, dass eine Pflegetagegeldversicherung nicht notwendig ist, weil sie Vermögen hat. Dies als einzig richtige Lösung darzustellen, halten wir für falsch. Auf die Absicherungsmöglichkeit nicht hinzuweisen, könnte als Beratungsfehler ausgelegt werden. Ist die mit der Pflegetagegeldversicherung mögliche Sicherstellung, dass die finanziell schlecht gestellte Tochter das Vermögen/die Wohnung erbt, aus Sicht der WISO-Redaktion eine Falschberatung, und wenn ja, warum?

Diese Frage haben wir dem ZDF vorgelegt, das dazu aber keine Stellungnahme abgegeben hat. Da es im Beitrag zum ersten Vermittler heißt, der sei „ein Versicherungsmakler einer größeren Agentur mit Standorten in ganz Deutschland“, und Agenturen üblicherweise auf einen Vertreter schließen lassen, haben wir beim ZDF nachgefragt, ob es sich bei dem getesteten Vermittler tatsächlich um einen Versicherungsmakler oder um einen Vertreter handelt.

Zudem wollten wir u. a. wissen, wie viele Versicherungsvermittler insgesamt getestet wurden, ob die Auswahl der getesteten Vermittler repräsentativ ist und ob bei allen getesteten Vermittlern der Status im Register überprüft wurde. Die Mainzer antworten pauschal:

„Der WISO-Trick bildet eine Stichprobe ab und stellt deren Ergebnisse möglichst repräsentativ dar. Eine Stichprobe erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt eine Kundenerfahrung dar. Im Beitrag wird darauf explizit hingewiesen. Die Auswahl der Stationen im Beitrag erfolgt zufällig, aber nicht wahllos. Zu einzelnen Maklern geben wir keine weiteren Informationen, weil in diesem Format bewusst keine Informationen zur Identifizierung einzelner Personen transportiert werden. Denn es geht gerade nicht darum, einzelne Branchen und Personen in den Fokus zu nehmen, sondern den Kunden für spezielle Situationen Handlungsempfehlungen zu geben und sie zu sensibilisieren.“

Mit Blick darauf, dass der Vermögensschutz für den WISO-Experten keine Rolle spielt, ist das mit der Handlungsempfehlung so eine Sache. Den sogenannten Verbraucherschützern kommt aber das zwangsweise falsche WISO-Ergebnis wieder einmal gerade recht. Dorothea Mohn verkündet auf dem Kurznachrichtendienst Twitter:

„ZDF-WISO vom 11.11. zeigt das Ergebnis eines verdeckten Maklertests. Hierin wird zum 100. Mal belegt, dass Provisionen Falschberatung bedingen. Wann reagiert die Politik darauf endlich?“ Mit ihrer indirekten Provisionsverbots-Forderung triggert sie auch BMF und BMJV an. ‚vt‘ hat auf Twitter u. a. die Ministerien auf den Fehler des WISO-Experten und die falschen Schlussfolgerungen der vzbv hingewiesen.

Das ZDF haben wir gefragt, ob die WISO-Redaktion die (von Frau Mohn verbreitete) Auffassung teilt, dass mit dem Test „zum 100. Mal belegt“ wird, „dass Provisionen Falschberatung bedingen“? Diese Auslegung unterstützt das ZDF aber nicht: „Der zitierte Kommentar auf Twitter stammt nicht von der WISO-Redaktion.“ 

‚vt‘-Fazit: ++ Die Lösung des WISO-Experten als einzig richtige Beratung darzustellen, ist katastrophal. Wer der nicht folgt, macht quasi Falschberatung, weil er provisionsorientiert und nicht im Sinne des Kunden berät. Dabei zeugt gerade der Beratungsansatz des WISO-Versicherungsberaters von einem sehr eingeschränkten Blickfeld: Die Seniorin hat eine finanziell schlecht situierte Tochter. Dem WISO-Experten ist das egal Vermögensschutz, damit die womöglich bedürftige Tochter etwas erbt, spielt bei ihm keine Rolle. Das kann einen Versicherungsmakler geradewegs in die Haftungsfalle führen.

++ Mit diesem fehlerhaften WISO-Beitrag ein Provisionsverbot zu fordern, ist wohl der ideologischen Überzeugung geschuldet. Die fehlerhafte Lösung des WISO-Experten taugt nicht, um die Beratung und Vermittlung gegen Provision als schlecht zu entlarven, sie zeigt vielmehr: Honorar schützt nicht vor einer Falschberatung. Entscheidend ist die Qualifikation und Qualität der Berater, nicht die Art der Vergütung.

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