Der Mai rückt näher und damit auch der Showdown um einen möglichen Vorschlag der EU-Kommission für ein Provisionsverbot. Wenig überraschend daher: Es gibt mal wieder eine neue Studie, die für ein Provisionsverbot trommelt – diesmal von der Uni Regensburg. In einer Pressemitteilung der Uni vom 05.04.2023 heißt es "Provisionsverbot führt zu signifikanten Vermögenssteigerungen". Im Rahmen der Studie "Die Auswirkungen von Provisionsverboten auf das Vermögen der Haushalte: Erkenntnisse aus OECD-Ländern", hat ein Team rund um Prof. Dr. Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung und Direktor am Center for Finance der Universität Regensburg, die Auswirkungen von Provisionsverboten für Finanzberater auf die Vermögensbildung von privaten Haushalten untersucht. Die Ergebnisse seien "eindeutig", heißt es in der Mitteilung weiter: "Das Vermögen der Haushalte in Ländern mit Provisionsverbot wuchs signifikant stärker als in Ländern ohne Provisionsverbot. Das Forscherteam bemisst den um länderspezifische Effekte bereinigten Renditeunterschied auf 1,7 % p. a. und appelliert an die EU-Kommission, ein allgemeines Verbot von Provisionen bei der Anlageberatung umzusetzen.“
'k-mi' hat sich die Studie angeschaut. Um es vorwegzunehmen: Die experimentellen Schlussfolgerungen des 'Teams' um Prof. Sebastian sind nicht haltbar. Eingangs heißt es in der Studie (Übersetzung durch 'k-mi'): "Unsere Forschung beleuchtet den Zusammenhang zwischen den Portfolioentscheidungen von Haushalten, die ihre jeweiligen Anlageergebnisse beeinflussen, und provisionsbasierten Systemen. Nach unserem besten Wissen ist uns keine akademische Arbeit bekannt, die dies bisher auf länderübergreifender Ebene versucht hat." Hier haben wir uns gewundert, weil die Regensburger Forscher keinen Bezug nehmen auf die jährlichen Berichte der ESMA aus der Serie "ESMA Market Report. Costs and Performance of EU Retail Investment Products". Das sind die verlässlichsten und besten Daten, also genau das, was die Forscher eigentlich brauchen. Statt dessen greifen die Regensburger, vielleicht weil sie die ESMA-Daten gar nicht kennen, auf OECD-Daten zurück, deren Beschaffenheit aber völlig im Dunklen bleibt.
Dadurch entsteht dann auch gleich der erste methodische Datenunfall: Zu ersten Ergebnissen der Studie heißt es: "Abbildung 3 zeigt die durchschnittliche Vermögensentwicklung der Haushalte in Ländern mit Provisionsverboten im Vergleich zu Ländern ohne Provisionsverbot. Die Visualisierung unserer Daten zeigt keinen klaren Trend. Haushalte mit Provisionsverbot verzeichnen eine leicht erhöhte durchschnittliche jährliche Vermögensentwicklung von 5,4 %, während Haushalte ohne Provisionsverbot eine jährliche Vermögensentwicklung von 5,9 % aufweisen. Dies zeigt bereits, dass Länder mit einem Provisionsverbot besser gestellt sein könnten.“ Auch wenn es ggf. nur ein redaktioneller Fehler ist, dass in Regensburg Werte von 5,4 höher sind als 5,9, zeigt es doch, mit welch heißer Nadel diese Studie gestrickt zu sein scheint. Wissenschaftliche Sorgfalt sieht anders aus. Die nächste Merkwürdigkeit in der Studie: Auf S. 10 wird dort eine Grafik zum 'Prozentualen Anteil von Aktien-Investment am gesamten Finanzvermögen der Privathaushalte (2020)' gezeigt. Ausgerechnet Holland und Großbritannien sind hier die Schusslichter! Die Autoren schreiben dazu: "Abbildung 5 zeigt die Unterschiede zwischen den Ländern bei den Aktieninvestitionen. Diese lassen sich zum Teil durch eine unterschiedliche Börsenkultur, aber auch durch unterschiedliche Steuersysteme in den einzelnen Ländern erklären. In unserer Studie konzentrieren wir uns jedoch auf die Rendite des investierten Vermögens und nicht auf die Verteilung des Vermögens. In Ländern mit großzügigeren und stabileren Sozialleistungen, Renten und Krankenversicherungen haben die Haushalte tendenziell ein weniger dringendes Bedürfnis, Vermögen für den Lebenszyklus und aus Vorsichtsgründen als Versicherung gegen ungünstige Einkommens- und Gesundheitsschocks anzuhäufen (Finance and Network, 2013). Dies erklärt zum Beispiel, warum die Haushalte in den Niederlanden den niedrigsten Anteil von Aktien am gesamten Finanzvermögen in der OECD halten."
