Am 21.02.2024 fand im Bundestags-Finanzausschuss eine Anhörung zum geplanten selektiven Verbot von Provisionen für Banken und Versicherungen bei beratungsfreien Anlagen statt. Anlass der Anhörung war ein Antrag der Unions-Fraktion mit dem Titel "Kapitalmarkt für Kleinanleger attraktiver machen" (BT-Drs. 20/9496), der sich gegen ein solches Provisionsverbot für das 'beratungsfreie Geschäft' (vgl. 'k-mi' 21/23) wandte, das die EU-Kommission derzeit plant. Leider lief die Anhörung schon zu Beginn aus dem Ruder, da der Hauptgegenstand des Unions-Antrages – das geplante partielle Provisionsverbot als Kernpunkt der EU-Kleinanlagerstrategie und seine ggf. negativen Folgen für den Zugang von Bürgern zum Kapitalmarkt (vgl. 'k-mi' 04/24) – schnell durch die Frage-Dramaturgie der SPD- und Grünen-Vertreter im Finanzausschuss in den Hintergrund geriet.
So durfte der von den Grünen geladene Sachverständige (SV) Prof. Steffen Sebastian/Uni Regensburg in der Anhörung schon nach 15 Minuten seine höchst umstrittenen Thesen zu den angeblichen Segnungen von allgemeinen Provisionsverboten (vgl. 'k-mi' 16/23) zum besten geben, obwohl dieser Aspekt zu dem Zeitpunkt eigentlich off-topic war: Die Frage eines generellen Provisionsverbots ist momentan gar nicht akut, da die EU-Kommission bewusst davon Abstand nahm. So führte der SV Sebastian auf Frage der Grünen u. a. aus: "Selbst wenn man jetzt, wofür es – nochmal – keine Anzeichen gibt, eine Beratungslücke konstatieren würde für kleine und mittlere Einkommen, dann gibt es immer noch die Gegenthese, dass keine Beratung besser ist als ne schlechte Beratung, und die Ergebnisse, d. h. die Verbesserung der Rendite für alle Anleger unterstützen diese Theorie." Die Renditeverbesserung durch ein Provisionsverbot taxierte der SV für Deutschland auf 100 Mrd. €, pro Jahr versteht sich! Dies seien laut Daten-Jongleur Sebastian 6.000 € pro Haushalt pro Jahr. Aber offenbar weiß der sachverständige Daten-'Experte' noch nicht einmal, wie viele Haushalte es in Deutschland gibt. Laut statista gab es "im Jahr 2022 in Deutschland rund 40,9 Mio. Privathaushalte. Davon waren rund 16,7 Mio. Einpersonenhaushalte und 24,2 Mio. Mehrpersonenhaushalte". Hat Prof Sebastian ggf. fälschlicherweise nur mit den 16,7 Mio. Einpersonenhaushalten gerechnet? Durch einen solchen möglichen Fehler würde sich die offenkundig falsche Angabe von Prof. Sebastian während der Parlamentsanhörung sogar erklären lassen (100 Mrd. € / 16,7 Mio. angebliche Haushalte = 6.000 €?).
Auch der Votum-Verband zerlegt süffisant den Zahlensalat von Prof. Sebastian: "Diese Zahlen von Prof. Sebastian entpuppen sich bei einem Faktencheck schnell als falsch. Bei knapp 41 Mio. Haushalten in Deutschland entlarven sich 6.000 € pro Haushalt bereits eindeutig als Rechenfehler. Bei einer jährlichen Sparsumme von 248 Mrd. € ist ein Provisionsanteil von 40 % (100 Mrd. €) ebenfalls gänzlich unplausibel, zumal leider nicht überwiegend in Anlageprodukten, sondern in Sichteinlagen wie etwa dem berühmten Sparbuch gespart wird", so Votum-GF RA Martin Klein in einem Fakten-Check zu Sebastians Äußerungen während der Anhörung. Damit wird klar, dass diese Zahlen, die Prof. Sebastian zur Unterlegung seiner Kernthesen während der Anhörung vorgebracht hat, nicht die geringste Plausibilität besitzen. Dies gilt u. E. ebenfalls für seine wertenden Aussagen bzw. Meinungsäußerungen während der Anhörung: Sowohl die sog. Kantar-Studie der EU-Kommission als auch die britische Aufsicht FCA stellen klipp und klar fest, dass mit Provisionsverboten eine Beratungslücke einhergeht, z. B. durch Mindestanlageschwellen für Beratung, die Normalverdiener ausgrenzen (vgl. 'k-mi' 10/23: "Beratungslücke in UK und Holland: Und es gibt sie doch!"). Die britische Aufsicht spricht in diesem Zusammengang sogar von einem “Regulierungsversagen”, da britische Verbraucher mangels erschwinglicher Beratung in der Cash- und Inflationsfalle sitzen (vgl. 'k-mi' 29/23).
