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Provisionsverbot: Vernichtende Evaluierung in Großbritannien!

Vor allem bei Verbraucherschützern gelten Provisionsverbote als Erfolgsmodell. "Provisionsverbot: Europäische Beispiele verdeutlichen Erfolg", behauptete der vzbv noch Anfang 2019 bezogen auf die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Handfeste Belege z. B. für eine Verbesserung des Anlegerschutzes durch ein Provisions-verbot gibt es keine. Im Gegenteil: Eine Studie der EU-Kommission hat im Jahr 2018 u. a. mittels Mystery-Shopping festgestellt, dass z. B. in den Niederlanden Testanleger "systematisch auf die Websites der Institute umgeleitet wurden, wo sie eigenständig im Execution-Only-Modus investieren konnten" (vgl. 'k-mi' 29/18). Diese – für die meisten Normalanleger oft alternativlose – Verlagerung des Anlageverhaltens von der persönlichen Beratung hin zur Selbstentscheidung 'ins Netz' scheint somit eine Folge eines Provisionsverbots zu sein. Denn die EU-Kommission stellte 2018 fest: "Das Verbot von Zuwendungen in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich war ein starker Treiber für Fonds-Supermärkte, Online-Broker und Online-Investmentplattformen von etablierten Anbietern." Das Provisionsverbot entzieht dem Markt aber massiv Beratungskapazität, die durch Online-Angebote und Robo-Advisor-Modelle nur für die wenigsten ersetzt werden kann.

Diese Zweifel am 'Erfolgsmodell Provisionsverbot' haben nun neue Nahrung aus England erfahren: Bereits im Dezember 2020 veröffentlichte die britische Aufsicht FCA den neusten Evaluierungsbericht zur Finanzmarktreform und zum Provisionsverbot in Großbritannien unter dem Titel "Evaluation of the impact of the Retail Distribution Review and the Financial Advice Market Review". Dessen Ergebnisse wurden hier trotz ihrer Brisanz, wohl auch durch die allgegenwärtige Corona-Pandemie, bislang kaum wahrgenommen. Denn die Zahlen und Schlussfolgerungen zeigen, dass das Provisionsverbot endgültig zum Flop gerät! Nachfolgend eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des jüngsten Berichts:

++ Der Markt für Beratung in UK ist wettbewerbsschwach. Es gibt viele hohe Honorare, aber wenig Anreize, günstige Honorare anzubieten  ++ Die Beratungsquote ist von niedrigen 6 % (vgl. 'k-mi' 28/17) lediglich auf enttäuschende 8 % gestiegen  ++ 40 % der Firmen haben formale Mindestanlagegrenzen, beginnend ab 50.000 Pfund. Ca. 10 % der Firmen geben sich nur mit Kunden ab 1 Mio. Pfund ab  ++ Die 60 % der Firmen ohne formale Mindestanlagegrenzen haben jedoch im allgemeinen vergleichbare hohe Kundendepots: "Dies deutet darauf hin, dass der Zugang zu Beratung in der Praxis für Verbraucher mit kleineren Töpfen/Depots eingeschränkt ist", so das verheerende Fazit der FCA  ++ Die Aufsicht gibt dazu auch ein Beispiel: "Beispielsweise kann die Beratung zu einer Rentenübertragung (defined benefit pension transfer) kostenpflichtig sein in einem Bereich von £ 3.500 oder £ 4.500. Wenn die Beratungsgebühr im Verhältnis zum Investitionswert erheblich ist, kann es sein, dass die Beratung zu diesen Kosten nicht im Interesse des Kunden liegt.“  ++ Robo-Advisors, die eigentlich als Wunderwaffe zur Schließung der Beratungslücke in Folge des Provisionsverbots gedacht waren (vgl. 'k-mi' 17/17), sind bislang nur ein Nischen-Thema bzw. es gibt kaum Nachfrage dafür ("remain only a small fraction of the overall market")  ++ Die FCA nennt ebenfalls Daten zur Zahlungsbereitschaft bei Honoraren: "Die Mehrheit möchte weniger als 1 % des Wertes des investierbaren Vermögens zahlen", so die FCA-Studie. "In Pfund und Pence entspricht dies nicht mehr als 100 GBP bei einer Investition von 10.000 GBP, 250 GBP bei einer Investition von 25.000 GBP und 500 GBP bei einer Investition von 50.000 GBP. Die meisten würden erwarten, nicht mehr als 250 GBP zu zahlen, unabhängig vom investierten Betrag." Mit dem sprichwörtlichen britischen Understatement verpackt die FCA dieses vernichtende Urteil zum Provisionsverbot wie folgt: "Diese Antworten zur Zahlungsbereitschaft stimmen nicht mit den auf dem Markt allgemein üblichen Beratergebühren überein."