Ob die Studienautoren gar nicht bemerken, dass sie damit die Gesamtaussage ihrer kompletten Studie widerlegen? Ausgerechnet in den Ländern mit Provisionsverbot (UK und NL) partizipieren die Bürger am wenigsten von Renditen am Aktienmarkt? Und das soll ein Argument für ein Provisionsverbot sein? Endgültig die Ebene wissenschaftlichen Arbeitens verlassen die Autoren dann mit ihrer "Modellrechnung", wonach "Haushalte in Ländern mit Provisionsverbot zwischen 50 % (Sparplan) und 90 % (Einmalanlage) zusätzliches Vermögen über 40 Jahre ansammeln" könnten: "Sparer in Ländern mit Provisionsverbot können je nach Anlagezeitraum mit fast doppelt so hohen Vermögen rechnen als Sparer in Ländern mit Provisionsberatung", so Studienleiter Prof. Sebastian. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Excel-Fingerübung für Berufsschüler, um es flapsig zu sagen: Die Studien-Autoren unterstellen damit, dass sich Investments z. B. in Deutschland mit 5,2 % verzinsen, in Holland aber mit 6,9 %. Durch den über 40 Jahre optisch aufgeblähten Zinseszins-Effekt hätte also ein 100-€-im-Monat-Sparer in Venlo nach 40 Jahren über 80.000 € mehr zur Verfügung als sein Nachbar ein paar Meter weiter hinter der deutschen Grenze! In der 1. Grafik haben wir veranschaulicht, was der Zinseszins-Trick mit der angeblich lebensnahen beratungsfreien Laufzeit über 40 Jahre ausmacht: Der Mehrertrag ist 50 mal höher als nach 10 Jahren! Unbeantwortet bleibt in der Studie zudem die Frage, ob diese Unterschiede Performance-bedingt sein sollen (etwa durch besser laufende Produkte) oder durch geringere Kosten.
Dass eine solche Modellrechnung keinen Praxisbezug hat, erschließt sich wohl jedem außer den Regensburger Forschern: ++ 40 Jahre ein Investment durchhalten und eisern zu besparen mit einer konstanten, zur Reinvestition verfügbaren Nachsteuer-Rendite von 6,9 % p. a. und das ohne Beratung zu Portfolio-Umschichtungen: Das schafft wohl nur ein Mensch: Warren Buffet. Wie sieht nun aber die Realität aus bzw. eine praxisnahe Betrachtung: Laut dem 'ESMA Market Report Costs and Performance of EU Retail Investment Products 2023' vom 30.01.2023 haben z. B. Aktienfonds in Holland gegenüber dem EU-Schnitt eine um 74 Basispunkte geringere Kostenbelastung (66 BP geringer als in Deutschland, siehe nebenstehende Tabelle). Der Abschlag entspricht in etwa den Vertriebskosten, die in den Produkten in Holland nicht enthalten bzw. von der ESMA dort nicht erfasst worden sind. Der Rendite-Spread, der sich dadurch ergibt, ist somit laut den viel präziseren ESMA-Daten viel geringer, als die Regensburger unterstellen. Zudem rechnet die ESMA nur über 10 statt 40 Jahre, was Sinn macht. Somit würde sich zwischen Venlo und Kleve bei diesem Beispiel nur ein theoretischer Vermögensvorteil von ca. 600 € zugunsten Hollands ergeben! Das dürften wohl mindestens die Honorarkosten sein, die ein Anleger in Holland zusätzlich über 10 Jahre für eine Beratung zu tragen hat und der den zwischenzeitlichen Vorteil wieder auffrisst (produktunabhängige Honorarkosten fließen nicht in die ESMA-Statistik ein, vgl. 'k-mi'-Special 23/20). Es läuft also bestenfalls auf ein Nullsummenspiel hinaus. Es sei denn, man unterstellt, in Holland bräuchte man keine Beratung!
Auch Dr. Helge Lach, Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Vermögensberater (BDV), kritisiert gegenüber 'k-mi' diese Mängel an der Studie: "Man fragt sich, auf welchem Niveau Wissenschaft Gutachten verfasst, zumal seit langem evident ist, das Honorare bei Renditeverlusten durch Provision zu berücksichtigen sind. Auch der Verbraucherschutz unterschlägt fortlaufend, dass Honorarberatung Kosten verursacht, die die Rendite schmälern." Dass zudem die Assetallokation in der Studie nicht berücksichtigt werde, sei absurd, so Dr. Lach: "Primär die Aktienkultur und nicht die Provision bestimmt die Rendite privater Vermögen. Gleiches gilt für Unterschiede bei Sparquote und staatlicher Förderung von Altersvorsorge und Vermögensbildung."
'k-mi'-Fazit: Netter Versuch, aber hier handelt es sich mehr um Irreführung als um Wissenschaft: Einen Rendite- bzw. Kostenvorteil von 1,7 % p. a. für Länder mit Provisionsverbot zu unterstellen, ist absurd. Insbesondere ESMA-Statistiken geben das nicht her. Die Uni Regensburg dürfte sich, was die Reputation angeht, und die Verbots-Kampagne, was die Glaubwürdigkeit betrifft, mit dieser 'Studie' ein passables Eigentor geschossen haben. Auch für Akademiker im Elfenbeinturm wäre es letztlich sinnvoller, sich mit Branchen-Praktikern auseinanderzusetzen, als einfach die Sprüche von Verbraucherschützern nachzubeten, die der Materie noch ferner stehen. Die Hoffnung, dass man nach der Kantar-Studie (vgl. 'k-mi' 10/23) wieder zu einem sachlichen Austausch beim Thema 'Provisionsverbot' zurückfindet, ist also wieder in weite Ferne gerückt. Verbraucherschutz-Ideologen setzen weiter auf propagandistische Spielchen und Tricks anstatt auf Sachargumente.