vt – Aktuelle Themen

Offizieller LV-Provisionsrichtwert und Rundschreiben sind bei der BaFin vom Tisch

Vor wenigen Wochen informierten wir Sie, dass nach unserer Beobachtung die BaFin im Umgang mit dem Begriff ‚Provisionsrichtwert‘ sehr zurückhaltend geworden ist („LV-Provisionsrichtwert taucht im öffentlichen BaFin-Wortschatz nicht mehr auf“; vgl. ‚vt‘ 39/22). Nun steht fest: Einen LV-Provisionsrichtwert (und erst recht einen LV-Provisionsdeckel) wird es nicht geben, ebenso kein scharfes Rundschreiben!

Das lässt sich den Äußerungen der BaFin bei einer aktuellen Tagung entnehmen: Am 13.10.2022 führte die Deutsche Versicherungsakademie (DVA) eine Tagung mit Vorträgen über die Auswirkungen der aktuellen nationalen und europäischen Regulierung mit Folgen für den Vertrieb von Versicherungsprodukten durch. Von den meisten Teilnehmern wohl mit großer Spannung erwartet wurde der Vortrag eines BaFin-Mitarbeiters zum Thema „BaFin-Rundschreiben zur Wohlverhaltensaufsicht und Lebensversicherung“.

So jedenfalls das ursprüngliche Thema, final ging es dann um die „BaFin Wohlverhaltensaufsicht in der Lebensversicherung“. Wie ‚vt‘ aus Teilnehmerkreisen erfuhr, betonte BaFin-Referatsleiter Dieter Feldmann, dass die Aufsicht keinen „Angriff auf den provisionsbasierten Vertrieb“ vorhabe. Vielmehr sollen ‚Ausreißer‘ eingefangen werden. Es werde keinen Provisionsrichtwert und erst recht keinen Provisionsdeckel geben. Zudem will die BaFin ihre Erwartungshaltung nicht in einem Rundschreiben zementieren, sondern in einem Merkblatt als Selbstbindung der Verwaltung.

Mit einem Merkblatt veröffentlicht die BaFin ihre Verwaltungspraxis oder Norminterpretation bzw. Gesetzesauslegung zu bestimmten Einzelfragen. Ein konkretes Merkblatt stellte der Referent nicht vor, denn es liege zurzeit zur Abstimmung beim Bundesfinanzministerium. Das Ergebnis bleibt unklar. Käme ein Merkblatt, dann solle ein Konsultationsverfahren durchgeführt werden.

Damit ist die BaFin inzwischen weit weggerückt von den ursprünglichen Planungen eines LV-Provisionsrichtwertes (vgl. ‚vt‘ 20/22). Das wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) begrüßt, Koordinator Erwin Hausen dazu: „Keinen Provisionsrichtwert einzuführen, ist gut für Versicherungsmakler, da diese keine weiteren Zuwendungen der Versicherer, sondern ausschließlich Courtage erhalten und mit einer Provisionsbegrenzung massiv benachteiligt würden. Die Abkehr vom Richtwert ist daher auch gut für Verbraucher, die somit weiterhin auf das qualifizierte Beratungs- und Vermittlungsangebot der unabhängigen Versicherungsmakler zugreifen können.“

Die aktuelle Entwicklung dürfte nicht zuletzt auch an der klaren marktwirtschaftlichen Haltung der FDP liegen, die das BMF führt. Ohnehin vertreten wir die Auffassung, dass es alles andere als einfach sein dürfte, „einen Provisionsrichtwert so auszugestalten, dass er eine starke Wirksamkeit entfaltet und zugleich keinen schwerwiegenden Markteingriff darstellt, der dem Parlamentsvorbehalt unterliegt“ (vgl. ‚vt‘ 34/22).

Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand Bundesverband Finanzdienstleistung AfW, sagt: „Erst Provisionsdeckel, dann Provisionsrichtwert. Raider wurde zu Twix - und jetzt ist es nix. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn es ist schon etwas, nämlich eine richtige Entscheidung, dieses Vorhaben ad acta zu legen. Mit dem § 48a Versicherungsaufsichtsgesetz hat die BaFin schon lange ein scharfes Schwert in der Hand, um gegen Vergütungsregelungen vorzugehen, die dem Kundeninteresse wiedersprechen. Und diese Möglichkeit kann sie auch nutzen, ohne eventuell die durch das Grundgesetz garantierte Gewaltenteilung auszuhebeln und sich als Ersatzgesetzgeber zu gerieren.“

Die BaFin hat also Abstand von einem LV-Provisionsrichtwert genommen, doch was will sie? Hierzu stellte der Referent Kennzahlen-Überlegungen der Aufsicht vor. Dabei sollen u. a. Neugeschäft und Storno, Abschluss- und Verwaltungskosten, die Aufwendungen für Versicherungsvermittler und Effektivkosten eine Rolle spielen. Aber auch hier dürfte es unterschiedliche Sichtweisen der Branche zu jenen der Aufsicht geben, bspw. welche Aussagekraft die Stornierung eines Vertrages vor dem vereinbarten Ablauf hat.