Die Reaktionen in England waren entsprechend kritisch. Der britische Versicherer-Verband ABI fordert 'eine Reform der Reform': "Da 72 % der Menschen nicht in der Lage sind, für Finanzberatung zu bezahlen, und die Mehrheit der Menschen nur einmalige Beratung wünscht, muss die FCA die Änderungen vorantreiben, die der Beratungs-Markt benötigt. Der gesetzliche Rahmen für Beratung muss angepasst werden, um Kunden in die Lage zu versetzen, eine einfachere und erschwinglichere Beratung zu erhalten, die mehr Hilfe bietet." Der britische 'Financial services professional' und Finanz-Blogger Clive Shelton analysierte den Evaluierungsbericht im Februar 2021 zudem im Hinblick auf den Berater-Markt: "Für alle, die daran interessiert sind, die Massen (nicht nur die wohlhabenden HNW) zum Sparen und Investieren zu ermutigen", so Shelton, sei die Lektüre des Evaluierungsbericht "ein Muss" und "schockierend" zugleich (Übersetzung durch 'k-mi'): "Angesichts der meisten Maßnahmen der FCA in Bezug auf Zugang, Erschwinglichkeit und Qualität des Dienstleistungsspektrums sind diese Schlüsselelemente der Regulierung ein schockierender Misserfolg. Die Umfrage der FCA zeigt, dass Verbesserungen bislang bestenfalls marginal sind. Auf der Nachfrageseite 52 Mio. Erwachsene in Großbritannien. Die Zahl der Verbraucher, die Rat (advice or guidance) erhalten und verschiedene Kanäle nutzen, ist bedauerlich. Nur 8 % (4,1 Mio.) hatten in den letzten 12 Monaten Zugang zu Finanzberatung, während 68 % (36 Mio.) überhaupt keine Beratung (advice or guidance) erhielten." Um auch nur die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung zu erreichen und die FCA-Ambitionen in Bezug auf Verbraucher zu verwirklichen, so der Experte und ehemalige leitende Mitarbeiter der Bank of England Shelton weiter, "müsste jeder derzeitige Finanzberater mindestens 1.000 Erwachsene betreuen und jedes Unternehmen müsste über 50.000 Kunden haben. Um den Wettbewerb zu erhöhen und den Wunsch, Dienstleistungen für einen breiteren Anlegerkreis bereitzustellen, muss man die Anzahl der Berater und Planner erhöhen (…) Die FCA muss darüber nachdenken, was getan werden kann, um diesen Mangel an Fachleuten in der Industrie zu beheben".

Das Provisionsverbot hat den Finanzdienstleistungsmarkt in UK in eine Zwickmühle gesteuert: Durch das Provisionsverbot und die massive Regulierung gibt es viel zu wenige Berater. Laut dem aktuellen Evaluierungsbericht sind es für Retail-Investments ca. 27.500 Financial Adviser in Großbritannien. Weitere knapp 9.000 verteilen sich auf Banken, Investment Manager und Börsen-Makler und Sonstige. Allein die Anzahl der Finanzanlagenvermittler nach § 34f GewO ist in Deutschland höher! Dieses wettbewerbsschwache Umfeld in Großbritannien hat für Verbraucher nachweisbar extrem nachteilige Folgen in Form von hohen Honoraren und geringem Zugang zu Beratung für Normalverdiener. Wie 'k-mi' zuletzt anhand weiterer FCA-Analysen wie z. B. der 'Retail Investments Product Sales Data (PSD)' dokumentierte, ist in Großbritannien die Bera-tungsquote z. B. bei Investmentfonds von 57 % im Jahr 2006 auf 10 % im Jahr 2019 gefallen! (vgl. 'k-mi‘ 32/20). Das Resultat: Großbritannien steht laut ESMA EU-weit bei der 3-Jahres-Performance-Analyse von Aktienfonds, Rentenfonds und Mischfonds aus dem Retail-Segment im Zeitraum 2016–2018 jeweils an hinterster Stelle, teilweise weit abgeschlagen. Bei Mischfonds ziehen sie sogar den EU-weiten Schnitt ins Negative ('k-mi' 16/20). Aber auch das Ziel, umsatzabhängige Vergütungen und damit mögliche Interessenkonflikte durch ein Provisionsverbot zurückzudrängen, ist in England gescheitert: Der Anteil der Honorare am Gesamtumsatz von Beratern sinkt permanent, allein im Jahr 2019 um 14 % gegenüber dem Vorjahr. Mittlerweile führt dies dazu, dass der Anteil der laufenden Servicegebühren bei 70 % liegt, Tendenz steigend. Berater können in Großbritannien also nicht von Honoraren leben, sondern der Markt ist bestimmt von einer 'Honorarberatung light', die für Verbraucher keinen Mehrwert hat (vgl. 'k-mi' 32/20)! 

'k-mi'-Fazit: Ein u. a. durch das Provisionsverbot überregulierter Beratermarkt wird wettbewerbsschwach und erzeugt einen Nachfrage-Überhang. Das bedeutet, dass die verbliebenen Berater sich die Kunden und die Preise aussuchen können. Das Ergebnis eines Provisionsverbots ist, das zeigen die Daten aus England überdeutlich, dass nur noch 'Besserverdienende' eine Beratung erhalten, ohne dass mögliche systemische Interessenkonflikte aus umsatzabhängigen Vergütungen beseitigt werden. Man wählte damit in Großbritannien die denkbar schlechteste Regulierungs-Kombination. Provisionsverbot und auch BaFin-Aufsicht für Finanzanlagenvermittler sind somit eben kein Vorbild für Deutschland, es sei denn, man will bewusst auf eine Beratungslücke zusteuern! Neueste Daten aus Deutschland zu Versicherungsprodukten zeigen zudem, dass trotz eines inzwischen guten Angebots von Nettoprodukten die Nachfrage nach Honorarberatung weiter gering bleibt (vgl. 'k-mi' 14/21). Der aktuelle FCA-Evaluierungsbericht zeigt ebenfalls: Die Träume von einer Schließung der Beratungslücke durch automatisierte Robo-Advice-Angebote für die breite Masse ist ausgeträumt! 

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