Doch damit noch nicht genug an Widersprüchen: Denn Prof. Sebastian räumt ein: "Also die Daten(grund)lage ist eben einfach nicht besonders gut, und wenn man wirklich verstehen will, was auf den einzelnen Märkten passiert ist, wer davon genau profitiert und wer vielleicht auch nicht, der braucht einfach bessere Daten." Diese Aussage steht für uns aber im eklatanten Widerspruch zu den sonstigen, angeblich auf genauen Daten basierenden Darstellungen dieses Sachverständigen, dass z. B. Haushalte in Venlo nur durch das Provisionsverbot 6.000 € pro Jahr mehr zu Verfügung haben als Haushalte im nur ein paar Kilometer entfernten Kleve (vgl. 'k-mi' 16/23). Damit aber immer noch nicht genug der Selbstanmaßung dieses Sachverständigen: In der Anhörung kam auch die Studie des BVI zur Sprache, wonach ein Provisionsverbot nicht zu höheren Renditen für Privatanleger führt und sogar verhindert, dass diese sich stärker an den Kapitalmärkten beteiligen (vgl. 'k-mi' 33/23). Von der SPD-MdB Frauke Heiligenstadt aufgefordert, sich zu der BVI-Studie zu äußern, verstieg sich Sebastian zu der Aussage, die Studie des BVI zeichne sich durch eine "sehr selektive Datenauswahl" aus und sei in "wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar".
Selbstverständlich wollte der BVI dies nicht auf sich sitzen lassen und wies die Anschuldigungen des Regensburger Professors im Nachgang zurück: "Anders als Professor Sebastian legen wir sowohl unser Studienkonzept als auch die Daten umfassend offen und stellen uns dem wissenschaftlichen Diskurs. Fragen von Professor Sebastian zu unseren Annahmen und der Methodik haben wir bereits im Oktober 2023 ausführlich schriftlich beantwortet. Eine Reaktion, Rückfragen oder kritische Anmerkungen dazu erfolgten nicht. Die Studienergebnisse von Professor Sebastian sind nicht nachvollziehbar. Seit April vergangenen Jahres bemühen wir uns um einen konstruktiven Austausch mit ihm, um seine Ergebnisse überprüfen zu können. Unserer mehrfachen Bitte um Zugang zur Datenbasis seiner Studie hat er trotz gemachter Zusagen bis heute nicht entsprochen. Auch Fragen zur Methodik blieben unbeantwortet." Auch 'k-mi' hatte die Vorgehensweise, Methodik und Schlussfolgerungen von Prof. Sebastian bereits eingehend kritisiert, hinterfragt und widerlegt (vgl. 'k-mi'-Sp 17/23 und Sp 18/23).
Wenn Sie aber noch Lust haben auf weitere Nebelgranaten von Provisionsverbots-Befürwortern, dann hätten wir noch etwas für Sie: Bryan Coughlan vom Europäischen Verbraucherverband BEUC führte zum Value-for-money-Konzept der EU u. a. aus: "Wir brauchen das Value-for-money-System, um ein Mindestmaß an Produktqualität sicherstellen zu können, das wir derzeit in Deutschland und Europa nicht beobachten können." Als Beispiel für ein "Versagen des Marktes" bezeichnete Coughlan "25 % höhere Kosten für Verbraucheranlageprodukte als für Industrie-Äquivalente". Dies sei "nicht vereinbar mit der Prämisse eines funktionierenden Marktes, der diese Lücke schließen würde". Ja, Sie haben richtig gelesen: So wenig Wertschätzung bringen europäische 'Verbraucherschützer' gegenüber Ihrer Tätigkeit auf: Die Retail-Beratung in der Fläche, die erheblichen administrativen und regulatorischen Mehraufwand bedeutet, darf offenbar keine andere Vergütung erhalten als die Beratung von gewerblichen bzw. Industriekunden, bei der in der Regel viel geringere regulatorische Vorgaben gelten. Gemäß dieser Äpfel-und-Birnen-'Logik' würde der EU-Retail-Markt für Finanzanlagen sofort kollabieren. Dass ausgerechnet 'Verbraucherschützer' mit solchen Vorstellungen hausieren gehen, zeigt, wie unterirdisch teilweise das Niveau seitens der Provisionsverbots-Fans in der Anhörung war.
