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Wie der Lösungsansatz der Versicherungswirtschaft beim BSV-Dilemma aussieht

Am Freitagnachmittag hat das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (StMWi) im Zusammenhang mit der umstrittenen Frage zur Leistungspflicht der Betriebsschließungsversicherer eine auf Gaststätten und Hotels gemünzte Empfehlung veröffentlicht. „Die gemeinsame Empfehlung sieht vor, dass die Versicherer zwischen 10 und 15 % der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten und Hotels auszahlen.“ Das soll für maximal 30 Tage gelten.

Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bezeichnet das Ergebnis als eine „aus Sicht aller Beteiligten tragfähige und vernünftige Lösung für beide Branchen“. Beteiligte an der Lösungsfindung waren u. a. der Hotel- und Gaststätten-Landesverband DEHOGA Bayern und auf Seiten der Versicherer Allianz, Haftpflichtkasse und VKB. Aufgesprungen auf diese ‚Empfehlung‘ sind (bis Redaktionsschluss) Nürnberger, Zurich, Gothaer und Signal Iduna.

Wie erste Versicherer verkünden, soll dieses Angebot bundesweit und auch versicherten Betrieben anderer Branchen unterbreitet werden. Die Versicherer beziehen sich hier regelmäßig auf 15 % der versicherten Summe. Die Höhe ist laut bayerischem Staatsministerium „unter Berücksichtigung der statistischen Durchschnittswerte für die Zusammensetzung der Betriebsaufwände im Hotel- und Gaststättengewerbe“ berechnet worden.

Der wirtschaftliche Schaden „reduziert sich durch zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen aus Bund und Land sowie durch die ersparten Aufwendungen (zum Beispiel für Materialkosten) … im Durchschnitt um rund 70 %“. Zu Reduzierung der „verbleibenden Einbußen (ca. 30 %)“ tragen die Versicherer nun mit 15 % der versicherten Tagessätze bei. Diese Zahlungen werden nicht auf die staatliche Unterstützung angerechnet.

Sind die 15 % viel oder wenig? Sollte das Angebot angenommen werden oder nicht? Pauschal wird es darauf keine Antwort geben, das hängt von den verschiedenen individuellen Umständen und AVB – Auffassungen einiger Rechtsexperten hatten wir Ihnen in den beiden letzten ‚vt‘-Ausgaben geliefert (vgl. ‚vt‘ 13 und 14/20) ab, u. a.:

++ Staatliche Entschädigungen dürften häufig auf die Tagessätze anzurechnen sein. Jedenfalls findet sich in vielen AVB Regelungen wie: „Ein Anspruch auf Entschädigung besteht insoweit nicht, als Schadensersatz auf Grund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden kann (z.B. nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes …)“ 

++ Ist die zeitnahe Liquidität durch sichere 15 % hilfreicher als die Hoffnung auf die volle Versicherungssumme – abzüglich der staatlichen Hilfen – nach langjährigen Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang?  ++ Sind in dem Vertrag 30 oder 60 Tage versichert?  ++ Ist der Betrieb vollständig geschlossen worden oder darf er noch Teilleistungen wie Liefer- und/oder Abholservice erbringen? 

++ Wenn die Reduzierung des wirtschaftlichen Schadens durch staatliche Maßnahmen im Durchschnitt bei 70 % liegt, gibt es naturgemäß Betriebe, die darüber und darunter liegen.

Wir haben uns an den bayerischen Wirtschaftsminister gewandt mit dem Hinweis auf Rechtsauffassungen, wonach die Schließungen nach § 16 IfSG Entschädigungsansprüche nach § 65 IfSG auslösen.

Von Hubert Aiwanger wollten wir wissen, ob  ++ die von der Schließung betroffenen Unternehmen eine Entschädigung nach § 65 IfSG erhalten und  ++ dabei die Soforthilfen von Bund und Länder angerechnet werden. „Die Frage inwieweit Entschädigungsansprüche nach dem IfSG bestehen fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des StMWi, sondern in den des Gesundheitsministeriums“, teilen uns die Münchner mit.

Dieser spannenden Frage gehen wir für Sie und Ihre Mandanten nach. Wir haben auch Guido Zöllick, Präsident DEHOGA Bundesverband, befragt, wie dieser die vom bayerischen Landesverband mit ausgehandelte und unterzeichnete Empfehlung bewertet und ob der Bundesverband eine vergleichbare (bundesweit) geltende Empfehlung anstrebt.

Die Antworten des DEHOGA: ++ „Der DEHOGA Bundesverband, wie auch alle anderen Landesverbände im DEHOGA Bundesverband, waren über den Inhalt der Initiative im Vorfeld der Unterzeichnung durch oben genannte Partner nicht informiert.“  ++ „Jeder Gastronom oder Hotelier kann frei entscheiden, ob er dies annimmt oder nicht. Dieses Angebot ist eine Option, mehr nicht.“  ++ „Jeder ist jetzt gut beraten, sorgfältig zu rechnen und bei akuten Liquiditätsengpässen die zeitlichen Komponenten zu berücksichtigen.“

Es gibt auch erste Reaktionen der Vermittlerverbände: „Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Dr. Hans-Georg Jenssen, Vorstand Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), und erläutert auf ‚vt‘-Anfrage, ob und wie tragfähig dieser Kompromiss ist, hänge davon ab, „ob sich eine Vielzahl oder alle Versicherer anschließen und ob sich die Prämissen – durchschnittlich 70 % Entlastungswirkung durch u. a. staatliche Maßnahmen – als realistisch erweisen.

Sollte z. B. die Entlastungswirkung nur 30 % betragen, sind 15 % auf die verbleibenden 70 % sicherlich als Kompromiss nicht überzeugend“. „Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW begrüßt das Bemühen einer lösungsorientierten Haltung der beteiligten Versicherer“, heißt es seitens des AfW.

„Wir erkennen an, dass es sich bei der Corona-Pandemie um ein extremes Ereignis handelt, das mit den üblichen, kritischen Diskussionen und Maßstäben über das Regulierungsverhalten der Versicherer nicht hinreichend gewürdigt wird. Wir drücken unsere Hoffnung aus, dass die gefundene Lösung tatsächlich bundesweit und branchenübergreifend Akzeptanz findet“, so Vorstand Norman Wirth.

‚vt‘-Fazit: ++ Beachten Sie, dass verschiedene Versicherer das Coronavirus als Versicherungsfall-Auslöser anerkennen, wenn die intrinsische Betroffenheit gegeben ist, also wenn die Schließung auf Grund eines im Betrieb vorliegenden konkreten Infektionsfalles angeordnet wurde. Da bedarf es nicht der ‚15 %-Empfehlung‘ 

++ Der DEHOGA Bayern hat die Empfehlung mit ausgehandelt und unterzeichnet. Der Verband wird ausschließlich die Interessen seiner Mitglieder vertreten haben und scheint mit der Empfehlung zur Leistungshöhe zufrieden. Die Antwort des DEHOGA Bundesverbandes liest sich kritischer 

++ Großer Vorteil der ‚Empfehlung‘ ist, dass die 15 % schnell fließen dürften 

++ Informieren Sie Ihre betroffenen Kunden über diese Empfehlung. Abwägen und Rechnen sind wichtig. Wer sich auf Basis ‚seiner‘ AVB gute Chancen vor Gericht ausrechnet: Der Klageweg steht weiterhin offen, wenn die 15 % nicht angenommen werden.

 

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