In einer Rede Ende letzter Woche hat die EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness die 'Bombe platzen lassen bzw. entschärft' und angekündigt, dass die EU-Kommission bis auf weiteres kein generelles Provisionsverbot plant. Einzelheiten gibt es allerdings erst bei der auf den 24.05.2023 verschobenen Präsentation einer sog. EU-Kleinanlegerstrategie ("Retail Investment Strategy"). Die McGuinness-Rede enthält jedoch bereits einige Fingerzeige, wohin die Reise in der EU beim Provisionsverbot geht – und mit welchen Selbst-Widersprüchen die Kommission offenbar noch ringt.
Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Reaktionen u. a. in den Wirtschaftsmedien: Dort herrscht in den letzten Tagen teilweise die Auslegung vor, dass die allmächtige 'Bankenlobby' wieder mal gesiegt habe (z. B. in der SZ: "Provisionsverbot. Die Bankenlobby hat gesiegt"). Dass die EU-Kommission auch inhaltliche Erwägungen angestellt haben könnte, scheint das Vorstellungsvermögen von so manchem zu übersteigen. Denn immerhin ist die Studienlage – auch die Erkenntnisse, die die EU-Kommission selbst sammelte, – inzwischen eine ganz andere als vor ca. zehn Jahren bei Einführung des sog. Provisionsverbots in den Niederlanden und Großbritannien. Das ficht aber vor allem Verbraucherschützer nicht an: Dort interpretiert man offenbar Verbraucherschutz in dieser Frage vor allem damit, nicht dazulernen zu wollen: "Finanzprodukte werden verkauft. In Verkaufsgesprächen sprechen Verkäufer nicht über Nachteile und Kosten ihrer Produkte, sie verstecken diese Informationen im Kleingedruckten", so die VZ Baden-Württemberg in einer aktuellen Stellungnahme in der altbekannten Holzhammer-Rhetorik, als hätte in den letzten zehn Jahren die Zeit stillgestanden. Die Fraktion der Sozialisten und Sozialdemokraten im EU-Parlament fordert als Reaktion auf die McGuinness-Rede trotzig "ein Totalverbot einseitiger Finanzberatung – die guten Absichten der Kommission reichen nicht aus" ("S&Ds urge a full ban on biased financial advice, Commission's good intentions not enough"). So wird aber weiter Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, indem man jede Grauzone zwischen 'guter' Honorarberatung und böser 'Provisionsberatung' leugnet.
Die Faktenlage, auf der die EU-Kommission entschieden hat, spricht aber recht eindeutig gegen ein Provisionsverbot und hat wenig mit Lobbyeinfluss zu tun: ++ Der Markt für Finanzberatung in Europa ist heterogen. Es dominiert die Provisionsberatung. Die Nachfrage nach Honorarberatung ist überschaubar. Trotzdem gibt es z. B. in Deutschland ausreichend Nettotarife und Honorarberatungs-Angebote. Diese Fakten ergeben sich bspw. aus den Studien 'EU-Retail 2018', 'IfA 2021', 'Kantar 22/23' (vgl. 'k-mi' 29/18, 14/21, 10/23). So stellt sich erst mal die ganz grundsätzliche politische Frage, warum hier der Schwanz mit dem Hund wedeln und ganz Europa – völlig am Bedarf und nationalen Marktstrukturen vorbei – zwangsweise auf das Modell 'Niederlande' umgestellt werden sollte? ++ Zumal die Erfahrungen aus UK und NL doch sehr ambivalent sind: Zumindest für Kleinanleger – das hat die Kantar-Studie der EU sowie die jüngste Studie des IfA erneut bestätigt ('k-mi' 10/23, 17/23) – wird der Zugang zu Beratung durch Provisionsverbote zunehmend schwer bis unmöglich bzw. teurer. Auch für England ist dies nicht mehr von der Hand zu weisen (vgl. 'k-mi' 32/19, 32/20, 21/21, 34/21).