Auf mangelnde Produktqualität oder fehlerhafte Festlegung des Zielmarktes oder dessen Nichtbeachtung bei der Vermittlung lässt Spätstorno jedenfalls in der Regel nicht schließen. Da muss man nur an die möglichen Folgen einer längeren hohen Inflation denken, wirtschaftliche Schwierigkeiten bei Unternehmen, Arbeitsplatzverlust etc. Wenn VN trotz Beitragsstundungen eine Police nicht mehr bedienen können oder sogar Geld benötigen, haben Vertragskündigungen nichts mit der Vermittler- oder Produktqualität zu tun.

„Die unnötige Diskussion über einen Provisionsrichtwert wurde von der BaFin entgegen dem klaren Votum des Bundesfinanzministeriums auch nach der Bundestagswahl fortgeführt. Dass sich hier ein Ende abzeichnet, ist begrüßenswert. Die nun von der BaFin angekündigten Bewertungskriterien zur Beurteilung der Vermittlungsqualität gilt es dennoch weiterhin kritisch zu prüfen. Stornierung auf Grund finanzieller Belastung der Bürger durch Inflation, Zins und steigende Energiekosten sind kein geeigneter Gradmesser für die Bewertung der Vermittlungsqualität in den zurückliegenden Jahren“, gibt Martin Klein, Geschäftsführender Vorstand, VOTUM Verband, zu bedenken.

Die BaFin will sich auch verstärkt dem Thema Rückvergütungen (RV) bei fondsgebundenen Produkten widmen, speziell unter dem Aspekt Fehlanreize. Die Erwartungshaltung der BaFin laute, dass der Versicherer Bescheid wissen müsse, sollten Vermittler von einer KVG Rückvergütungen erhalten. Doch wie soll ein Versicherer Bescheid wissen, wenn er nicht eingebunden ist? Soll er alle Vermittler zu jeder KVG abfragen? Das ist u. E. speziell im unabhängigen Vertrieb eine zum einen überflüssige und insbesondere schwierig zu erfüllende Erwartung.

Denn KVGen sehen normalerweise nur das vom Versicherer eingereichte Gesamtkaufvolumen für einen Fonds, nicht aber, welcher Vermittler welchen Anteil daran hat. Daher kann die KVG unbekannten Vermittlern auch nichts auskehren. Da macht es keinen Sinn, wenn alle Versicherer ihre reversierten Versicherungsmakler anschreiben und sich bestätigen lassen, dass diese keine RV erhalten.

Ein immenser Aufwand für den Versicherer, besonders wenn die Bestätigung nachgehalten werden muss, und eine ärgerliche Zusatzbelastung für Versicherungsmakler, die dann von diversen Versicherern solche Schreiben bekommen und beantworten sollen. Da wäre eine Lösung gefordert, die der Praxis Rechnung trägt und den Aufwand bei Vermittlern wie Versicherern – die sollen ja u. a. auf niedrige Verwaltungskosten achten – gering hält.

‚vt‘-Fazit: Ungeachtet der bei EU-Kommission und EIOPA für die Branche kritischen vorhandenen Sichtweisen ist es gut, dass die deutsche Aufsicht keinen Angriff auf die provisionsbasierte Beratung und Vermittlung startet. Gut für Verbraucher und Vermittler. Abzuwarten bleibt, welche Kennzahlen die BaFin veröffentlicht, wie diese definiert sind und welche Verbindlichkeit dann möglicherweise doch resultiert.

Sollte ein Merkblatt veröffentlicht und eine Konsultation dazu stattfinden, werden wir dies mit konstruktiven Vorschlägen im Interesse der Verbraucher und Versicherungsmakler begleiten. Grundsätzlich sehen wir nach wie vor als die richtige Aufsichtsbefugnis: Sollte es bei einzelnen Versicherern zu exzessiv hohen Vergütungen kommen, könnte und sollte die BaFin im Rahmen der Missstandsaufsicht nach § 48a VAG tätig werden.

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