Gegenüber dem 'k-mi'-Verlag kommentiert CDU-Finanzexperte Dr. Carsten Brodesser als einer der Initiatoren des Unions-Antrags den Verlauf der Anhörung dann auch wie folgt: "Die Anhörung hat leider die rot-grünen Vorbehalte gegen den Berufsstand der Anlage- und Vermittlerbranche unterstrichen. Zitate von Sachverständigen wie: 'lieber keine Beratung, als schlechte Beratung' diskreditieren eine ganze Branche. Die Verbotsagenda soll nach den Vorstellungen der rot/grünen Fraktionen mit einem schnellen kompletten Provisionsverbot im Sinne der vermeintlichen Verbraucherschützer vorangetrieben werden. Die vielen regulatorischen Vorgaben, sowie Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen der Branche im Sinne der Verbraucher wurden völlig ignoriert. Dabei bleibt nach unserer Auffassung der mündige Verbraucher, der selber entscheiden kann und soll, und die Angebotsvielfalt auf der Strecke. Staatsfondsvorstellungen lehnen wir strikt ab."
Anja Schulz, MdB und Berichterstatterin der FDP für Versicherungen und Kapitalmarktthemen, kommentiert die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung gegenüber 'k-mi' wie folgt: "Die Anhörung hat erneut gezeigt, wie verhärtet die Fronten sind, wenn es um Provisionen geht. Ob in der Beratung oder im beratungsfreien Geschäft: der Ruf nach einem pauschalen Verbot war von vielen Seiten zu vernehmen. Echte Wahl- und Entscheidungsfreiheit scheint zur Nebensache zu verkommen. Nach dem PFOF-Aus in der MiFIR wäre das Verbot des Execution Only-Geschäfts der nächste Sargnagel für den niederschwelligen Einstieg am Kapitalmarkt. In Verbindung mit dem offenkundigen Nein zu einem Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung, steht das flächendeckende Angebot von Beratungen vollends auf dem Spiel. Wie die EU – und einige der in der Anhörung Beteiligten – dann noch Kleinanleger an den Kapitalmarkt heranführen wollen, scheint mehr als fraglich. Für uns jedenfalls ist klar: Wollen wir die Partizipation am Markt steigern, braucht es mehr Vielfalt und weniger Einfalt. Das betrifft sowohl das Angebot an Produkten als auch an Beratungsdienstleistungen. Entsprechend kritisch sehen wir alle Maßnahmen, die die individuellen Bedürfnisse des Verbrauchers aus dem Blick verlieren oder aber zu einseitigen Benachteiligungen einzelner Berufsgruppen führen. Die Kommission muss aufpassen, ihren selbstgesteckten Zielen nicht zuwider zu handeln. Das hat die Anhörung einmal mehr verdeutlicht.“
'k-mi'-Fazit: Es ist ein Verdienst der Union unter Leitung von Dr. Brodesser, die kritischen Punkte der EU-Kleinanlegerstrategie gerade für Verbraucher zu thematisieren (Provisionsverbot für beratungsfreies Geschäft, Gefährdung der Unabhängigkeit der Versicherungsmakler). Auch z. B. die FDP-Finanzexpertin Anja Schulz brachte ihre Fraktion konstruktiv ein. Leider lieferten Rot-Grün die bekannten Pauschalurteile sowie intransparente Pseudowissenschaft, um mit der Aushebung ideologischer und längst widerlegter Schützengräben eine konstruktive Debatte zu torpedieren. Dies ist aus unserer Sicht verantwortungslos und fahrlässig für Verbraucher und Finanzdienstleister!