++ Auch die gängige Rede der Provisionsverbots-Befürworter von 'abhängiger' bzw. 'biased financial advice' vs. 'unabhängiger' bzw. Honorarberatung ist praxisfremd: Auch im Rahmen der Honorarberatung gibt es Interessenkonflikte. Nicht nur die jüngste IfA-Studie weist darauf hin ('k-mi' 17/23), sondern auch eine aktuelle Studie des cep Centrum für Europäische Politik/Freiburg und Berlin. Im Auftrag der MLP hat das cep Mitte März die Studie "Provisionsverbote in Finanzdienstleistungsmärkten. Überblick über Evidenz und Argumente für die aktuelle Debatte in der EU" vorgelegt. Auch die Honorarberatung, die häufig als vorzugswürdigeres Vertriebsmodell deklariert wird, so das cep, habe ihre Fallstricke in Form von Interessenkonflikten eines Honorarberaters: "Da er jedoch mit dem Beratungsangebot an sich seine Einnahmen erzielt, hat er ggf. den Anreiz gehäuft bzw. in regelmäßigen Abständen Beratungsleistungen gegenüber seinen Kunden erbringen zu wollen. Zweitens sind finanzschwache Kunden ggf. nicht gewillt bzw. nicht fähig ex ante ein Honorar zu zahlen, welches die Kosten des Beraters für eine qualitativ hochwertige Beratung deckt. Ein Provisionsverbot könnte demnach ausgerechnet dort zu einer Verringerung der Beratungsleistung führen, wo diese besonders bedeutsam ist. Ergebnis dessen kann dann sein, dass sich der Berater verstärkt wohlhabenden Kundengruppen zuwendet – wie zumindest in gewissem Ausmaß in Großbritannien und den Niederlanden zu beobachten –, er die Beratungsqualität reduziert, um weiter kostendeckend zu arbeiten oder/und sich diese potenziellen Kundengruppen wiederum anderen Vertriebsmodellen zuwenden, ganz auf eine Beratung verzichten und/oder womöglich von Anlagetätigkeiten absehen“, so das cep.
Wie man sieht, ist also die Faktenlage mehr als ausreichend, um von einem Provisionsverbot abzusehen, ohne Lobby-Verschwörungstheorien zu spinnen! Was hat die EU-Finanzkommissarin McGuinness nun in ihrer Rede in der vergangenen Woche dazu gesagt? Im Kern fasst sie es so zusammen: "Die Mitgliedstaaten, die Verbraucherorganisationen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments, die Vertreter der Industrie – sie alle haben ihre Ansichten sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Ich denke, es besteht Einigkeit darüber, dass es ein Problem gibt – dass der Status quo für Verbraucher nicht optimal ist. Aber die Meinungen darüber, wie dieses Problem angegangen werden soll, gehen weit auseinander. Wir werden dieses Problem nicht über Nacht lösen, aber ich denke, wir sollten trotzdem ehrgeizig sein. Alles in allem haben wir denjenigen zugehört, die uns sagen, dass ein vollständiges Verbot von Anreizen zum jetzigen Zeitpunkt zu disruptiv sein könnte. Aber wir hören auch auf diejenigen, die uns sagen, dass die Verbraucher nicht die beste Beratung für ihre Bedürfnisse und zu einem fairen Preis erhalten." An anderer Stelle ihrer Rede betont die Finanzkommissarin: "Ich denke, wir müssen uns alle darüber im klaren sein, dass es sich hier um Kleinanleger handelt – wir sollten weder von ihnen noch von uns erwarten, dass sie Experten für Finanzdienstleistungen sind.“ Nun kommt es aber darauf an, dass man hieraus die richtigen Schlussfolgerungen zieht und sich der Zielkonflikte bewusst ist: Gerade Kantar hat aufgezeigt, dass vor allem in den Niederlanden Kleinanleger durch die Bedingungen und Folgen des Provisionsverbots zu 'execution only' gedrängt werden, obwohl sie in der Regel keine qualifizierten Selbstentscheider sind.
Welche Maßnahmen schlägt die EU-Kommission nun vor anstatt eines Provisionsverbots? Hier wird man sich bis zum 24.05.2023 gedulden müssen, da die aktuelle Rede ziemlich viele allgemeine Ankündigungen enthält. Die konkreteste Maßnahme betrifft noch das sog. Anreiz-Verbot bei Ausführungsgeschäften: "There should also be a targeted ban on inducements for execution-only transactions. Because it's not right that inducements are paid even when there is no advice relationship at all with a client." Hier muss man dann sehen, wie dieses genau im Kleingedruckten z. B. seitens ESMA ausgestaltet wird, um bspw. die Vertriebskostenanteile bei Fonds-Management-Fees im beratungsfreien Geschäft stärker zu reglementieren und wie letzteres nun genau definiert wird. Wir gehen aber davon aus, dass grundsätzlich eine Anlagevermittlung mit Angemessenheitsprüfung anders behandelt wird als bspw. 'execution-only' mit einer Angemessenheitsprüfung für komplexe Finanzinstrumente.
'k-mi'-Fazit: Im Grunde kann man es auf die knappe Formel bringen: Nicht die Lobby hat auf EU-Ebene gesiegt, sondern die Vernunft! Nun gilt es genau zu beobachten, wie viel Provisionsverbot im Kleingedruckten nun noch an Weichenstellungen ggf. noch in Salami-Technik auf die Branche zukommt, wenn die komplette EU-Retail-Strategie ab Ende Mai vorliegt!
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